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Kanzler Nehammer (ÖVP) bei der Pressekonferenz in Moskau nach dem Gespräch mit Putin. Einen gemeinsamen Medientermin mit dem russischen Präsidenten gab es nicht.

Foto: REUTERS/Maxim Shemetov

Seinen Job als Assistenzprofessor an der Eliteuniversität Cambridge hat Alexander Rodnyansky für den Ruf aus Kiew vorerst aufgegeben und ließ sich karenzieren: Der junge Ökonom aus der Ukraine ist wirtschaftspolitischer Berater des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Er war auch wesentlich an der Ausgestaltung des Wirtschaftsprogramms von Selenskyjs Partei "Diener des Volkes" beteiligt.

Saß zunächst im Bunker, pendelt jetzt: Alexander Rodnyansky.
Foto: Univerity of Cambridge

STANDARD: Wie kann man sich die Rolle eines Wirtschaftsberaters des ukrainischen Präsidenten im Krieg vorstellen? Wo arbeiten Sie?

Alexander Rodnyansky: Ich war die erste Zeit nach Kriegsbeginn in Kiew. Wir sind im Bunker des Präsidialamtes gesessen. Immerhin nicht 24 Stunden, ab und an konnten wir raus. Ein Teil des Beraterstabs hat Kiew nach einigen Tagen verlassen und von einem Ort südlich der Hauptstadt gearbeitet. Tagsüber konnten wir nach Kiew reinfahren, aber dann gab es immer mehr Ausgangssperren. Es wurde chaotisch. Inzwischen habe ich angefangen, zu reisen und zu pendeln. Ich bin Teil unseres Teams im Ausland. Es gehört zu meinen Aufgaben, Ziele im Ausland zu verfolgen.

STANDARD: Welche Ziele sind das?

Rodnyansky: Wir setzen uns für die militärische Unterstützung der Ukraine und für Waffenlieferungen ein. Hier gibt es Grund für Optimismus. Natürlich wünschen wir uns ein höheres Tempo bei der Umsetzung. Aber da passiert was. Das zweite große Thema sind die Sanktionen bei Öl, Gas und Kohle. Wobei Öl an oberster Stelle für uns steht. Um dieses Embargo zu erreichen, sprechen wir mit Politikern, Abgeordneten, Ministern, mit allen, die relevant sind. Und natürlich mit Medien.

STANDARD: Sie sind aktuell in Deutschland. Waren Sie in Österreich auch aktiv?

Rodnyansky: Bisher nicht. Wir sind zuerst nach England gefahren. Dort war aber schnell klar, dass nicht viel zu machen ist, weil England schon so stark auf unserer Seite steht, dass da fast alles von alleine läuft. Kontinentaleuropa ist schwieriger. Da sind die Hürden höher. Ich bin in Deutschland, weil es das wichtigste EU-Land ist und der wirtschaftliche Motor der Union. Deutschland hat sich lange gegen eine stärkere Unterstützung für die Ukraine gestemmt, bei Waffenlieferungen und einem Energieembargo. Österreich ist auch wichtig. Es hat weniger Gewicht als Deutschland. Aber in Österreich gibt es eine besonders starke russische Lobby, vielleicht sogar eine stärkere als in Deutschland. Angesichts der österreichischen Politik der vergangenen Jahre stellen sich viele Fragen.

STANDARD: Welche?

Rodnyansky: Wir wissen, dass viele Russen österreichische Pässe haben, reiche Familien, Oligarchen. Generell standen viele österreichische Politiker dem russischen Regime ziemlich nahe. Wir kennen die Bilder. Das war doch Ihre Außenministerin, die da mit Putin getanzt hat auf ihrer Hochzeit? Es war vor dem aktuellen Krieg, aber der Krieg im Donbass tobte da bereits. Das ist nur ein Beispiel, wo wir uns fragen: Gibt es da eine Nähe Österreichs zu Russland, die über die normalen wirtschaftspolitischen und außenpolitischen Beziehungen hinausgeht? Ein anderes Beispiel: Der russische Oligarch Oleg Deripaska, der sehr eng mit dem Putin-Regime und an der Baufirma Strabag beteiligt ist, stand lange nicht auf der EU-Sanktionsliste . Soweit ich verstehe, hat ihn die Unterstützung Österreichs jedes Mal gerettet.

