Eine Garantie, dass Lebensmittel nicht teurer werden, wenn die Mehrwertsteuer gesenkt wird, besteht nicht. Sicher ist nur der Preissprung nach Auslaufen der Maßnahme.

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Wien – Ehe die Preiskommission am Montagnachmittag erstmals tagte, erhöhten die Arbeitnehmervertreter den Druck auf die Lohnverhandler in der Elektro- und Elektronik- sowie der Chemie- und Papierindustrie. Sollte auch in der dritten Verhandlungsrunde kein zufriedenstellender Abschluss zustande kommen, würden ab Donnerstag Betriebsversammlungen abgehalten, warnten Gewerkschafter vor rund 500 Betriebsräten.

Die nächste Eskalationsstufe sind Warnstreiks – und diese wollte Produktionsgewerkschaftschef Rainer Wimmer nicht mehr ausschließen.

Ruf nach Unterstützung

Während also Sozialpartner, Ökonomen und einschlägige Experten ihre Köpfe über weitere Maßnahmen zur Inflationsdämpfung zusammensteckten, wartet die von hohen Energiekosten geplagte Industrie auf Unterstützung der Politik in zweierlei Gestalt: einerseits in Form einer Energiepreiskompensation nach deutschem Vorbild und andererseits in Form einer 500-Euro-Prämie, die steuerfrei an die Mitarbeiter ausgezahlt wird – sofern in den Kollektivvertragsverhandlungen eine Einmalzahlung vereinbart wird. Darauf drängt die Industrie, um Druck aus den Lohnverhandlungen zu nehmen, wie betont wird. Die Gewerkschafter halten dies allerdings für einen untauglichen Ersatz für prozentuelle Lohn- und Gehaltserhöhungen, die dauerhaft wirken.

Noch keine Zusagen

Explizite Zusagen für eine steuerfreie Prämie gab es auch am Montag nicht. Beobachter gingen allerdings davon aus, dass dies nur mehr eine Formsache sei. Zu viele Arbeitsplätze stünden auf dem Spiel. In der Luft hängt das von der Gewerkschaft geforderte Gegenstück: die Verlängerung der Corona-Kurzarbeit bis Jahresende mit 90 Prozent Nettoersatzrate. Dagegen hält dem Vernehmen nach Arbeitsminister Martin Kocher (ÖVP), der auf einen höheren Selbstbehalt für die Unternehmen drängt.

In der Ebai, also der "Expert:innengruppe zur Beobachtung und Analyse der Inflationsentwicklung", ist mehr oder weniger die Republik versammelt – von der Regierung über die Sozialpartner bis zu Bundesjugendvertretung, Seniorenrat, Nationalbank, Bundeswettbewerbsbehörde, Energieregulator, Fiskalrat und Statistik Austria. Zusätzlich erschwert wird die Suche nach den richtigen Nothilfen gegen die Inflation, dass hohe Kosten für Wohnen und Nahrungsmittel einkommensschwache Haushalte stärker treffen als hohe Spritpreise.

Bericht in den kommenden Wochen

Der Bericht der Preiskommission soll möglichst alle betroffenen Gruppen und Institutionen an einen Tisch bringen und in ein paar Wochen Bericht legen., betonte Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) nach der Sitzung. Es gehe "um ein Monitoring der Inflationstreiber, um ein besseres Verständnis für aktuelle und mögliche künftige Preisentwicklungen sowie die Analyse von Vor- und Nachteilen weiterer Abfederungsmaßnahmen". Sozialminister Johannes Rauch (Grüne) will weitere Maßnahmen für einkommensschwache Personen prüfen.

Niedrigsteuern auf Energie?

EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni kritisierte unterdessen Umsatzsteuersenkungen als Mittel gegen hohe Energiepreise. Das sei zwar einfach, aber für Verbraucher und Unternehmen mit Unsicherheit behaftet, sofern die Preise trotzdem hoch blieben. Ermäßigte Mehrwertsteuersätze könnten durch höhere Tarife der Energieversorger egalisiert werden, schrieb Gentiloni in einem Brief an seine Finanzministerkollegen. Stattdessen sollte man besser hohe Steuereinnahmen und Übergewinne der Versorger abschöpfen.

Auch in Bezug auf soziale Gerechtigkeit seien die Steuersenkungen nicht die effektivste Lösung, schreibt Gentiloni. Zudem würden Steuerermäßigungen für fossile Brennstoffe die Energiewende gefährden, deshalb seien sie nur vorübergehend erlaubt. .

Nach Angaben der Kommission haben die meisten EU-Länder Steuersenkungen im Energiebereich beschlossen, durch reduzierte Mehrwertsteuern oder ermäßigte Abgaben etwa auf Benzin. Österreichs Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) kam dem Ruf nach Senkung der Mineralölsteuer bisher nicht nach, der Spielraum bis zur EU-Untergrenze sei nur mehr gering und die paar Cent würden kaum Wirkung zeigen, sagte er sinngemäß.

Gemeinsames Regelwerk

Gentiloni ermahnte die EU-Länder, sich an die geltenden Regeln zu halten. Staaten könnten die Mehrwertsteuer auf Gas, Strom und Fernwärme auf ein Minimum von fünf Prozent reduzieren. Polen verstößt derzeit gegen diese Regel: Das Land hat Gas und Düngemittel am 1. Februar für sechs Monate komplett von der Mehrwertsteuer befreit. Die Kommission sagte auf Anfrage, sie beobachte die Situation und sei mit den polnischen Behörden in Kontakt.

Steuerpolitik ist in der EU Sache der Mitgliedsstaaten, allerdings gibt es Rahmenbedingungen, die alle umsetzen müssen. Der reguläre Mehrwertsteuersatz muss mindestens bei 15 Prozent liegen, der ermäßigte bei mindestens fünf Prozent. Seit Anfang April sind Mehrwertsteuerbefreiungen in bestimmten Bereichen wie Lebensmitteln und anderen Gütern zum Decken der Grundbedürfnisse möglich. (ung, APA, 25.4.2022)