Nordafrika statt Russland: Durch die Pipelines nach Italien wird künftig mehr Erdgas aus Algerien fließen.

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Rom – Die heute geschlossenen Vereinbarungen mit der algerischen Regierung und dem algerischen Energiekonzern Sonatrach sind eine erste wichtige Etappe auf dem Weg, unser Land von russischen Gaslieferungen unabhängig zu machen": Das erklärte Italiens Ministerpräsident Mario Draghi nach seinem Treffen mit dem Staatspräsidenten von Algerien, Abdelmadjid Tebboune. Italiens Regierung arbeite mit Hochdruck daran, seine Bürgerinnen und Bürger und Unternehmen von den Auswirkungen des Krieges in der Ukraine zu schützen, betonte Draghi.

Das am Montag zwischen dem italienischen Energieversorger ENI und dem algerischen Partner Sonatrach geschlossene Abkommen sieht vor, dass Italien noch heuer zusätzliche drei Milliarden Kubikmeter Erdgas aus Algerien wird importieren können. Je weitere drei Milliarden Kubikmeter sollen in den beiden nächsten Jahren dazukommen.

Die Gaslieferungen werden über die bestehende Mittelmeer-Pipeline, die Algerien mit Westsizilien verbindet und derzeit nicht ausgelastet ist, erfolgen. Bereits heute stammen knapp 30 Prozent der italienischen Gasimporte aus Algerien, wo ENI seit Jahrzehnten Öl- und Gasfelder betreibt. Mit den zusätzlichen neun Milliarden Kubikmetern wird der Maghreb-Staat zu Italiens wichtigstem Gaslieferanten.

Hoher Anteil an Erdgas

Diese Position hat in Italien derzeit noch Russland inne – Italien ist ähnlich abhängig von russischen Gaslieferungen wie Deutschland. Der Grund: Nach der Tschernobyl-Katastrophe von 1986 schaltete Italien alle Atomkraftwerke ab; zudem hat das Land kaum Kohlekraftwerke. Rund 60 Prozent des elektrischen Stroms werden deshalb in Gaskraftwerken erzeugt. Weil fast alle Italiener mit Erdgas heizen und kochen, ist der Anteil dieses Energieträgers am nationalen Energiemix so hoch wie kaum in einem anderen Land: 42 Prozent. Im EU-Schnitt liegt er bei 25 Prozent. Etwa 40 Prozent des importierten Gases stammen derzeit noch aus Russland.

Mit den zusätzlichen neun Mrd. Kubikmetern aus Algerien kann Italien schon einmal fast ein Drittel der russischen Gaslieferungen ersetzen. Mit weiteren zwei bis drei Mrd. Kubikmetern zusätzlich rechnet Draghi aus Libyen, das ebenfalls bereits mit einer Pipeline mit Italien verbunden ist. Außenminister Luigi Di Maio wiederum verhandelt derzeit mit Aserbaidschan über eine Erhöhung der Lieferungen über die Trans Adriatic Pipeline nach Apulien.

Schwimmende Terminals

Die Produktion hochfahren sollen aber auch die drei bestehenden Flüssiggasterminals in La Spezia, Livorno und Rovigo; zudem plant Italien den Kauf oder die Miete zweier schwimmender Terminals. In einem, höchstens aber in zwei Jahren könnten so weitere zehn Milliarden Kubikmeter zusätzlich ins Netz eingespeist werden.

Und nicht zuletzt könnte Italien die eigene Gasproduktion forcieren: Vor zwanzig Jahren hatte das Land auf verschiedenen Gasfeldern vor seiner Küste und auf dem Festland immerhin 20 Mrd. Kubikmeter Gas gefördert; im Vorjahr waren es nur noch etwas mehr als drei Milliarden. Kurzfristig könnte die Eigenproduktion um rund zwei Mrd. Kubikmeter gesteigert werden. Draghi und sein Minister für ökologische Transition, Roberto Cingolani, sind jedenfalls zuversichtlich, sich relativ rasch aus der Abhängigkeit von Russland befreien zu können. 15 bis 25 Mrd. Kubikmeter könne man heuer noch ersetzen, so Cingolani.

Im öffentlichen Diskurs wenig Beachtung findet in Italien der Ausbau von Alternativenergien. Dies hat aber damit zu tun, dass für deren Förderung im Rahmen des EU-Wiederaufbaufonds ohnehin dutzende Milliarden Euro eingesetzt werden sollen.

Friede statt Klimaanlage

Premier Draghi hat die Nation letzte Woche auch auf mögliche Rationierungen von Gas und Strom eingestimmt. "Wir müssen uns fragen, was wir vorziehen: Wollen wir den Frieden – oder den ganzen Sommer die Klimaanlage laufen lassen?", lautete seine rhetorische Frage. Italien, betonte Draghi, würde sich trotz der derzeit noch hohen Abhängigkeit von russischem Gas einem totalen Boykott der russischen Energieträger anschließen. (Dominik Straub aus Rom, 13.4.2022)