STANDARD: Haben Sie dafür Belege? Österreichs Regierung hat das stets dementiert.

Rodnyansky: Ich werde jetzt keine Belege liefern können, aber wir wissen, dass alle Oligarchen seines Ranges zu dem Zeitpunkt schon sanktioniert waren, nur für ihn gab es die Ausnahme. Was war bei ihm anders? Das einzig Offensichtliche ist die Nähe zu Österreich. Ein anderes Beispiel ist die Reise des österreichischen Bundeskanzlers nach Moskau. Das ist wieder so ein Beispiel der großen Nähe. Es fliegt ja der österreichische Kanzler und nicht der deutsche oder ein anderer europäischer Kanzler hin. Ich will nicht übertreiben, ich glaube nicht, dass es eine Verschwörung gibt. Aber ich bezweifle, ob diese Reise notwendig war. Denn sie zeigt natürlich aus russischer Sicht, dass Putin nach wie vor internationalen Respekt genießt. Ich denke wichtig wäre zu zeigen, dass Putin zumindest im Westen so isoliert ist, dass Regierungschefs und Staatsoberhäupter nicht hinfliegen. Ob man durch diese Gespräche etwas erreicht? Ich glaube nicht. Man hat schon gesehen, was Dialog mit Russland bewirkt: Nichts. Wir führen Krieg.

STANDARD: Sie haben gesagt, ein Ölembargo wäre am wichtigsten. Warum?

Rodnyansky: Durch Erdölverkäufe deckt Russland 35 Prozent seiner Staatseinnahmen ab, über Gas 15 bis 20 Prozent. Bei Öl ist die Gewinnmarge höher, dem Staat bleibt mehr übrig durch die Verkäufe. Deswegen wäre es logisch, dort anzufangen. Es müsste nicht einmal ein volles Embargo sein, auch ein hoher Einfuhrzoll wäre effektiv. Ein Zoll von, sagen wir, 80 Prozent würde dazu führen, dass russische Unternehmen ihre Preise senken müssten, um noch wettbewerbsfähig anbieten zu können. Dann verschwindet auf russischer Seite der ganze Profit durch die Verkäufe. Somit hätten wir schon das Ziel erreicht. Das Ganze ließe sich dann auch für Gas machen.

STANDARD: Endet deshalb der Krieg schneller? Russland baut seine Waffen selbst, zahlt Soldaten in Rubel, braucht also Euro nicht unbedingt.

Rodnyansky: Das ist ein Trugschluss. Der russische Staat muss seine Armee aus dem Staatshaushalt finanzieren. Wenn Einnahmen wegfallen, entsteht dort ein Loch. Es entsteht ein Trade-off: Das Regime kann mit einer begrenzten Menge an Geld nur das eine oder das andere machen, nicht beides zusammen. Selbst wenn das russische Regime also weiter genügend Geld hätte, um seine Armee zu zahlen, wäre das Loch anderswo spürbar. Der Staat hätte weniger Geld für Renten und Sozialleistungen. Das wäre ein Riesenproblem für Russland und würde dazu führen, dass die Ressourcen vom Krieg rausgezogen würden.

STANDARD: Kriege lassen sich anders finanzieren: Russland könnte Anleihen begeben, also Kredite bei seinen Bürgerinnen und Bürgern nehmen.

