In den Speichern ist am Ende der Heizsaison nicht mehr viel Gas eingelagert, die Angst vor einem Lieferstopp steigt.

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Es hat bis zum späten Mittwochnachmittag gedauert, dann war die Entscheidung fix: Auch Österreich ruft die Frühwarnstufe im Notfallplan für die Gasversorgung aus. Für Deutschland hatte dies Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) bereits Mittwochvormittag kundgetan. Die Niederlande hingegen warten noch ab.

"Wir werden alles dafür tun, um die Gasversorgung für Österreichs Haushalte und Betriebe sicherzustellen", sagte Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP). "Derzeit treffen die Lieferungen zuverlässig und uneingeschränkt ein. Das kann sich natürlich ändern." Die Frühwarnstufe stelle sicher, dass die Überwachung der Versorgungslage intensiviert werde. So sei man im Fall von Veränderungen vorbereitet und könne schnell reagieren, ergänzte Energie- und Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne).

Druckabfall bei Gas sofort feststellbar

Im Fall des Falles wäre ein Rückgang der Gaslieferungen sofort feststellbar, sagten Experten im Gespräch mit dem STANDARD. Das sei zuletzt im Jänner 2009 der Fall gewesen, als russische Gaslieferungen wegen des schwelenden Transitstreits mit der Ukraine 13 Tage lang unterbrochen waren.

Die nun ausgerufene erste Warnstufe bedeutet, dass "konkrete, ernst zu nehmende und zuverlässige Hinweise" vorliegen, dass ein Ereignis eintreten kann, welches wahrscheinlich zu einer erheblichen Verschlechterung der Gasversorgungslage führen wird.

Mehrstufiger Alarmplan

Die zweite Stufe des Notfallplans, die Alarmstufe, würde ausgerufen, wenn sich die Gasversorgungslage tatsächlich verschlechtert. Dabei geht man davon aus, dass noch immer Marktmechanismen greifen und der Staat nicht lenkend eingreifen muss – etwa durch freiwillige Zurücknahme des Gasverbrauchs durch Industrieunternehmen.

Maßnahmen der Stufe drei, der sogenannten Notfallstufe, greifen dann, wenn kein Gas mehr geliefert wird und die aktuelle Nachfrage auch nicht mehr gedeckt werden kann. Dann hat es die Energieministerin in der Hand, Industrieunternehmen per Verordnung den Gasverbrauch zu untersagen, mit dem Ziel, dass geschützte Kunden wie Privathaushalte, Krankenhäuser, Rettung oder Polizei möglichst lang mit Gas versorgt werden können.

Russlands Präsident Wladimir Putin macht Druck.
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Noch aber kommt Gas aus Russland. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow sagte am Mittwoch, die von Moskau geforderte Umstellung der Zahlungen für russische Gaslieferungen nach Europa von Euro und Dollar auf Rubel werde nicht am Donnerstag in Kraft treten. Lieferung und Bezahlung seien getrennte Prozesse. Zudem zieht Moskau nun auch eine Umstellung auf Rubelzahlung für andere Rohstoffe in Erwägung.

Putin sicherte Scholz Euro-Zahlungen zu

Der russische Präsident Wladimir Putin hat dem deutschen Kanzler Olaf Scholz indes nach Angaben aus Berlin zugesichert, dass europäische Unternehmen ihre Rechnungen für russisches Gas weiterhin in Euro zahlen können. Putin habe in einem Telefonat am Mittwoch zwar gesagt, Gaslieferungen seien ab 1. April in Rubel zu begleichen, erklärte Regierungssprecher Steffen Hebestreit. "Zugleich betonte er in dem Gespräch, dass sich für die europäischen Vertragspartner nichts ändern werde." Die Zahlungen sollen demnach weiterhin ausschließlich in Euro an die Gazprom-Bank überwiesen werden, die nicht von Sanktionen betroffen sei. "Die Bank konvertiere dann das Geld in Rubel", zitierte Hebestreit den russischen Staatschef.

Deutschland ist es in den vergangenen Wochen gelungen, den Anteil des russischen Gases von 55 Prozent auf etwa 40 Prozent zu senken. Doch erst bis zum Sommer 2024 kann sich die Bundesrepublik gänzlich unabhängig davon machen.

Energielenkungsbeirat

In Österreich ist das in dem Ausmaß nicht gelungen. Etwa 80 Prozent des im Land benötigten Gases kommen noch immer aus Russland. Eine entscheidende Rolle spielt im Krisenfall der Energielenkungsbeirat. Das ist ein aus gut 30 Personen bestehendes Gremium, in dem Ministerien, Bundeskanzleramt, Sozialpartner, Länder- und Parteienvertreter, Regulierungsbehörde sowie Erdöl- und Gaswirtschaft sitzen.

Das Gremium ist aus Anlass des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine und der bedrohten Gasversorgung am 1. März auf Einladung der zuständigen Energie- und Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) zusammengetreten. Beschlüsse gab es keine. Seither hat der Beirat nicht mehr getagt, was prompt zu harschen Reaktionen der Opposition geführt hat. Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) stellt jedenfalls bei Puls 4 klar: "Wir werden nicht in Rubel bezahlen. Da sind wir uns mit allen anderen Staaten der Europäischen Union einig."

Im ausnehmend warmen Monat Februar ist der Gasverbrauch in Österreich um 5,3 Prozent niedriger gewesen als ein Jahr davor. Aus den Speichern wurde um gut 60 Prozent weniger Gas entnommen als im Vorjahr, dennoch waren die Speicher Ende des Monats nur zu 17 Prozent gefüllt. Bei Strom stieg der Inlandsverbrauch in der Gesamten Elektrizitätsversorgung laut Regulierungsbehörde E-Control um 2,7 Prozent.

Kritik an Regierung

SPÖ-Energiesprecher Alois Schroll sieht Türkis-Grün indes "ohne Plan, was die Gasversorgung betrifft". Von der Regierung kämen nur Beschwichtigungen. "Das reicht aufgrund der aktuellen Brisanz aber bei weitem nicht aus", sagte Schroll.

Einen Notfallplan, falls kein Gas mehr kommt, forderte auch Neos-Klubobfrau Beate Meinl-Reisinger. Die Bevölkerung habe ein Recht zu wissen, "welche Vorkehrungen getroffen werden, damit sowohl die Industrie funktioniert als auch Privathaushalte weiterhin heizen können, und welchen Beitrag Österreich innerhalb Europas leisten wird".

Aufruf zum Sparen

Der deutsche Wirtschaftsminister Habeck rief seine Landsleute zum Sparen auf und sagte: "Ab sofort ist jeder Gasverbraucher – von der Wirtschaft bis zu Privathaushalten – gehalten, seinen Verbrauch so gut wie möglich zu reduzieren." Aktuell sind die Gasspeicher in Deutschland zu rund 25 Prozent gefüllt, in Österreich zu etwas mehr als zwölf Prozent. Der Bundestag hat gerade erst ein Gesetz beschlossen, das konkrete und höhere Füllstandsvorgaben macht. Die Gasspeicher sollen bis 1. Dezember schrittweise bis auf 90 Prozent gefüllt werden. Österreich plant Ähnliches und hat erst in der vorigen Woche den Aufbau einer strategischen Gasreserve beschlossen. (Birgit Baumann aus Berlin, Günther Strobl, red, 30.3.2022)