Die Regierung dürfe nicht weiter Zeit verlieren und solle endlich initiativ werden, schreibt Elisabeth Schaffelhofer-Garcia Marquez vom Netzwerk Kinderrechte Österreich in ihrem Gastkommentar

Freizeichen. Stille. Abschnappen. Besetztzeichen. Tot. – Rufen Sie 0800/240 264 an, und Sie werden diese Signaltöne hören. Welche Nummer das ist? Die Antwort findet sich auf www.bundeskanzleramt.gv.at: "Der Kinder- und Jugendanwaltschaft des Bundes steht ein ‚Hotline‘-Telefon zur Verfügung, das österreichweit zum Nulltarif in Anspruch genommen werden kann." Wir erfahren dort, dass die zentrale Aufgabe dieses Kinder- und Jugendanwalts "das Engagement für eine kinderfreundlichere Gesellschaft" sei. Beachtlich, nur leider geht niemand ran. Also doch keine "Auskünfte zu Fragen betreffend Jugendschutz, Erziehung, Trennung und Scheidung, Obsorge, Besuchsrecht, Gewalt an Kindern und vieles mehr" aus der einzigen Abteilung im Bundeskanzleramt, die den Namen "Kinderrechte" in sich trägt. Diese tote Nummer steht sinnbildlich für den nicht nur unverdienten, sondern auch rechtswidrigen Dornröschenschlaf der Kinderrechte in Österreich.

Die inzwischen 13 Jahre alte Tina lebt wieder in Wien. Am 25. Februar hat sie ein Schülervisum erhalten.
Foto: Robert Newald

Rechtswidrigkeit! Die wurde nun auch im Fall Tina festgestellt. Die Abschiebung im Jänner 2021 der damals zwölfjährigen Wiener Schülerin nach Georgien, also in das Heimatland ihrer Mutter, habe das Bundesverfassungsgesetz über die Rechte von Kindern verletzt. So urteilte das Bundesverwaltungsgericht, das vor einem Jahr selbst noch für die offensichtliche Unkenntnis dieses Teils unserer Verfassung wegen der "Aneinanderreihung von Textbausteinen" kritisiert worden war. Hier hat sich in der Rechtsanwendung etwas verändert im Laufe eines Jahres, in die juristisch einzig richtige Richtung. Denn Kinderrechte sind kein Schmähthema, keine Spielerei einer Handvoll Freaks aus der von staatlicher Seite bewusst finanziell ausgehungerten Zivilgesellschaft.

"Mit Kindern und Jugendlichen muss geredet werden, um sich ein Bild von ihrer Situation zu machen."

Kinderrechte sind eine Rechtsmaterie wie jede andere, verlangen ernsthafte Expertise und Kenntnis von internationalen Vorgaben und Best Practice – und immer ein wertschätzendes Fragen, Zuhören, Mitentscheidenlassen von Kindern und Jugendlichen. Die Begriffe Kinderrechte und Kindeswohl sind keine unklaren, undefinierten, mit allem weltanschaulich denkbarem Ermessensspielraum ausgestatteten Termini. Man muss nur auf den Paragraf 138 im Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch schauen, wo sich konkrete Kriterien für die Beurteilung des Kindeswohls finden. Eingefügt im Jahr 2013 in ein Gesetz, das seit 1812 in Kraft ist. Weiterentwicklung ist möglich.

Die Kindeswohlkommission, die nach Tinas Abschiebung 2021 eingerichtet worden war, hat mit Vollgas, Herzblut und Hingabe nach nur einem halben Jahr einen umfassenden Empfehlungskatalog vorgelegt. Diese Zeitdimension darf niemals vergessen werden, bedeutet ein Jahr für ein Kind doch so viel mehr als für Erwachsene. Ob das die ausgewiesenen Spezialisten und Spezialistinnen für Asyl-, Verfassungs- und Europarecht auch beachten? Sie bringen diese Kinderrechtssicht, diese Haltung nicht automatisch mit. Niemand kann Deutungshoheit in allen Rechtsgebieten für sich beanspruchen.

Kein Einlenken

1989 wurde die Kinderrechtskonvention von den Vereinten Nationen verabschiedet. In Österreich ist sie seit 30 Jahren in Kraft, von 1992 bis 2011 auf Stufe eines einfachen Bundesgesetzes, seit 2011 verkürzt als eigenes Verfassungsgesetz, das noch immer seiner Evaluierung harrt. Zeit wird es, dass sich Judikatur dazu aufbaut und die Regierung radikal umdenkt. Denn bei Kanzler Karl Nehammer ist kein Hauch der Bewegung, kein Eingehen auf neue Erkenntnisse, kein Abrücken von kinderrechtlich irrelevanten Hinweisen, nämlich auf das Fehlverhalten der Mutter Tinas, auszumachen. Vor 14 Monaten verteidigte er die rechtswidrige Abschiebung als zuständiger Innenminister mit "Recht muss Recht bleiben!".

Zustimmung, Herr Bundeskanzler! Die Kinderrechte haben aber die innovative Neuerung mit sich gebracht, dass Kinder und Jugendliche Träger und Trägerinnen eigenständiger Rechte sind, Rechtssubjekte, wie man juristisch sagt. Das Verhalten der Eltern ist den Kindern nicht nur nicht vorzuwerfen, es ist ihnen nicht einmal zuzurechnen. Mit Kindern und Jugendlichen muss persönlich geredet werden, um sich ein Bild von ihrer Situation zu machen. Somit erübrigt sich auch die Debatte anlässlich der nun angekündigten Revision des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, ob eine Kindeswohlprüfung direkt vor der Abschiebung aktenkundig ist oder nicht. Es braucht auch kein Abzielen auf das "anpassungsfähige Alter" bis zwölf Jahre, das von der Kindeswohlkommission sowieso als ungeeignete Grundlage von Entscheidungen qualifiziert wurde. Mit Tina hat vor der Abschiebung niemand geredet. Punkt. Das bedeutet in Kinderrechtedimensionen denken.

Ein mittlerweile 13-jähriges Mädchen, die Zeit bleibt ja nicht stehen, hat nun also am gefühlt 100-jährigen Kinderrechteschlaf in Österreich gerüttelt. Es ist aber nicht nur sie, es ist nicht nur das Asylrecht. 1.542.621 junge Menschen unter 18 Jahren (Stichtag 1. 1. 2020) sind betroffen. Es geht um ihr Leben in Familie, Kindergarten, Schule, Lehre, Arbeitswelt, Freizeit. Unsere Staatsgewalten müssen dazulernen. Jetzt! Denn die Lösungen gibt es schon die längste Zeit. (Elisabeth Schaffelhofer-Garcia Marquez, 26.3.2022)