"Boah, wie geil! Will auch!"

Na dann mach!

"Nein, ich bin noch nicht so weit. Das dauert noch."

Was soll das heißen?

"Ich bin nicht gut genug, Trail laufen zu können."

???

"Na ja, Traillaufen ist schon extrem. Da muss man vorher doch auch Marathon können."

Wie kommst du da drauf?

"Die Bilder: Lauter Extremsportler im hochalpinen Gelände. Urschön – voll anstrengend. Und auch gefährlich. Aber ein Traum wäre es."

Gehst du manchmal Rad fahren? Mit den Kindern, mein ich …

"Ja klar, wieso?"

Weil nach dieser Logik dürfte nur aufs Rad, wer mindestens die Tour de France draufhat.

Foto: Tom Rottenberg

Vergangene Woche war es wieder einmal so weit: Auf die Geschichte vom Lauf über die kurz wieder winterlich anmutenden Wienerwaldhügel zwischen Heiligenstadt und Hütteldorf kamen etliche Kommentare und Anmerkungen wie der Dialog oben.

Eh nicht ganz unerwartet. Trotzdem überrascht mich jedes Mal, wie apodiktisch viele LäuferInnen glauben, dass Traillaufen nix für sie ist. Weil sie es angeblich nicht können. Manche glauben ja tatsächlich sogar "nicht dürfen" – solange sie nicht den Bildern von Kilian Jornet und anderen Superstars des Metiers entsprechen.

Komischerweise legt sich in der Ebene, auf der "Straße", aber niemand Eliud Kipchoge oder Julia Mayer als Latte.

Foto: Tom Rottenberg

Woher diese Ehrfurcht – eigentlich ja Angst – kommt? Keine Ahnung. Aber sie ist da.

Dabei tun die, die sich lieber über Stock und Stein als auf Asphalt schnell oder flott vorwärts bewegen, in der Regel eh alles, um diesen Nimbus zu verblasen und diese Schwellenangst abzubauen.

Weil sie wissen: Es gibt keinen Grund, sich vor der asphaltfreien Laufwelt zu fürchten. Ganz im Gegenteil: Schöner als im Wald oder auf der Wiese geht nicht. Und: Traillaufen ist keine Raketenwissenschaft.

Dass es natürlich das Gegenteil von schlau wäre, das Verlassen der planiert-betonierten Pisten gleich bei dem UTMB – dem Olymp der Traillauf-Wettkampfwelt am Montblanc – zu beginnen, sollte eigentlich auch klar sein.

Nur: Dass man mit dem Straßenlaufen nicht beim Berlinmarathon beginnt und die Triathlonkarriere nicht in Kona, muss man ja auch niemandem erklären. Trail aber …

Foto: Tom Rottenberg

Umso feiner ist es, wenn die, die auf diesem Terrain kompetent sind, dann hin und wieder ganz bewusst zu Einsteiger- Events laden. Seien es Gruppen wie Trailrunning Vienna – oder aber Hersteller und Shops, denen man bei diesem Thema eines sicher nicht unterstellen kann: Inkompetenz oder mangelnde Erfahrung.

Dass Traillaufen für sie ein Business-Case ist: jo eh. Aber gerade wenn es um Anfängerinnen und Anfänger geht, ist das wohl sogar ein Vorteil: Kein Unternehmer, keine Unternehmerin, schädigt oder verschreckt mit Vorsatz und Absicht jene Klientel, auf deren Euphorie er oder sie in Zukunft aufbauen möchte.

Auch deshalb habe ich kein Problem damit, hier heute über den "How to Trail"-EinsteigerInnen-Wokshop zu erzählen, zum dem der Trail-Ausrüstungs-Platzhirsch Salomon und der Wiener Trail-Laufshop Traildog Running vergangenen Sonntag luden.

Foto: Tom Rottenberg

Bevor sich jemand bemüßigt fühlt, es "aufzudecken": Dass Ed und Elisa Kramer, die beiden "Traildogs", zu meinen besten Freunden gehören, ist kein Geheimnis. Nur ändert das nix daran, dass ihr Laden einer der wenigen Wiener Laufschuhshops ist, die ich vorbehaltlos empfehle. Die anderen, in alphabetischer Reihenfolge: Blutsch, RunInc, Tony und WeMove.

Was im Shopping-Alltag mitunter ein bisserl blöd ist, ist bei einem Trail-Workshop dann sogar ein Asset: die Lage abseits des Zentrums, im 23. Bezirk an der Liesing. Dort, wo die Stadt und der Wald einander beinahe berühren.

Foto: Tom Rottenberg

Traillaufen ist, wie schon gesagt, nicht Rocket-Science. Vieles, was es da zu beachten gibt, ist "eh kloa". Zumindest dann, wenn man es einmal behirnt hat.

