Als leichtsinnige Ignoranten: So lässt das jüngste Hin und Her im Pandemiemanagement die politische Zunft dastehen. An Warnungen aus der Fachwelt vor einer zu lockeren Gangart hat es wahrlich nicht gefehlt, trotzdem hielt die Bundesregierung bis zum Gehtnichtmehr am umfassenden Verzicht auf Corona-Regeln fest. Es kam, wie von den Kritikern befürchtet: Angesichts der wieder einmal heiklen Lage in manchen Spitälern sieht sich die türkis-grüne Koalition gezwungen, nun doch einen Rückzieher zu machen.

Das bringt den Regierenden nicht nur Ärger in der breiten Masse ein. So mancher Experte fühlt sich übergangen und missbraucht. Da versuche man, wissenschaftliches Unterfutter zu bieten – doch dann fielen die Entscheidungen erst recht aus rein politischen Erwägungen.

Manche Professionisten halten die Massentesterei für ein Atout im Kampf gegen das Virus, andere sehen darin kaum mehr als kolossale Geldverschwendung.
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Hätte die Politik für eine erfolgreichere Bewältigung der Pandemie also einfach nur auf die Wissenschaft hören müssen? Im Fall des wohl größten Fehlers der vergangenen Wochen wäre es tatsächlich so einfach gewesen. Dass eine Maskenpflicht ein vergleichsweise verkraftbares, aber höchst nützliches Mittel darstellt, ist unter Expertinnen und Experten weitgehend Konsens. In jenem Ad-hoc-Report der Beratungskommission Gecko, den die Regierung vor dem Öffnungsbeschluss Mitte Februar eingefordert hatte, steht im Gegensatz zu früheren Papieren zwar keine solche Empfehlung – doch das lag offenbar daran, dass Gesundheitsminister und Co nicht danach gefragt hatten.

Sehr oft ist es aber eine alles andere als leichte Übung, sich an Vorgaben der Fachwelt zu orientieren. Denn in vielen Fragen gehen die Einschätzungen diametral auseinander.

Impfung als Basisschutz

Das beginnt bei der Wahl der grundlegenden Strategie. Damit die Allgemeinheit eine breite Immunisierung aufbaue, müsse sich jeder – Impfung als Basisschutz vorausgesetzt – infizieren, verkündete Deutschlands Obervirologe Christian Drosten, als die Omikron-Welle durch Europa zu schwappen begann. Wer hingegen diese Woche in der ZiB 2 dem Gesundheitsökonomen Thomas Czypionka zuhörte, bekam eine ganz andere Wahrheit präsentiert: Es gelte, Ansteckungen zu vermeiden, denn jede einzelne Infektion bedeute Krankheit und das Risiko von Folgeschäden.

Ähnliches gilt für ein heimisches Paradeprojekt. Manche Professionisten halten die Massentesterei für ein Atout im Kampf gegen das Virus, andere sehen darin kaum mehr als kolossale Geldverschwendung, die Österreich vor keinem einzigen Lockdown bewahrt habe.

Die Liste der Widersprüche lässt sich lange fortsetzen. Frühen Warnungen vor einer Herbstwelle trotz Impfung standen im Vorjahr Interviews gegenüber, in denen Fachleute neuerliche Lockdowns für unwahrscheinlich bis ausgeschlossen hielten. Die Impfpflicht war und ist ebenso umstritten wie der Nutzen der 2G-Regel oder zuletzt die Aufweichung der Quarantäneregeln: Die eine Seite sieht ein Heilmittel für die unter Personalmangel leidenden Spitäler, die andere ein Hasardspiel.

Es ist gut, dass der jüngste Gecko-Bericht diese Uneinigkeit in der Quarantänefrage dokumentiert. Transparenz schützt nicht nur Fachleute davor, zu Unrecht als Zeugen für schlechte Entscheidungen vereinnahmt zu werden – sie schafft auch Verständnis dafür, dass Regierende bei aller Kritik an sprunghafter Corona-Politik eines verdienen: eine Portion Nachsicht. (Gerald John, 24.3.2022)