Vom klassischen Faltenrock bis zur Avantgarde-Couture: Das Plissieren – so nennt man es, wenn ein Stoff vor der weiteren Verarbeitung in haltbare Falten gelegt wird – ist ein uralter Begriff aus der Textilkunde. Schon antike Statuen tragen sorgfältig gefältelte Gewänder. Und doch weiß jeder, der oder die schon einmal ein Hemd gebügelt hat, wie mühsam es sein kann, einen Stoff dazu zu bringen, dort flach und glatt zu bleiben, wo man es möchte, und sich genau dort umzulegen, wo man sich das vorstellt – und nicht umgekehrt. Und das nach jedem Waschgang wieder. Die Frage ist also naheliegend: Wie geht das mit der Falterei? Renate Houska weiß das ganz genau: In ihrer Plisseewerkstatt in der Josefstädter Piaristengasse betreibt sie die letzte derartige Einrichtung der Bundeshauptstadt.

Plissee-Schablonen sind aus Karton und drei Meter lang. Etwa achtzehnhundert davon besitzt Renate Houska in ihrer Plissieranstalt.
Foto: Heribert Corn/www.corn.at

Eigentlich hat man sich das Innenleben solch einer altehrwürdigen Institution des Handwerks irgendwie anders vorgestellt. Kühler, distanzierter, unzugänglicher. Wenn man aber einmal hinter die Budel des winzigen Verkaufsraums gebeten wird und die hinteren Räumlichkeiten betritt, fühlt man sich weniger in einem Museum als vielmehr in einem Wunderland aus Stoff, Fäden, Metall, Papier und zahllosen teils mysteriösen Vorrichtungen, manche genau für ihren Zweck hergestellt, manche improvisiert und eingespielt wie das alte gusseiserne Bügeleisen, das jetzt als Gewicht zum Beschweren dient. Eng ist es hier, unglaublich vollgeräumt, aber peinlich sauber, und hier hat sichtlich jedes Ding seinen Platz – den aber nur Houska kennt. Mit traumwandlerischer Sicherheit und spürbarer Liebe zu ihren Werkzeugen bewegt sie sich durch ihr Reich, zieht aus einem Regal ein langes dünnes Ding, aus einem anderen ein kurzes dickes und baut auf dem großen Tisch in der Mitte des Raums mit geübter Routine die Szenerie zusammen.

Plissee statt Papst

An einem Stück Stoff zeigt Houska uns, wie das nun geht mit dem Fälteln – im Schnellvorlauf, denn an sich braucht Plissieren Zeit. "Als Erstes wird der Stoff in eine Schablone eingelegt", erklärt sie. "Die besteht aus zwei Teilen. Der untere wird ausgespannt, dann der Stoff reingelegt, dann kommt der obere Teil drauf, und alles wird zusammengefaltet." Das wird dann mit Gewichten fixiert und mit Bändern am Rand fest zusammengebunden, sodass eine Art schmales, hohes Paket entsteht.

Foto: Heribert Corn

Die Schablonen bestehen aus festem Karton, sind drei Meter lang und etwa einen Meter hoch, und man braucht für jede Faltenbreite eine eigene davon. Wie viele Houska insgesamt hat? "Wenn ich die Schablonen, die ich noch zu Hause lagernd habe, dazuzähle, sind es etwa achtzehnhundert." Manche gibt es mehrfach, damit man mehrere Längen Stoff gleichzeitig behandeln kann. "Und jetzt zeige ich Ihnen das Wunderwerk, das mich eigentlich zum Plissieren gebracht hat", verkündet Houska mit verschmitztem Grinsen – und führt uns nach hinten, ins Klo.

Hier steht er nämlich, im "Thronsaal": der Plissierofen, ein mächtiges, zimmerhohes stählernes Ungetüm. Houska öffnet die riesige Tür und zeigt uns den Bauch der Bestie – hierein werden die Rollen mit den schablonierten Stoffen gestellt und dann mit Dampf behandelt, bis sie die gewünschte Faltenform halten. Der prosaische Standort kommt daher, dass der Ofen in einem Nassraum stehen sollte und einen direkten Abzug ins Freie braucht, um Dampf ablassen zu können – hier in den Innenhof des Altbauhauses. "Wenn im Winter der Dampf abzieht, kommt weißer Rauch raus. Ich hab hier dreimal die Woche Papstwahl", kichert Houska.