Die Sache mit den Schuhen zum Beispiel: Dass man mit einem Straßen(lauf)schuh grundsätzlich auch im Wald laufen kann, ist nicht weiter überraschend. Solange der Boden fest und griffig ist. Flach ist da – und das wäre schon das erste Missverständnis – gar nicht so entscheidend.

Aber sobald das Terrain rutschig oder nass wird, schaut die Sache anders aus. Da zählt "Grip" plötzlich viel mehr als Dämpfung. Und wenn der Weg "blockig", also alpin-steinig-unregelmäßig, wurzeldurchwachsen oder felsig-schartig wird, wird der Schutz des Fußes von unten und der Seite zum Thema.

Foto: Tom Rottenberg

Doch genauso wie man im Stadtwinter selten Moonboots braucht, brauche ich im Wienerwald "schwere", nach allen Seiten massiv geschützte Trailschuhe für den hochalpinen Einsatz – mit denen ich eventuell sogar Kletterpassagen halbwegs sicher schaffe. Aber: Wer will, der darf natürlich.

Und klar: Wenn ich mir nur ein Paar Geländeschuhe leisten kann oder will, nehme ich eines, das eventuell auch "harte" Einsätze verkraftet.

Obwohl im Trail-Alltag sogenannte Hybrid-Schuhe in der Regel absolut ausreichen. Also Schlapfen, mit denen ich beim VCM zwar wenig Spaß hätte, die mir ein paar Kilometer Asphalt aber eben auch nicht zur Qual machen.

Im Nichthochalpinen sind diese Schuhe absolut sinnvoll – erst recht im urbanen Umfeld: Die Wahrscheinlichkeit, dass hinter dem Haus der Wald beginnt, dass man also außer Trail nur Trail läuft, ist ja eher gering.

Foto: Tom Rottenberg

Womit wir beim nächsten Punkt wären: Der Frage, ab wann Traillaufen eigentlich Traillaufen ist. Die Definition, dass es dafür einen festgeschriebenen nichtasphaltierten Mindestanteil von 60, 70 oder 75 Prozent der Strecke gibt, ist eher akademisch – für Wettkampfveranstalter aber relevant.

Wichtiger ist im Alltag, was der Fuß vor- oder untergesetzt bekommt: die "unpaved surface" nämlich – also einen Untergrund, der nicht die immergleiche, verlässliche Monotonie eines Asphaltbands liefert, sondern bei jedem Schritt anders ist. Den Fuß also fordert.

Obwohl schon ein geschottert-gewalzter Spazierweg mit seinen kleinen Unregelmäßigkeiten der superkomplex-genialen Maschine "Fuß" bei jedem Schritt andere Signale und andere Informationen schickt.

Marginal anders – aber eben doch.

Foto: Tom Rottenberg

Ob man das als Mühsal, die Kraft und Tempo kostet, betrachtet oder doch als permanente Challenge, als ständiges Lernprogramm für Fuß, Sprunggelenk und Bein, sodass der Bewegungsapparat auch mit Unvorhergesehenem besser zurande kommt, ist eine Frage der Betrachtungsweise.

Was Trainingseffekte angeht, ist der "unruhige" Boden allemal zu empfehlen – auch weil die Fähigkeit, unterschiedliche Reize rasch, ohne bewusst über sie nachdenken zu müssen und intuitiv zu verarbeiten, ein zentraler Punkt der Verletzungsprophylaxe ist. Und das macht sich dann wieder beim Tempobolzen auf dem Asphalt bezahlt.

Foto: Tom Rottenberg

Natürlich ist Laufen trotzdem unabhängig vom Terrain grundsätzlich einmal Laufen, erklärt Salomon-Trail-Coach Markus Rothberger (links, weiße Jacke) gleich zu Beginn des Workshops. Dennoch gebe es da ein paar grundlegende technische Unterschiede zwischen Straße und Trail: "Auf der Straße läuft man raumgreifend. Mit langen, möglichst gleichmäßigen Schritten und einer hohen Frequenz." Die Verlässlichkeit, Vorhersehbarkeit und Monotonie des Untergrunds beim Straßenlauf gebe Sicherheit – und dadurch könne man auf Tempo, auf Pace fokussieren. "Auf dem Trail ist kein Schritt wie der andere. Man muss ständig schauen – und jeden Schritt mitdenken."

Foto: Tom Rottenberg

Was so logisch und einfach klinge, sei aber für viele "geeichte" StraßenläuferInnen ein echter Paradigmenwechsel, an dem sie oft richtig beißen müssten. Traillaufen sei im Gegensatz zum Straßenlauf immer eine Übung in Achtsamkeit. Per se "spielerischer" – auch was das Miteinander angehe: Außer im echten Wettkampf seien Leistungen kaum vergleichbar – das nehme oft Verbissenheit und Konkurrenzdenken aus dem Laufen.

