Orsay ist eine von vielen internationalen Modemarken, denen in der Corona-Krise die Kraft ausging.

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Wien – Die Krise im Kopf und die Inflation im Genick lassen die Kaufkraft der privaten Haushalte abnehmen. Für Ernst Gittenberger, Handelsexperte der Kepler-Uni Linz, fällt das Konsumklima auf einen neuen Tiefstand. Anhaltende Corona-Krise, Krieg in der Ukraine und rasant steigende Energiepreise erschütterten das Vertrauen in die Wirtschaft. Größere Anschaffungen würden hintangestellt – anstelle der Erholung von der Pandemie zeichne sich Angststarre ab.

Für Einzelhändler bedeutet dies nichts Gutes. Eine Zerreißprobe erleben weite Teile der Textilbranche. Das jüngste Sorgenkind ist Orsay.

Die in Deutschland ansässige Modekette ist im Eigentum der französischen Unternehmerfamilie Mulliez. Gut 60 Marken nennen die Mulliez’, die zu den reichsten Familien Frankreichs zählen, ihr Eigen. Auch die Textilhändler Pimkie und Orsay wuchsen unter ihrem Dach heran.

Im Sog der Pandemie

Pimkie schloss in Europa im Sog der Pandemie reihenweise Filialen, wechselte in mehreren Ländern die Besitzer und zog sich aus Österreich nach seiner Insolvenz 2021 zur Gänze zurück. Im November suchte die Schwester Orsay Rettung in einem Schutzschirmverfahren. In der Folge schließen in Deutschland 79 der 197 Standorte. Für die verbliebenen wurden die Miet- und Arbeitsverträge gekündigt. Denn um die Standorte zu sanieren, braucht es neue Betreiber.

"Orsay arbeitet hart an einer Fortführungslösung. Wir müssen aber vorsorglich auch andere Szenarien einplanen", erläutert Konzernsprecher Wolfgang Weber-Thedy auf Anfrage des STANDARD.

In Österreich zählt Orsay knapp 50 Filialen mit 280 Mitarbeiter. In der Bilanz 2020 weist das Unternehmen als Ordia Handels GesmbH ein negatives Ergebnis der Geschäftstätigkeit in Höhe von 4,35 Millionen Euro aus. Der Umsatz lag bei rund 30 Millionen Euro. Marktkennern zufolge stünden auch hierzulande etliche Mietverträge auf der Kippe.

Weber-Thedy widerspricht diesen "Gerüchten" entschieden: "Aus derzeitiger Sicht bleiben alle Läden in Österreich geöffnet." Er sieht die finanzielle Schieflage Orsays in Pech mit dem Sortiment begründet: In Zeiten von Lockdowns und Homeoffice habe es weder Business-Outfits noch Kleidung für gesellschaftliche Anlässe gebraucht. Zu Lieferkettenproblemen sei die massive Unsicherheit durch die deutsche Corona-Politik gekommen. "Das alles frisst Substanz."

Unter dem Schutzschirm

Orsay und Pimkie sind nur zwei von vielen Modelabels, die in Europa den Faden verloren haben. Der Vormarsch der Diskont- und Onlineriesen schwächt die Branche seit Jahren. Anhaltender Konsumpessimismus verstärkt ihre Probleme wie ein Katalysator. Adler und Esprit mussten in Deutschland ebenso Schutzschirmverfahren beantragen wie Tom Tailor, Bonita und Hallhuber. In Österreich sind Namen wie Dressmann, Airfield, Colloseum und CCC als Händler Geschichte.

"In Zeiten der Krise treten Schwächen und Stärken der Unternehmen zutage", zieht Handelsverbandspräsident Stephan Mayer-Heinisch Bilanz. Unsicherheit sei Gift für den Konsum. Dass dies am Modehandel nicht spurlos vorübergehe, überrasche nicht. So sperrt selbst der britische Diskonter Primark nach seiner über lange Strecken ungebremsten Expansion erstmals Filialen zu.

In Deutschland werden zwei der 32 Mietverträge nicht verlängert, bestätigt eine Konzernsprecherin dem STANDARD. Pläne, sich auch in Österreich von Standorten zu trennen, gebe es jedoch keine. Primark betreibt hierzulande fünf Märkte.

Der spanische Moderiese Zara gab zwei österreichische Geschäfte auf, einer davon lag im Herzen der Grazer Innenstadt. Zara-Mutter Inditex hat sich von den Strapazen der Pandemie erholt. Mit dem Ukraine-Krieg bahnt sich jedoch die nächste Krise an: Der Konzern hat 500 russische Filialen vorerst geschlossen – auch der Onlineverkauf in dem Land steht still. Russland ist für Inditex nach Spanien der größte Markt.

Christoph Andexlinger, Chef der Spar SES, die 30 Einkaufszentren betreibt, will die schlechte Stimmung im Handel nicht schönreden. Dennoch deute einiges darauf hin, dass es auch wieder bergauf gehe, meint er im Rahmen der Bilanzpräsentation seines Unternehmens.

"Decke auf den Kopf"

Der Umsatz seiner 1800 Handelspartner stieg im Vorjahr um 7,6 Prozent auf 2,64 Milliarden Euro. "Vielen Leuten fällt im Homeoffice die Decke auf den Kopf. Sie werden in die Einkaufscenter zurückkehren."

Geschäfte, die aufgrund weniger Modehändler frei werden, würden teils durch neue, innovative Gastronomiekonzepte bespielt. Rund fünf Prozent der Fläche in Shoppingcentern seien derzeit von Mietern abseits des Handels und der Gastronomie besetzt, rechnet der Spar-Manager vor. In den kommenden fünf bis zehn Jahren werde dieser Anteil auf bis zu 15 Prozent steigen. Denn mit Ärztezentren, Fitnesscentern oder Bildungseinrichtungen, von Universitäten bis zu Tanzschulen, eröffne sich ein neues Feld an Mietern.

Zurück zum Handel: Die Marktverwerfungen hinterlassen in seinen Reihen auch online deutliche Spuren. Unito etwa, zu der Marken wie Quelle, Otto und Universal gehören, haben Liefer- und Transportengpässe 2021/22 gut sechs Prozent des Umsatzes gekostet. Konzernchef Harald Gutschi spricht von der "größten Lieferantenkrise seit 1945". (Verena Kainrath, 6.4.2022)