Der Plissierofen steht im Klo.
Foto: Heribert Corn

Bis zu zwei Durchgänge schafft der Ofen an einem Arbeitstag, mit jeweils, je nach Art des Plissees, zwischen 16 und 20 Rollen. Zusätzlich zum Ofen gibt es auch noch die "Prinzessin": eine elektrische Plissiermaschine, mit der man nur eine bestimmte Art Falten herstellen kann, genau einen halben Zentimeter breit nämlich, dafür aber in längeren Bahnen. "Prinzessin" heißt sie deshalb, "weil sie eine Seele hat. Ich schwöre: Wenn ich irgendwie kribbelig bin oder nicht in meiner Mitte, das überträgt sich sofort auf sie, und sie macht lauter Blödheiten. Sie will meine volle Aufmerksamkeit und meine volle Zuwendung. Und Ruhe in mir."

Apropos innere Ruhe: Um die Zukunft des Geschäfts muss sich Houska keine Sorgen machen. Früher waren Plissieranstalten nichts Ungewöhnliches, heute gibt es in Österreich nur mehr eine Handvoll davon, und ihre ist die einzige noch aktive in der Bundeshauptstadt. Zur Kundschaft gehören Hobby- und Profischneider und -schneiderinnen, die ihre Stoffe einfach vorbeibringen, aber auch Dirndlwerkstätten, Kostümwerkstätten, Designerlabels, Hutmacher und sogar Lampenschirmhersteller. Die Arbeit geht ihr nicht aus. "Reich wird man damit nicht, aber es ist eine Nische, die immer gebraucht wird. Es ist sehr spannend, wer alles Plissees bestellt."

Foto: Heribert Corn

Verlorene Technik

Wie kam die gelernte Schneidermeisterin Houska zum Faltengewerbe? "Ich habe bei einer Schneiderei gearbeitet, die hat aber dann zugesperrt. Dann las ich eine Annonce: ,Plisseewerkstatt zu verkaufen‘." Das war im Jahr 2001. "Ich wusste zwar theoretisch, wie das Plissieren funktioniert, konnte mir aber nicht vorstellen, wie so ein Ofen aussieht – den wollte ich mir anschauen." Es war Liebe auf den ersten Blick, nicht nur zum Ofen, sondern zum ganzen Gemäuer. "Dann hat sich das halt so entwickelt." Mittlerweile ist Houska eine Expertin auf dem Gebiet – das trotz der langen Tradition zahlreiche Geheimnisse birgt.

Handarbeitstechniken werden nach wie vor viel zu oft nur mündlich oder in der Praxis weitergegeben, viele davon sind unwiederbringlich verloren. "Der spanische Modeschöpfer Fortuny hat zum Beispiel in den 30er- und 40er-Jahren wunderschöne Plisseekleider aus Seide herstellen lassen, von denen man heute nicht mehr weiß, wie er das gemacht hat." Dauerhaft haltbar sind, mit den heutigen Verfahren, nur Plissees bei Stoffen mit zumindest etwas Kunststoffanteil, weil sich nur Kunstfasern mit Hitze nachhaltig verbiegen lassen.

In Österreich gibt es nur mehr eine Handvoll Plissieranstalten; Renate Houska betreibt die einzige in Wien.
Foto: Heribert Corn

Neben Plissees stellt Houska in ihrer Werkstatt auch stoffüberzogene Knöpfe und Gürtelschnallen her – in Handarbeit, mit historischen mechanischen Pressen aus massivem Eisen ("Die sind noch von meiner Vorvorgängerin!"), deren Anblick alleine jeder Metallfetischistin den Tag erhellt. Und natürlich gibt es hier auch mehrere Nähmaschinen, denn quasi nebenbei erledigt Houska auch Änderungsarbeiten für die Stammkundinnen aus dem Grätzl. "Meine Omas! Es gibt so viele liebe ältere Damen in der Gegend, die auch auf mich aufpassen." Routine kommt jedenfalls keine auf: "Mir ist eigentlich nie fad. Es ist immer wieder schön für mich, hier reinzukommen. Und es ist auch nach 20 Jahren noch spannend wie am ersten Tag. Es ist eine ganz eigene Welt. Mein Reich." (Gini Brenner, 29.3.2022)