Rodnyansky: Mit Kriegsanleihen finanzieren wir den Krieg in der Ukraine. Das könnte Russland versuchen. Aber Russland steht hier vor Problemen. Wegen der Sanktionen kann es keine Anleihen im Westen platzieren. Sie könnten Anleihen an die eigene Bevölkerung begeben, aber die Finanzmärkte in Russland sind unterentwickelt und die Bevölkerung nicht wohlhabend. Was würde geschehen? Der Staat würde Anleihen begeben, die von Staatsbanken gekauft werden. Am Ende käme das Geld also hauptsächlich von der Zentralbank, nicht von Sparern. Das käme der Kriegsfinanzierung über die Notenpresse nahe. Die Folge wäre galoppierende Inflation.

STANDARD: In Österreich und Deutschland sagen viele, der Preis für ein Energieembargo wäre zu hoch.

DER STANDARD

Rodnyansky: So schlimm werden die Folgen nicht. Vor allem, wenn man bedenkt, dass Öl recht einfach zu ersetzen ist. Bei Gas ist es schwieriger. Aber wenn ein Embargo jetzt im Sommer beginnen würde, bliebe noch bis zum Winter Zeit, sich anzupassen. Klar, es wird Kosten geben. Das schlimmste Szenario geht davon aus, dass ein Embargo Deutschland pro Kopf 1200 Euro Einkommen kostet. Das ist viel Geld, aber nicht das Ende der Welt. Aber es muss gar nicht so kommen. Es könnten auch nur 500 Euro sein pro Kopf und Jahr. Der Staat könnte das für Ärmere kompensieren, so wie die Verluste in der Pandemie. Wichtig ist aber noch ein anderer Punkt.

STANDARD: Und zwar?

Rodnyansky: Das sind kurzfristige Kosten, weil ja eine Anpassung stattfinden wird. Die ganzen Arbeitsplätze, die vielleicht erstmal verloren gehen werden, werden wieder zurückgewonnen. Neue Jobs werden entstehen und das Wachstum wird zurückkehren. Der Vorteil ist aber, dass es dann wahrscheinlich auch keine mittelfristigen Risiken mehr gibt, dass der Krieg großartig weiter eskaliert, weil Russland keine Finanzierung mehr hat.

STANDARD: Der Krieg wird sich nur mit Verhandlungen beenden lassen. Da wird auch die Ukraine Kompromisse eingehen müssen. Ist ein Verzicht auf Gebiete im Osten nicht unvermeidlich?

Rodnyansky: Für die Ukraine gibt es Punkte, bei denen wir Kompromisse schließen können. Die Nato hat ja gesagt, wir sind nicht willkommen in nächster Zeit. Wir können den Nato-Beitritt im Gegenzug für Sicherheitsgarantien beiseitelegen. Dann gibt es Themen, bei denen wir nicht verstehen, was Russland will: bei der Entnazifizierung. Dann gibt es die ganz schwierigen Sachen: Bei der territorialen Integrität der Ukraine wird es keine Kompromissbereitschaft geben, und es kann sie auch nicht geben, weil die Menschen, die jetzt in den belagerten Gebieten leben, nicht ein Teil Russlands werden wollen. Wie könnten wir sie da alleine lassen? Der Rest unserer Bevölkerung ist dazu auch nicht bereit. Man würde auch nicht von Österreich erwarten, ein Teil seines Staatsgebiets abzugeben.

STANDARD: Ohne Verhandlungslösung könnte das Blutvergießen lange weitergehen.

Rodnyansky: Es ist wichtig, eines zu verstehen. Es ist nicht so, als würde da von oben herab jemand in der Ukraine den Bürgern sagen: Jetzt kämpft! Es ist nicht wie in Russland, wo die Soldaten lange nicht verstanden haben, was sie in der Ukraine verloren haben. Unsere Menschen stemmen sich mit allen Mitteln gegen die russische Besatzungsmacht. Sie wollen für ihre Freiheit kämpfen. (András Szigetvari, 16.4.2022)