Ursula Schreiber fand nach Jahren der Obdachlosigkeit eine Wohnung im zehnten Bezirk. Hier fühlt sie sich endlich zu Hause:

"Früher habe ich auf 80 Quadratmetern im siebten Bezirk gewohnt. Dann bin ich arbeitslos geworden, habe unter schweren Depressionen gelitten, schließlich ist der Alkohol dazugekommen.

Für einen Lehnstuhl fehlte Ursula Schreiber immer der Platz, nun sitzt sie hier am liebsten.
Foto: Lisi Specht

Lange Zeit blieb die Fassade mehr oder weniger aufrecht. Aber dann hab ich mir den Fuß gebrochen, das war kompliziert, musste operiert werden, die Wunde wurde septisch. Ich bin monatelang im Spital gelegen und hab mich darauf verlassen, dass mein damaliger Freund sich um die Wohnung kümmert. In Wahrheit hat er mir die Mahnungen unterschlagen. Eines Tages sind zwei Herren mit der Delogierungsankündigung im Krankenzimmer gestanden.

Ich war nie wieder in meiner Wohnung. Ich hab über den Bazar einen Transportunternehmer ausfindig gemacht, dem ich die Wohnungsschlüssel gegeben und gesagt habe, was er nehmen soll. Möbel konnte ich vergessen. Aber Fotos, Briefe, Zeichnungen, Dinge von meiner Mutter hat er geholt. Ich bin in ein Frauenwohnheim gekommen, dann in Notquartiere, bin überall rausgeflogen und hab massiv getrunken, damit ich das irgendwie packe. An eine Nacht in einem abgestellten Eisenbahnwaggon kann ich mich erinnern.

Schließlich hab ich 2010 im Haus Max Winter einen Wohnplatz bekommen. Dort habe ich bis 2018 auf 25 Quadratmetern gelebt. Irgendwann hab ich gecheckt, dass ich rauswill. Lange hatte ich die Kraft nicht. Ich hab einen Entzug gemacht, und als ich zwei Jahre trocken war, hab ich begonnen, die Fühler auszustrecken. Am privaten Wohnungsmarkt hatte ich keine Chance. Einmal hab ich eine Nachbarin von früher getroffen. Meine Wohnung im siebten Bezirk kostet mittlerweile das Doppelte. Dann kam Housing First. Das war meine Rettung.

Beim Zusammensuchen der Möbel wurde Ursula Schreiber unterstützt.
Foto: Lisi Specht

2018 hab ich mithilfe von Neunerhaus diese Wohnung gefunden. Mir war wichtig, dass sie zwei Zimmer hat. Ich geh ein, wenn ich eingesperrt bin. Eingezogen bin ich vor genau vier Jahren. Die Wohnung war damals ganz leer. Ich hab mich gefühlt wie eine Studentin. Beim Zusammensuchen der Möbel und auch bei den bürokratischen Wegen wurde ich von Neunerhaus unterstützt.

Einige Stücke sind mir besonders wichtig. Der Wohnzimmertisch ist das Einzige, was ich von meinem Vater habe. Ich wollte immer schon einen Ohrensessel, hatte aber nie Platz. Das ist jetzt mein Lieblingsort. Das Mosaikbild habe ich in Therapie in Ybbs gemacht. Da muss man ganz genau arbeiten. Wenn ich nervös bin, schaue ich mir das an und überleg mir, wie ruhig ich war, als ich das gemacht habe. Irgendwie kann ich das Gefühl dann wieder ein bisschen zurückholen. Mein nächstes Projekt sind die Türen. Da hat ein Vormieter mit Dispersionsfarben drübergemalt. Das gehört abgeschliffen. Und im Bad würde ich gern die Badewanne mit einer Dusche ersetzen, weil ich Probleme mit meinen Füßen hab und nicht so mobil bin derzeit. Bis jetzt fehlt mir auch noch eine gescheite Lampe im Wohnzimmer. Ich liebäugle mit Ventilator und Lampe in einem, aber die sind zu teuer. Es ist also noch genug zu tun.

Leider bin ich von der Pandemie sehr eingebremst worden. Zeitweise ist es mir schlecht gegangen, weil alle sozialen Kontakte weg waren. Sich selber motivieren und nach jedem Lockdown von vorne beginnen, das hat mich sehr zermürbt. Aber jetzt habe ich wieder eine Perspektive. Es wird wärmer, und meine Füße werden besser. Bald bekommen wir auch einen Lift hier im Haus.

Das Mosaikbild hat sie selbst gemacht: "Wenn ich nervös bin, schaue ich mir das an und überleg mir, wie ruhig ich war, als ich das gemacht habe."
Foto: Lisi Specht

Ich schätze diese Wohnung sehr. Das kann nur nachvollziehen, wer mal auf der Straße gewohnt hat. Ich bin so froh, dass ich mir das hier leisten kann. Ich zahle 400 Euro Miete und 80 Euro Energiekosten. Das geht sich aus. Gelegentlich kann ich sogar ins Kaffeehaus gehen. Ich leide keine Not.

Die Ruhe hier ist mir sehr wichtig. Das ist sicher eine Alterserscheinung. Aber auch durch die Obdachlosigkeit und das betreute Wohnen.

Ob ich einen Wohntraum habe? Wenn’s wirklich ein Traum sein darf: Ich hätte gern einen Garten und jemanden, der mir damit hilft. Einfach ein bissl was Grünes, ich hab noch nie einen Garten gehabt.

Allen, die es gerade brauchen, würde ich gern sagen: Dieses resignative Sich-ins-Schicksal-Ergeben, das ist etwas Ungesundes. Ich hab wirklich gestrampelt. Aber irgendwann kommen auch die Früchte. Nicht gleich und nicht immer massiv. Aber es gibt schöne Erfolgserlebnisse: Im Winter hat es mal draußen geschneit, und ich bin im warmen, kuscheligen Bett gelegen. Ich hab rausgeschaut und so ein Gefühl der Geborgenheit gespürt und der Sicherheit, endlich!" (4.4.2022)