Frank-Walter Steinmeier ist in Kiew unerwünscht.

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Deutlich wie kein anderer Politiker hat der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier erst kürzlich Fehler im Umgang mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin in den vergangenen Jahren eingestanden – und dennoch wurde er vom ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zur unerwünschten Person in Kiew erklärt. Steinmeier selbst gab sich diplomatisch und erklärte bei einem Besuch in Warschau: "Ich war dazu bereit. Aber offenbar – und ich muss zur Kenntnis nehmen – war das in Kiew nicht gewünscht."

Doch in Berlin sorgt die Ausladung, bei allem Verständnis für Selenskyjs schwierige Lage, für Unmut. "Das ist mehr als ärgerlich. Wir sind befreundete Länder, und es wäre ein gutes Zeichen gewesen, wenn zusammen mit den anderen Regierungschefs auch Steinmeier nach Kiew gereist wäre", sagt der SPD-Außenpolitiker Nils Schmid. Unfroh ist auch Michael Roth (SPD), der Vorsitzende des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten im Bundestag. Er sagte zum "Spiegel": "Uns erreichte diese Nachricht, als wir bereits in der Ukraine waren. Ich konnte es anfangs gar nicht glauben. Gerade jetzt ist es doch wichtig, im Gespräch zu bleiben. Ich bin über diese Ablehnung sehr enttäuscht. Sie ist gegenüber unserem Staatsoberhaupt auch nicht gerechtfertigt."

Drei Abgeordnete in Lemberg

Roth war mit zwei anderen deutschen Politikern gerade in der Ukraine: gemeinsam mit Anton Hofreiter (Grüne), dem Bundestagsausschuss-Vorsitzenden für Europa, und der Leiterin des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP). Die drei trafen ukrainische Abgeordnete in Lemberg. "Der Wunsch nach schweren Waffen wurde uns sehr klar vermittelt – und auch der nach einem kompletten Energieembargo", erklärte Hofreiter und betonte: "Ich bin wenigstens für einen sofortigen Stopp der Öleinfuhren aus Russland."

Verwundert zeigt sich die deutsche Regierung. "Der Bundespräsident bezieht klar und eindeutig aufseiten der Ukraine Stellung", betonte ein Regierungssprecher. Nach seiner Wiederwahl habe Steinmeier an den russischen Präsidenten Wladimir Putin appelliert: "Lösen Sie die Schlinge um den Hals der Ukraine!" Er habe unterstrichen, dass kein Land der Welt das Recht habe, die Selbstbestimmung und Souveränität der Ukraine zu zerstören. "Deutschland gehörte und gehört international zu den entschiedensten Unterstützern der Ukraine, und dies ist eng mit der langjährigen Arbeit des heutigen Bundespräsidenten verbunden", so der Sprecher.

Auch CDU übt Kritik

Kritik an Steinmeiers Ausladung kommt auch aus der Union. Deren außenpolitischer Experte Jürgen Hardt (CDU) sieht eine "schwere Belastung" des Verhältnisses zur Ukraine. Er fordert noch am Mittwoch ein Telefonat zwischen Selenskyj und dem deutschen Kanzler Olaf Scholz. Die beiden, so Hardt, sollten "unter zwei Ohren die Dinge besprechen, auch alle Beschwernisse auf beiden Seiten auf den Tisch legen". An den Kanzler hat Hardt noch eine Aufforderung: "Früher oder später muss Scholz auch selbst das direkte Gespräch mit Selenskyj in der Region suchen, idealerweise in Kiew." Anders sieht das Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP): "Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Kanzler einer von der FDP mitgetragenen Regierung in ein Land reist, das das Staatsoberhaupt unseres Landes zur unerwünschten Person erklärt."

Auf eine Reise des deutschen Kanzlers hofft auch die Ukraine. Scholz war kurz vor Kriegsausbruch in Kiew bei Selenskyj und reiste von dort nach Moskau weiter. Seit Kriegsbeginn war er weder in Kiew noch in Moskau, hat aber die Mission von Bundeskanzler Karl Nehammer bei Putin begrüßt. Diese war auch im Vorfeld zwischen Wien und Berlin abgesprochen.

Botschafter für Scholz-Besuch

Einen Besuch von Scholz erwartet auch Kiew. Der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, sagte in einem auf ProSieben und Sat.1 ausgestrahlten Interview, es sei wichtig, "dass der Regierungschef nach Kiew kommt". Die Ukraine brauche mehr schwere Waffen aus Deutschland, darüber sollte sich Scholz in Kiew direkt informieren. "Darauf freut sich mein Präsident", so Melnyk.

Im März war Melnyk einem von Bundespräsident Steinmeier veranstalteten Solidaritätskonzert ferngeblieben. In der Berliner Philharmonie spielten Musiker unter anderem aus der Ukraine, aus Russland, Belarus und Deutschland gemeinsam Stücke ukrainischer, russischer und polnischer Komponisten. Die beiden Solisten, der Starpianist Jewgeni Kissin und der Bariton Rodion Pogossov, stammen aus Russland. Melnyk hatte damals auf Twitter erklärt: "Nur russische Solisten, keine UkrainerInnen. Ein Affront. Sorry, ich bleibe fern." (Birgit Baumann aus Berlin, 13.4.2022)