Foto: Tom Rottenberg

Auch sich selbst gegenüber: "Gehen ist keine Schande: Schnelles Gehen hilft Kraft zu sparen", referiert Rothberger. Speziell bergauf: "Je steiler es ist, desto kürzer wird der Schritt: Man steigt nicht weit vor, sondern hebt das Knie und stakst mit Vorlage – wie ein Storch." Oft sei gehen auch gar nicht langsamer als laufen: "Keiner, nicht einmal die Elite, rennt immer." Nur zeige man das halt kaum je auf Insta oder sonst wo.

Auch die Arme würden im Gelände anders als im Straßenlauf eingesetzt. "Nutze die Schwungbewegung, die Masse des Arms bewusst – speziell in Bergaufpassagen: Manchen hilft es, sich ein Gummiband am Arm vorzustellen, das das Bein mithebt."

Foto: Tom Rottenberg

Und ganz zentral sei die Frage von Blick und Fokus: Der alte Fahrschulsatz, dass man immer dorthin steuert, wo man hinschaut, gelte natürlich auch beim Laufen.

Potenzielle Stolperstellen zu fixieren und anzustarren sei daher oft kontraproduktiv: "Lies das Gelände. Wie beim Auto oder auf dem Rad gilt, dass man zwei Sekunden vorausschauen sollte: Das merkt sich der Kopf – er speichert den 'Abstellplatz' des Fußes ab." Und lerne so, Gelände zu nutzen: "Wenn es solide ist, steig nicht drüber, sondern drauf – das hilft Kraft zu sparen."

Außerdem sei man dadurch vor Aus- und Wegrutschen eher gefeit.

Auch Downhill auf dem Vorfuß zu laufen, so Rothberger, erhöhe die Sicherheit: "Erstens dämpft dann das Sprunggelenk zusätzlich. Zweitens bleibt dir die Ferse als Rettungsanker, wenn du doch wegrutschst. Und drittens ist die Umknickgefahr auf dem Vorfuß deutlich geringer als auf der Ferse."

Foto: Tom Rottenberg

Gegen Rutschen und für mehr Grip hilft natürlich eine bessere Verteilung des Gewichts – statt auf zwei auf drei oder vier Auflagepunkte: im steileren Gelände und auf längeren Touren gehören Stöcke längst auch bei Eliteläufern zur Standardausrüstung. Da der klassische, diagonale Stockeinsatz bergauf in "blockigem" Gelände oft jeden Laufrhythmus konterkariert, empfiehlt der Coach die Stecken "freestyle" einzusetzen.

Bergab dann sowieso – mit einem ganz zentralen Zusatz speziell für schnellere Passagen: "Raus aus den Schlaufen: Wenn der Stock wo hängen bleibt, endet das sonst böse!"

Foto: Tom Rottenberg

Sicher: Vieles von dem, was da am Sonntag erklärt und gezeigt wurde, klingt nach Binsenweisheiten. So wie der Hinweis, dass es nie falsch ist, einen Rucksack und in dem doch noch ein warmes Shirt und einen Regenschutz dabeizuhaben: Darüber kann man natürlich vor einer kurzen Sieben-Kilometer-Runde von Liesing zur Mizzi-Langer-Wand ein bisserl lächeln.

Aber wenn prompt dann, wenn die Gruppe am Grat entlangrennt, ein kurzer April-Schneesturm ausbricht, sind auch die Rucksacklos-Grinsenden froh, wenn irgendwer noch eine Jacke oder ein Shirt übrig hat: "Learning by Einfahring" funktioniert in U-Bahn-Nähe gut. Für Wald oder Berg eignet es sich aber eher weniger: ein verknackster Fuß bei Wind und einem Regenguss im Wald? Da lacht dann rasch keiner mehr. Auch nicht im so harmlosen Wienerwald.

Foto: Tom Rottenberg

Dennoch soll das kein Grund sein, sich nicht dorthin zu wagen, wo Laufen am schönsten ist: abseits der asphaltierten, planierten Strecken nämlich.

Traillaufen ist keine Geheimwissenschaft. Nichts, was nur die ganz ganz Harten sich trauen dürfen. Es ist einfach und braucht gar keine Extreme, um zu wirken.

Und das Schönste: Es beginnt meist wenige Meter hinter der Haustür.

Foto: Tom Rottenberg

Ein kleiner Nachtrag: Bei Traildog, aber auch in anderen Laufschuhshops (etwa WeMove), stehen derzeit Kartons und Kisten wie die im Bild.

Darin wird sauberes und brauchbares (!!!!) Lauf- und Sportoutfit für Frauen und Kinder gesammelt.

Weil Sportausrüstung eher nicht zu dem gehört, was Menschen auf der Flucht noch rasch einpacken, Sport aber helfen kann, vor allem Kindern ein Stück Normalität zurückzugeben.

Der Wiener Sportverein "Randsportarten" versucht deshalb, geflüchtete Kinder und Jugendliche (und ihre Mütter) zum Laufen einzuladen – und sammelt unter anderem bei Traildog und WeMove die dafür nötigen Schuhe und Ausrüstung. (Tom Rottenberg, 12.4.22)


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