STANDARD: Herr Foschini, in Zeiten der Klimakrise und der Debatte darüber, die in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist: Hat ein Supersportwagen heute und in Zukunft noch eine Daseinsberechtigung?

Federico Foschini: Ich denke, die Antwort ist ja, aber wir müssen uns anpassen. Es gibt die neuen Vorschriften, die neuen Instrumente für den Umweltschutz. Und wir müssen dabei einen ganzheitlichen Ansatz verfolgen. Als Erstes müssen wir die Emissionen unserer Autos reduzieren. Es ist klar, dass unsere Autos einzeln gesehen einen sehr hohen CO2-Ausstoß haben. Es stimmt aber auch, dass die Nutzungsprofile dieser Autos sehr begrenzt sind. Da die Lamborghini-Produktion sehr klein ist und nur wenige Kilometer pro Jahr zurückgelegt werden, ist ein Teil der Auswirkungen vernachlässigbar. Aber wir haben eine soziale Verantwortung und wir handeln. Herr Winkelmann hat letztes Jahr erklärt, dass wir unsere gesamte Produktpalette in den Jahren 2023 und 2024 mit dem Huracán-Nachfolger, dem Aventador-Nachfolger und dem Urus in PHEV-Varianten elektrifizieren werden. Und wir werden Ende des Jahrzehnts zu einer vollständig elektrischen Reihe übergehen. Es ist klar, dass die Herausforderung für eine Marke wie Lamborghini, die von Leistung, Fahrgefühl und Fahrspaß angetrieben wird, darin besteht, einen Weg zu finden, wie wir unseren Kunden mit dieser neuen Technologie das gleiche oder sogar ein höheres Level an Emotionen bieten können. Wir handeln also konsequent, und zwar nicht nur beim Produkt, sondern auch was die Effizienz unserer Produktionsanlage angeht. Und wir setzen die Nachhaltigkeit mehr und mehr in allem um, was wir tun, von Veranstaltungen über Materialien bis hin zum Transport.

Federico Foschini im Ad-Personam-Raum im Lamborghini-Werk in Sant'Agata. Hier können Kundinnen und Kunden ihre Wagen individuell zusammenstellen.
Foto: Lamborghini

STANDARD: Nächstes Jahr werden der Audi Q6 e-tron und der Porsche Macan die ersten Fahrzeuge auf der von Audi und Porsche gemeinsam entwickelten PPE-Premium-Plattform sein. Wann kommt der erste PPE-Lamborghini und welche Anforderungen – Stichwort: Supersportwagen – muss dieses Fahrzeug dann erfüllen?

Foschini: Wir starten mit einem vielseitigen Modell und wollen am Ende des Jahrzehnts ein neues Modell im GT-Cluster unseres Portfolios auf den Markt bringen. Ich kann jetzt noch nicht sagen, auf welcher Plattform das sein wird. Wir greifen auf das zurück, was der Konzern macht. Durch Volkswagen sind wir in der Lage, Fahrzeuge zu bauen, die in Bezug auf die DNA und das Fahrgefühl wirklich als Lamborghini erkennbar sind. Was wir jetzt tun, ist, noch intensiver daran zu arbeiten, zu verstehen, was das Rezept ist, um Fahrgefühl und Fahrspaß auf dem gleichen Niveau wie heute zu erreichen. Und das ist eine Herausforderung. Ich denke, wenn man von einem Verbrennungsmotor zu einem Elektroauto wechselt, verliert man viel von dem, was die Emotionen ausmacht: den Sound, manchmal auch das Schaltverhalten des Autos. Auf der anderen Seite hat man die Leistung, denn die Beschleunigung von null auf hundert ist bei einem Tesla hervorragend. Man muss also darüber nachdenken, wie man Emotionen mit Leistung verbinden kann, und das ist etwas, das ganz sicher in unserer DNA liegt. Wir haben bereits einige Ideen, aber wir glauben, dass wir mehr tun müssen, wenn wir als Lamborghini weiterhin anerkannt sein wollen.

STANDARD: Porsche setzt auf E-Fuels für den Motorsport und Sportwagen. Ist das auch ein Weg, den Lamborghini mittel- und langfristig für gangbar hält, und ist sogar eine zweigleisige Strategie denkbar, hier Elektro, dort E-Fuel, je nach Fahrzeugtyp?

