Aufräumarbeiten in der belebten Dizengoff-Straße im Zentrum von Tel Aviv.

Foto: EPA / ABIR SULTAN

Tel Aviv – Nach dem tödlichen Anschlag im Zentrum der israelischen Küstenmetropole Tel Aviv ist der mutmaßliche Attentäter von Sicherheitskräften erschossen worden. Der Terrorist sei aufgespürt und getötet worden, teilte der Inlandsgeheimdienst Shin Bet mit. Es habe sich um einen 28-jährigen Palästinenser aus Jenin im Westjordanland gehandelt. Er habe keine klaren Verbindungen zu irgendwelchen Organisationen gehabt und sei in der Vergangenheit nicht verhaftet worden.

Der Mann habe sich ohne Genehmigung in Israel aufgehalten. Ministerpräsident Naftali Bennett schrieb auf Twitter: "Wir bleiben in maximaler Alarmbereitschaft, in Tel Aviv und im ganzen Land, aus Sorge vor weiteren Ereignissen oder Attentaten durch Nachahmer. (...) Unser Krieg gegen den mörderischen Terror ist lang und hart." Verteidigungsminister Benny Gantz schrieb: "Wir haben den verabscheuungswürdigen Terroristen in unsere Hände bekommen. Wir werden unsere Aktivitäten gegen die Terrorwelle in Bezug auf Angriff, Verteidigung und Geheimdiensttätigkeiten ausweiten."

Der 28-Jährige war nach Geheimdienstangaben am frühen Freitagmorgen nach einer intensiven, rund neunstündigen Suche von hunderten Sicherheitskräften gefunden und nach einem Feuergefecht mit israelischen Streitkräften getötet worden. Er habe sich in Jaffa im Süden der Stadt nahe einer Moschee versteckt.

DER STANDARD

Blutigste Woche seit 16 Jahren

Am Donnerstagabend waren bei dem Attentat mindestens zwei Menschen getötet worden. Dabei handelt es sich nach Medienangaben um zwei Männer im Alter von 27 und 28 Jahren. Mindestens zehn weitere Menschen erlitten den Angaben zufolge Schussverletzungen. Ein Attentäter habe auf Besucher einer Kneipe auf der belebten Dizengoff-Straße geschossen, teilte die Polizei mit. Dem zuständigen Ichilov-Krankenhaus zufolge befand sich einer der Verletzten am Freitagmorgen noch in unmittelbarer Lebensgefahr.

"Vergangene Nacht hat mörderischer Terror in das Herz Tel Avivs getroffen. Junge Israelis, die niemandem etwas getan haben, wurden ermordet, schlicht weil sie Israelis sind", teilte Außenminister Yair Lapid mit. "Dieser Terror ist das giftige Ergebnis anhaltender Hetze durch Terrororganisationen, die von der Ideologie des Hasses angetrieben werden."

Die islamistische, im Gazastreifen herrschende Palästinenserorganisation Hamas hatte den Anschlag noch am Donnerstagabend gelobt. Der palästinensische Präsident Mahmoud Abbas verurteilte den Anschlag dagegen. "Das Töten von palästinensischen und israelischen Zivilisten führt nur zu einer weiteren Verschlechterung der Situation, während wir Stabilität anstreben, besonders während des heiligen Monats Ramadan und der bevorstehenden christlichen und jüdischen Feiertage", sagte Abbas nach einer Meldung der palästinensischen Nachrichtenagentur WAFA vom Freitag.

Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) zeigte sich auf Twitter vom Anschlag "schockiert". Auch Deutschland und die USA verurteilten die Tat. US-Außenminister Antony Blinken teilte mit: "Wir verfolgen die Entwicklungen genau und werden auch weiterhin in regelmäßigem Kontakt mit unseren israelischen Partnern stehen, mit denen wir angesichts von sinnlosem Terrorismus und Gewalt entschlossen zusammenstehen." Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock twitterte, Feiglinge hätten normale israelische Bürger angegriffen.

Noch keine Beschränkungen im Westjordanland

In den vergangenen zwei Wochen waren in Israel bei einer Terrorwelle elf Menschen getötet worden. Bei zwei der drei Attentate waren die Angreifer israelische Araber mit Verbindungen zur jihadistischen Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS). Bei einem Anschlag Anfang vergangener Woche war der Attentäter ein Palästinenser. Das Land befürchtet weitere Gewaltakte während des muslimischen Fastenmonats Ramadan, der vergangenen Samstag begonnen hat.

Israels Regierung verkündete zunächst aber keine strengeren Auflagen für Palästinenser im besetzten Westjordanland. Assaf Orion vom Institut für Nationale Sicherheitsstudien in Tel Aviv sieht die Behörden in einem Zwiespalt: Auf der einen Seite wolle man die Bewegungsfähigkeit von Einzeltätern einschränken und so Anschläge verhindern. Auf der anderen Seite wolle man weder die allgemeine Bevölkerung im Westjordanland gegen sich aufbringen, noch eine Front mit einer der Terrororganisationen aufmachen. "Das ist ein schmaler Grat, auf dem man sich bewegt", sagte der Brigadegeneral der Reserve. Allerdings berichteten ältere Palästinenser aus Jenin, dass ihnen am Freitag der Zugang nach Jerusalem verwehrt wurde – entgegen den aktuellen Vorgaben. Sie wollten demnach für das Freitagsgebet zur Al-Aqsa-Moschee auf den Juden und Muslimen heiligen Tempelberg (Al-Haram al-Sharif).

Der Ramadan fällt am kommenden Wochenende zusammen mit dem Osterfest und dem Beginn des jüdischen Pessachfests. Dazu erwartet das Tourismusministerium rund 30.000 Touristen allein in der kommenden Woche. Erst seit März dürfen in der Corona-Pandemie wieder ungeimpfte Touristen ins Land einreisen. Israel hatte mit Beginn der Pandemie vor rund zwei Jahren die Grenzen für Touristen geschlossen. Das Tourismusministerium zeigte sich am Freitag optimistisch: "Trotz jüngster Terrorattacken sind sich die Büros des Ministeriums keiner signifikanten Zahl an Stornierungen oder einem Einfluss auf Reisen an Ostern und Pessach bewusst", hieß es. Den Menschen sei bewusst, dass es Anschläge auch in den USA und Europa geben könne. Israel sei bestens vorbereitet, um auf Sicherheitsvorkommnisse zu reagieren.

Politik im Krisenmodus

In Tel Aviv war es in der Vergangenheit wiederholt zu Anschlägen gekommen. Auf der Dizengoff-Straße hatte bereits im Jänner 2016 ein israelischer Araber zwei Menschen erschossen. Im Juni 2016 erschossen zwei Palästinenser im zentralen Sarona-Park vier Israelis und verletzten mehrere weitere.

Ministerpräsident Bennett befindet sich aktuell auch politisch im Krisenmodus: Am Mittwoch verlor seine Acht-Parteien-Regierung überraschend ihre hauchdünne Mehrheit im Parlament. Eine Abgeordnete seiner Regierungspartei Yamina trat aus dem Bündnis aus, nach Medienberichten wegen eines Streits über religiöse Angelegenheiten.

Wenn am 8. Mai die Knesset nach der aktuellen Sitzungspause wieder zusammenkommt, könnte die Opposition versuchen, Bennett mit einem alternativen Kandidaten als Ministerpräsidenten abzulösen. Die Knesset könnte sich auch selbst auflösen, dann käme es innerhalb von 90 Tagen zu Neuwahlen. Ex-Regierungschef Benjamin Netanjahu forderte bereits einen Regierungswechsel. (APA, 8.4.2022)