Aliosha Biz lebt seit dreißig Jahren in Österreich. Seine russisch-jüdische Identität pflegt er im Musikkabarett weiter.

Foto: Aliosha Biz

Als politischer Beobachter hat Aliosha Biz den Krieg "schon lange kommen sehen", wie er sagt. Als Künstler hat ihn der russische Einmarsch in die Ukraine aber dann doch auf dem falschen Fuß erwischt. Schnelles Umdenken war gefragt, denn eigentlich hätte jener 24. Februar für ihn und sein Publikum ein amüsanter werden sollen. Auf dem Plan stand ein Auftritt mit der Musikkabarett-Band Russian Gentlemen Club unter der Beteiligung von Schauspieler Cornelius Obonya im Theater Akzent. Das humoristische Thema: "Russland ohne Wodka?".

"Wir mussten über Nacht alles neu denken und sind noch, bevor der erste Ton gespielt wurde, vor das Publikum getreten und haben unsere Betroffenheit kundgetan." Das Publikum habe man gebeten, es möge doch bitte klar unterscheiden zwischen der politischen Macht und den Russen, die auf der Bühne stehen. "Für alle meine Verwandten und Freunde innerhalb und außerhalb Russlands und der Ukraine ist das eine große menschliche Katastrophe."

Einer von Biz’ Bühnenpartnern stammt aus dem ostukrainischen Separatistengebiet um Luhansk. "Für ihn dauert dieser Krieg schon acht Jahre. Viele aus seiner Familie sind damals schon in die Slowakei geflüchtet. In westlichen Medien hat die russischstämmige Bevölkerung im Donbass oft keine Stimme. Ich habe den Eindruck, Europa teilt sie automatisch Putin zu – das ist ein Schwarz-Weiß-Denken, das so nicht stimmt."

Kultur im Exil

Inzwischen würden auch viele Kunstschaffende Russland verlassen, sagt Biz. Der Late-Night-Show-Star Ivan Urgant zum Beispiel. "Seine Sendung ist von heute auf morgen aus dem Programm verschwunden." Aus der Ukraine sei der legendäre Odessaer Musiker und Fernsehmacher Igor Pokrowski nach Wien gekommen. "Ich habe gerade heute mit ihm gesprochen. Er will eigentlich nur schnell wieder zurück."

Aliosha Biz selbst, gebürtiger Moskauer, ist bereits vor 30 Jahren aus Russland nach Österreich gekommen. Seine russisch-jüdischen Wurzeln pflegt er hier weiter, als Violinist, Klezmer-Virtuose und Kabarettist ist das Identitätengemisch fester Bestandteil seines Programms. Die Karriere des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, selbst als Kabarettist mit jüdischen Wurzeln bekannt geworden, hat Biz von Anfang an verfolgt.

"Fast jeder im europäischen Teil der UdSSR geborene Jude hat Wurzeln in der Ukraine. Einer meiner Großväter stammte aus Kiew. Der andere aus Charkiw." Zuerst habe es Biz fast leidgetan, dass Selenskyj von der Show- auf die Politbühne gewechselt ist, "weil er wirklich einer der besten Kabarettisten war".

In seinen Satiresendungen habe Selenskyj nach links und rechts ausgeteilt, "und da hat es auch die russische Führung mehrfach abbekommen. Es ging dabei auch oft sehr ins Private. Und ich kann mir gut vorstellen, dass das einige zornig gemacht hat." Bei Putins Aggression dürfte also durchaus auch verletzter Stolz, gekränkte Ehre, mitspielen.

Faschismus-Rhetorik

Dass das russische Regime propagandistisch von einer "Entnazifizierung" der Ukraine spricht, verwundert Biz nicht: "Der Sieg gegen den Faschismus ist jedem in der ehemaligen Sowjetunion heilig, zahlte die Bevölkerung doch einen hohen Preis dafür. In jeder Familie gibt es Angehörige, die im Krieg getötet worden sind. Da ist jeder emotional betroffen. Wenn man heute mit der Rhetorik des Kampfs gegen Faschismus Zwietracht sät, fällt sie also auf fruchtbaren Boden."

Die Frage, wie sich der Westen gegenüber russischen Kulturschaffenden verhalten soll, beschäftigt Biz. Er könne es nachvollziehen, dass Personen wie Valery Gergiev und Anna Netrebko nun im Westen vorerst Sendepause haben, denn "gerade von ihnen hat man die deutliche Distanzierung am ehesten erwartet". Sie ist ausgeblieben, was auch damit zu tun habe, dass die beiden als prominenteste Vertreter der russischen Klassikszene zu nahe an der Macht dran seien. Mit dem Blick auf andere, weniger prominente gibt Biz hingegen zu bedenken, dass es sich "viele aus unterschiedlichsten Gründen nicht leisten können, offen gegen den Krieg aufzutreten".

Klar ist für ihn, "dass russische Kultur das eigentliche menschliche Antlitz" dieses Landes sei. "Das ist das Beste, was aus diesem Land je gekommen ist." Aliosha Biz’ Appell daher: "Lasst die russisch- und ukrainischstämmigen Künstler jetzt umso mehr zu Wort kommen!"(Stefan Weiss, 22.3.2022)