Foschini: In Anbetracht unseres Lebenszyklus haben wir ein wenig Zeit, um zu verstehen, was passieren wird. Auf der einen Seite gibt es das Potenzial des vollelektrischen Autos. Auf der anderen Seite können wir sehen, was bei der Entwicklung von E-Kraftstoffen passiert. Und es gibt auch die Möglichkeit, länger mit einem Hybrid-Antriebsstrang zu fahren, vielleicht in Kombination mit einem synthetischen Kraftstoff. Das haben wir auf dem Radar. In dieser Übergangsphase passieren die Veränderungen so schnell, dass es wirklich besser ist, zu schauen, was passieren wird, aber natürlich nicht zu spät zu kommen.

STANDARD: Wie sieht es mit der Zukunft der 10- und 12-Zylinder aus?

Der neue Huracán Tecnica, der gerade in New York vorgestellt wurde.
Foto: Imago

Foschini: Der nächste Aventador, also der Nachfolger, wird immer noch ein V12 sein, aber in Hybridform. Der V12 ist etwas, das Lamborghini definiert und einer der Hauptgründe für unsere Kunden ist, unsere Autos zu kaufen. Wir haben gerade den Huracán Tecnica vorgestellt, der ein V10 ist, und einen weiteren, der Ende des Jahres vorgestellt wird. Das ist unser USP. Aber in der Rangliste vieler Kunden kommt der Motor erst nach dem Design. Mit der Elektrifizierung erhoffen wir uns einen Mehrwert für diese Art von Motoren, die wir heute haben. Wir sind noch nicht fertig mit dem Thema Supersportwagen.

STANDARD: Lamborghini hat in Russland und der Ukraine gute Geschäfte gemacht, die Autos sind bei Oligarchen gefragt. Wird das Geschäft weitergehen?

Foschini: Wir haben in Russland Geschäfte gemacht, in der Ukraine nicht so sehr. Wir sind nicht gegen unsere Kunden, weil das, was passiert, nichts mit unseren Kunden zu tun hat, aber wir müssen die Gesetzgebung in Europa einhalten. Es gibt die Sanktion, die besagt, dass jedes Auto, das über 50.000 Euro kostet, nicht nach Russland verkauft werden darf. Auf der anderen Seite haben wir für die Ukraine 500.000 Euro an die UNHCR gespendet, weil wir die Flüchtlinge in dieser Situation unterstützen wollen. Wir hoffen nicht nur aus geschäftlichen, sondern auch aus menschlichen Gründen, dass so schnell wie möglich wieder Frieden einkehrt.

STANDARD: Welche Rolle spielt der Markt in den USA und China?

Foschini: Beide Märkte wachsen stark. Die USA ist der größte Markt, China kommt direkt dahinter. In China beobachten wir jedes Jahr das Potenzial, um den Vertrieb sorgfältig auszubalancieren, denn wir wollen ein Gleichgewicht wahren, das uns im Falle eines politischen Problems, wie es derzeit auftritt, oder einer Wirtschaftskrise schützt. In der Vergangenheit hatten wir keine Kontinuität bei unseren Autos in China. Jetzt, wo wir sie haben, sind wir nahe an eintausend Autos pro Jahr. Aber ich denke, dass wir noch mehr erreichen können, und wir wachsen vorsichtig.

STANDARD: Wie lange wartet der Kunde im Durchschnitt auf sein Auto und wo liegt die Schmerzgrenze?

Foschini: Wir sind es gewohnt, dass wir immer eine Reihe an Aufträgen haben. Wir haben immer eine höhere Nachfrage als Angebot. Wir stellen fest, dass die Leute auch bereit sind, auf den Urus zu warten, sogar 12 Monate, und das ist kein Problem. Jetzt läuft unsere Produktion fast auf Hochtouren. Es gibt viele Faktoren, die das Luxus-Geschäftsmodell aufrechterhalten, denn wenn man diese Art von Begehrlichkeit verliert, funktioniert das Geschäftsmodell letztlich nicht.

STANDARD: Wie stark ist Lamborghini von der Versorgungskrise bei Halbleitern und Kabelbäumen betroffen?

