Die Gesellschaft für Freiheitsrechte hatte das Verfahren erfolgreich angestoßen.

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Karlsruhe – Die weitreichenden Befugnisse des bayerischen Verfassungsschutzes verstoßen teilweise gegen Grundrechte. Das deutsche Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe beanstandete am Dienstag eine ganze Reihe von Vorschriften im Verfassungsschutzgesetz des Freistaats, das 2016 auf Bestreben der CSU grundlegend überarbeitet worden war. Betroffen sind unter anderem die Regelungen zum Ausspähen und Abhören von Wohnungen, zur Online-Durchsuchung und zur Handy-Ortung.

Bis Juli 2023 in Kraft

Sie dürfen bis höchstens Ende Juli 2023 in eingeschränkter Form in Kraft bleiben. Das Grundgesetz lasse dem Gesetzgeber "substanziellen Raum, den sicherheitspolitischen Herausforderungen auch im Bereich des Verfassungsschutzes Rechnung zu tragen", sagte Gerichtspräsident Stephan Harbarth bei der Urteilsverkündung. "Zugleich setzt die Verfassung hierbei gehaltvolle grundrechtliche Schranken."

Bayerns Staatskanzleichef Florian Herrmann hat eine Reform des Verfassungsschutzgesetzes angekündigt. "Natürlich beachten wir das Urteil", sagte der CSU-Politiker am Dienstag nach einer Sitzung des bayerischen Kabinetts in München. Bayern werde zunächst den Richterspruch aus Karlsruhe genau analysieren und dann das Gesetz entsprechend der Vorgaben anpassen. Der Verfassungsschutz bleibe dennoch unverzichtbar.

Einsatz von V-Leuten muss besser geregelt werden

Laut Herrmann ging es beim Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht darum, ob ein Instrument überhaupt eingesetzt werden darf. Vielmehr ging es um die Frage, unter welchen Bedingungen dessen Einsatz gerechtfertigt ist. Beim Einsatz sogenannter V-Leute müsse der Gesetzgeber beispielsweise den Vorbehalt von Richterinnen und Richtern genauer regeln. Regelungsbedürftig sei auch das Verhältnis zwischen Verfassungsschutz und Polizei.

Das Verfahren angestoßen hatte die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) – um zu verhindern, dass das Beispiel Bayerns bundesweit Schule macht. Die Klage richtete sich unter anderem auch gegen die Regelungen zum Einsatz verdeckter Ermittler und V-Leute, zu längeren Observationen und zur Datenübermittlung an andere Behörden. Auch hier gab es jeweils Beanstandungen in dem mehr als 150-seitigen Urteil der Verfassungsrichterinnen und -richter. Dabei hatte die GFF auf ein Grundsatzurteil gehofft, das über Bayern hinausreicht.

Verfassungsbeschwerde erheben kann nur, wer "selbst, gegenwärtig und unmittelbar" in eigenen Rechten betroffen ist. Als Kläger hatte die GFF deshalb drei Mitglieder der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) gewonnen. Denn im bayerischen Verfassungsschutzbericht wurden diese als "linksextremistisch beeinflusste Organisation" erwähnt.

Damalige Begründung: "Fit für künftige Herausforderungen"

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hatte 2016 im Landtag gesagt, man müsse den Verfassungsschutz "fit machen für künftige Herausforderungen": "Der Verfassungsschutz gehört angesichts stürmischer, von Terrorbedrohung und steigendem Rechtsextremismus geprägter Zeiten weiter gestärkt und nicht abgebaut."

Nach dem Urteil forderten SPD und FDP eine schnelle Gesetzesreform. Gegen die umstrittenen Gesetzesänderungen hatte 2017 auch die Landtagsfraktion der Grünen Klage beim Bayerischen Verfassungsgerichtshof eingereicht. Das Verfahren ist noch anhängig. (APA, red, 26.4.2022)