Schwieriges Verhältnis: Wolodymyr Selenskyj, Angela Merkel, Wladimir Putin (v. li.).

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Das "Mea culpa" kam von ganz oben, aus dem Berliner Schloss Bellevue. "Meine Einschätzung war, dass Wladimir Putin nicht den kompletten wirtschaftlichen, politischen und moralischen Ruin seines Landes für seinen imperialen Wahn in Kauf nehmen würde", sagte dieser Tage der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Und er fügte hinzu: "Da habe ich mich, wie andere auch, geirrt."

Steinmeier ist seit 2017 Bundespräsident. Zuvor hat er jahrelang die aktive Politik Deutschlands mitgeprägt. Unter Kanzlerin Angela Merkel war er von 2013 bis 2017 deutscher Außenminister.

Im Februar, kurz vor dem russischen Einmarsch in der Ukraine, wurde er für eine zweite Amtszeit gewählt und hielt damals eine bemerkenswerte Rede im Bundestag, in der er Putin scharf angriff. Viele meinten darauf hin, es sei jene Rede, die eigentlich der deutsche Kanzler Olaf Scholz halten hätte müssen. Und dass es Steinmeiers wichtigste Rede war.

Umstrittene Gaspipeline

Jetzt räumt Steinmeier auch eine falsche Einschätzung bei der Gasversorgung ein: "Mein Festhalten an Nord Stream 2, das war eindeutig ein Fehler. Wir haben an Brücken festgehalten, an die Russland nicht mehr geglaubt hat und vor denen unsere Partner uns gewarnt haben."

Er ist nicht der Einzige, der sich reumütig gibt. Auch die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig (SPD), leistet Abbitte. Jahrelang hat sie Nord Stream 2 forciert, die Pipeline endet ja an der Ostseeküste ihres Bundeslandes. Schwesig hat sogar eine Umweltschutzstiftung ins Leben gerufen, damit die Pipeline trotz US-Sanktionen fertiggestellt werden kann. Nun nennt die Ministerpräsidentin Putin einen "Kriegsverbrecher" und geht auf Distanz zu Nord Stream 2. Das Projekt sei zu lange verfolgt worden. Schwesig: "Auch ich habe diesen Fehler gemacht."

Wenig hingegen hört man von der ehemaligen deutschen Regierungschefin Angela Merkel (2005 bis 2021). Einmal hat sie ihre Sprecherin erklären lassen: "Bundeskanzlerin a. D. Dr. Angela Merkel steht zu ihren Entscheidungen im Zusammenhang mit dem Nato-Gipfel 2008 in Bukarest." Damals hatte Merkel mit dem französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy einen Nato-Beitritt der Ukraine verhindert, was ihr der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj heute vorwirft. Sie möge doch mit Sarkozy nach Butscha fahren und sich die Gräueltaten der Russen ansehen, sagt er.

Vorwürfe von Selenskyj

Merkel wird sich laut ihrer Sprecherin nicht weiter äußern, was auch in der CDU für Diskussionen sorgt. Zwar stellte sich die Parteispitze hinter sie, Generalsekretär Mario Czaja betonte: "Es wäre vermessen, zu behaupten, dass Angela Merkel eine Mitschuld am Krieg in der Ukraine trifft. Es ist Putins Krieg gegen die Ukraine und der seiner Verbrecherclique im Kreml."

Doch Fraktionsvize Johann Wadepuhl meint: "Ich würde mir wünschen, dass Angela Merkel bald einmal Zeit und Anlass findet, sich vertieft zu ihrer Russland-Politik zu äußern." Auch Daniel Günther (CDU), Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, hofft auf eine Aufarbeitung in der eigenen Partei: "Mit dem Wissen heute gibt es kaum jemanden, der bestreitet, dass da Fehler gemacht worden sind und dass man zu leichtgläubig war." (Birgit Baumann aus Berlin, 13.4.2022)