Foschini: Wir konnten starke Auswirkungen vermeiden, auch dank der Unterstützung durch den Volkswagen-Konzern. Wir hatten eine Art Priorität und das hat uns und unser Volumen geschützt. Was die Ukraine betrifft, so ist es kein Geheimnis, dass die Ukraine einer der Distributoren für Kabelbäume ist, und wir überprüfen die Situation Tag für Tag. Bisher waren die Auswirkungen sehr begrenzt, weil es Menschen gibt, die für mich Helden sind und in einer solchen Situation weiterarbeiten. Wir arbeiten an einem Notfallplan. Denn niemand weiß, was morgen passieren wird.

STANDARD: Bugatti hat den Volkswagen-Konzern verlassen, sichert sich aber weiterhin Einfluss in einem komplizierten Netzwerk. Wie groß ist die Sorge bei Lamborghini, ein ähnliches Schicksal zu erleiden? Oder anders gefragt: Wie zukunftssicher ist die Position als Audi-Tochter?

Foschini: Ich kann Ihnen sagen, dass es im Moment keine Überlegungen gibt, Lamborghini aus dem Konzern herauszulösen. Aber das ist etwas, das in der Verantwortung von Audi und des Volkswagen-Konzerns liegt, und nicht in unserer. Wir sind hier, und wir fühlen uns wohl, weil sich uns viele Möglichkeiten bieten. Ich bin jetzt seit 22 Jahren hier, ich war hier, bevor Audi kam, und ich muss Ihnen sagen, was ich damals gesehen habe und was ich heute sehe, ist zu einem großen Teil auf die finanzielle Solidität und auch auf den Einfluss zurückzuführen, den Audi auf dieses Unternehmen hatte. In den Jahren 1998 und 1999 waren wir wirklich in einer kritischen Situation.

STANDARD: Wie blickt ein Konzern auf die vergangenen zwei Jahre der Pandemie zurück?

Foschini: Vieles muss überdacht werden, denn ich denke, die Globalisierung in der Lieferkette hat uns sehr geschadet. Wenn man die Lieferkette so ausbreitet und so etwas wie die Pandemie im Jahr 2020 passiert, versteht man, dass nur ein kleines Teil nicht richtig funktioniert und die gesamte Lieferkette zum Stillstand kommt. Daraus sollten wir unsere Lehren ziehen. Was den kommerziellen Aspekt anbelangt, so mussten wir den Handel und die Produktion aufgrund des Lockdowns einstellen. Aber was danach und gerade geschieht, ist unglaublich. Die Situation vor der Pandemie ist nichts im Vergleich zur Situation nach der Pandemie. Und das ist auf zwei Dinge zurückzuführen. Zum einen die von den Regierungen, insbesondere in den USA, bereitgestellte Liquidität, die die Wirtschaft angekurbelt hat. Der andere Grund ist der Stimmungswandel. Es ist jetzt so: Lasst uns nehmen, was das Leben uns gibt, und nicht zu lange warten, denn morgen kann alles anders sein. Alle Güter, die emotional sind und selbstbelohnend, wie Luxushäuser, Uhren, Mode, die steigen im Moment um ein Vielfaches im Wert. Jetzt kehren wir langsam zur Normalität zurück, so scheint es.

STANDARD: Lamborghini scheint eine reine Männerdomäne zu sein: Wie groß ist die Dominanz der männlichen Klientel? Gibt es Pläne, das zu ändern?

Foschini: Die männliche Dominanz bei Lamborghini ist dieselbe wie bei unseren Hauptkonkurrenten. Aber natürlich wollen wir auch den weiblichen Kundenstamm vergrößern. Beim Urus liegt die Zahl bei zehn Prozent, mehr oder weniger. Wir versuchen, mehr Frauen bei Lamborghini zu gewinnen, sowohl in der Struktur des Konzerns als auch in der Kundschaft. Aber man braucht das richtige Produkt, und ich denke, der Urus ist eines davon. Natürlich kenne ich auch Frauen, die unsere Supersportwagen fahren. Sicher, es ist nicht die Mehrheit, aber das ist ein generelles Phänomen. (Thorben Pollerhof, 23.4.2022)