Susanne Hennig-Wellsow braucht Zeit für die Familie – unter anderem.

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Nach nur 14 Monaten ist die Co-Chefin der deutschen Linkspartei, Susanne Hennig-Wellsow, am Mittwoch zurückgetreten. Ihren Rückzug begründet die 46-Jährige damit, dass sie mehr Zeit für ihren achtjährigen Sohn und die Partei "Erneuerung" mit neuen Gesichtern brauche, "um glaubwürdig zu sein".

Die dritte Begründung zielt auf die aktuelle Affäre bei den Linken in Hessen ab. Dazu schreibt Hennig-Wellsow: "Der Umgang mit Sexismus in den eigenen Reihen hat eklatante Defizite unserer Partei offengelegt. Ich entschuldige mich bei den Betroffenen und unterstütze alle Anstrengungen, die jetzt nötig sind, um aus der Linken eine Partei zu machen, in der Sexismus keinen Platz hat."

Am Wochenende hatte der "Spiegel" über sexuelle Übergriffe im hessischen Landesverband berichtet. Es gebe Dokumente mit Hinweisen auf "mutmaßliche Grenzüberschreitungen, Machtmissbrauch und eine toxische Machokultur", konstatierte das Magazin nach Gesprächen mit zehn Frauen und Männern.

Aufklärung "auf allen Ebenen"

Mittlerweile haben sich auch aus anderen Landesverbänden Betroffene gemeldet. Bei der hessischen Linkspartei heißt es, man nehme die Vorwürfe sehr ernst. Bekannt sind sie dem Landesvorstand seit Ende des Jahres 2021. Seither betreibe man Aufklärung "auf allen Ebenen".

Die Co-Chefin der linken Bundespartei, Janine Wissler, verteidigt sich gegen Vorwürfe, sie habe "irgendjemanden geschützt". Wissler stammt aus dem hessischen Landesverband, sie war in der fraglichen Zeit (2009 bis 2021) Fraktionsvorsitzende in Wiesbaden.

Sie und Hennig-Wellsow sind seit Februar 2021 an der Spitze der Linken. Deutschlandweite Bekanntheit hat Hennig-Wellsow Anfang März 2020 erlangt. Damals warf sie – noch als Fraktionschefin im thüringischen Landtag – dem von der AfD zum Ministerpräsidenten gewählten FDP-Mann Thomas Kemmerich ihren Blumenstrauß vor die Füße.

Kritik an Lifestyle-Linken

In Hennig-Wellsows Amtszeit als Linken-Chefin hatte die Partei schwer zu kämpfen. Zur Hochzeit der Pandemie fand sie wenig Beachtung. Später wurde vor allem diskutiert, ob die prominente Linke Sahra Wagenknecht mit ihrer Kritik an der Linken recht habe oder nicht. Sie hatte der Partei vorgeworfen, sie würde sich eher um Lifestyle-Linke und die Grün-Wählerschaft kümmern als um finanziell Schwache.

In den Bundestag kam die Linke im Herbst nur dank dreier Direktmandate, an der Fünf-Prozent-Hürde wäre sie gescheitert. Kurz vor der Wahl im Saarland (Ende März) trat dann auch noch Gründer Oskar Lafontaine aus der Partei aus. Die Quittung folgte am Wahltag, da flog die Linke aus dem Saar-Landtag.

Jetzt zeigte sich Hennig-Wellsow selbstkritisch: "Ich weiß um die vermeidbaren Fehler, die ich selbst gemacht habe." Ihr sei auch klar, dass sie es nicht genügend geschafft habe, die Menschen zu überzeugen. (Birgit Baumann aus Berlin, 20.4.2022)