Wer verdient, soll sich an den Kosten für seine Grundversorgung beteiligen, sagt die Diakonie-Direktorin Maria Katharina Moser im Gastkommentar.

Wer mehr als 485 Euro verdient, fällt aus der Grundversorgung und steht vor der fast unlösbaren Herausforderung, sich am freien Wohnungsmarkt eine Unterkunft suchen zu müssen.
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Familie N. kommt langsam zur Ruhe, beginnt, die Schrecken des Krieges und die Angst während der Flucht zu verarbeiten. Am 25. März ist das Ehepaar samt achtjährigem Kind und 75-jähriger Großmutter in eine 1,5-Zimmer-Wohnung eingezogen – ein Grundversorgungsquartier, das von der Diakonie organisiert wurde und mobil betreut wird. Und Betreuung braucht die Familie. Die Großmutter ist schwer traumatisiert, erst hat sie ihren Mann verloren, dann wurde ihr Dorf dem Erdboden gleichgemacht. Das Kind ist Autist und braucht entsprechend Betreuung. Nach einigen Tagen in ihrem neuen Zuhause wirkt die Familie schon stabiler. Doch so manche Frage ist noch offen. Wie für viele, die aus der Ukraine geflohen sind und in Österreich Schutz suchen.

Klar ist: Sie werden in Österreich in die Grundversorgung aufgenommen. So bekommen sie ein Dach über dem Kopf und Basisversorgung – wie Asylwerbende aus anderen Ländern. Klar ist auch: Menschen, die aus der Ukraine geflüchtet sind, bekommen sofort einen Schutzstatus. Anders als Schutzsuchende aus anderen Ländern müssen sie kein Asylverfahren durchlaufen. Denn die EU hat die Temporary Protection Directive (auf Deutsch unschön "Massenzustromrichtlinie" genannt) in Kraft gesetzt – zum ersten Mal, seit die Richtlinie 2001 im Nachklang der Jugoslawienkriege verabschiedet wurde.

Ziel der Richtlinie ist es, Vertriebenen sofort befristeten Schutz zu gewähren und so eine Überlastung der Asylsysteme der EU-Mitgliedsstaaten zu vermeiden. Für die Vertriebenen bedeutet das: Ihnen werden unmittelbar Rechte eingeräumt, die ansonsten Asylberechtigten nach einem positiv abgeschlossenen Asylverfahren zuerkannt werden. Dazu gehört insbesondere der Zugang zu Arbeitsmarkt und Sozialleistungen. Hier beginnen die offenen Fragen.

Die "Inaktivitätsfalle"

Sobald Vertriebene die sogenannte blaue Karte haben, können sie Arbeit aufnehmen – theoretisch. Praktisch stehen sie vor einer "Inaktivitätsfalle", wie AMS-Chef Johannes Kopf formuliert. In der Grundversorgung gibt es eine Zuverdienstgrenze von derzeit 110 Euro plus 80 Euro pro nicht verdienendem Familienmitglied. Würde also Herr N. oder Frau N. einen Job finden – was sie sehr gerne würden – und über 350 Euro verdienen, müsste die Familie aus der Grundversorgungswohnung, in die sie eben eingezogen ist, wieder ausziehen und würde obendrein auch die Basisversorgung verlieren.

Die Politik hat das Problem grundsätzlich erkannt, nach einer Lösung wird noch gesucht. Eine Erhöhung der Zuverdienstmöglichkeit Richtung Geringfügigkeitsgrenze von 485 Euro ist in Diskussion, doch dem hat Kärnten nicht zugestimmt. Mit der Begründung, dass die Neuregelung auf Ukraine-Vertriebene beschränkt sei und andere Personen in der Grundversorgung außen vor lasse, das verletze den Gleichheitsgrundsatz.

Wohnung mit geringfügigem Einkommen?

Die Argumentation ist nachvollziehbar, greift aber zu kurz. Die Anhebung auf 485 Euro befreit nämlich nicht aus der "Inaktivitätsfalle". Die Aufnahme einer Erwerbsarbeit ist nur bei Einkommen über 1000 Euro halbwegs realistisch. Denn wer die Grundversorgung verliert, ist auf den freien Wohnungsmarkt verwiesen. Und wie soll man sich da mit einem etwas mehr als geringfügigen Einkommen eine Wohnung leisten können? Dass Vertriebene sofort gut bezahlte Jobs aufnehmen werden, ist unwahrscheinlich, zumal viele von ihnen Frauen mit Kindern sind und wohl eher Teilzeit arbeiten werden – Kinderbetreuung vorausgesetzt, auch das eine offene Frage.

An Kosten beteiligen

In Österreich diskutieren wir gerne über Begrenzungen. Doch anstatt sich hier in Rechenbeispielen zu verlieren, wäre eine grundlegende Reform der Grundversorgung angesagt. Die Zuverdienstgrenze muss abgeschafft werden – und zwar für alle Personen, die in Grundversorgung sind. Im Gegenzug braucht es ein Modell, nach dem sich Menschen, die arbeiten und verdienen, an den Kosten für die Grundversorgung beteiligen.

Wenn also Inkompatibilitäten zwischen Grundversorgung und Arbeitsmarktzugang den Weg raus aus der Grundversorgung (noch?) verstellen – wie kommen Vertriebene dann heraus? Für Asylwerberinnen und Asylwerber endet die Grundversorgung ja in der Regel mit der Asylgewährung. Vertriebene haben aber bereits Schutz. Damit sie nicht mit Open End in der Grundversorgung bleiben, ist ein genereller Umstieg in die Sozialhilfe spätestens nach einem Jahr Vertriebenenstatus ratsam. Insbesondere auch um Diskriminierung älterer oder nicht erwerbsfähiger Personen zu vermeiden.

Offene Fragen

Womit wir wieder bei der Gleichbehandlung wären: Vertriebene haben von Anfang an Schutzstatus und wären, recht besehen, Asylberechtigten gleichzuhalten. Asylberechtigte wiederum sind österreichischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern gleichgestellt und haben Zugang zu Familienbeihilfe, Pflegegeld, Leistungen für Menschen mit Behinderungen und Sozialhilfe. Wie und wann Vertriebene hier Zugang bekommen, ist eine offene Frage, die vielleicht nicht die erste ist, aber geklärt werden muss. Damit Großmutter N. Pflege und ihr Enkel die benötigte Betreuung bekommen kann und Frau N. und Herr N. nach der ersten Phase der Stabilisierung in ihrem neuen Zuhause Zukunftsperspektiven entwickeln können. (Maria Katharina Moser, 11.4.2022)