Monika Rosen-Philipp hat den Kapitalmarkt 33 Jahre lang begleitet. Die Wall Street hat es ihr besonders angetan.

Foto: Andy Urban

Eine Kanne Schwarztee mit Zitrone, die Sonne scheint durch das Fenster im Kaffeehaus. Lachen, Erinnerungen, aber auch Kritik. In diesem Setting wird zurückgeblickt auf eine Karriere, die mit einer Überraschung begonnen hatte. Und ausgeblickt auf eine Pension, die sicher nicht still sein wird.

STANDARD: Sie haben mehr als 30 Jahre am Kapitalmarkt verbracht. Da gab es viele Krisen, die den Markt bewegt haben. Welche Krise ist Ihnen am meisten in Erinnerung und warum?

Rosen-Philipp: Das war die Finanzkrise, weil das eine Kombination war aus starkem Ausmaß und langer Zeit. Starke Rückgänge gab es auch bei anderen Gelegenheiten, die dann aber nicht so lange gedauert haben. Die Finanzkrise hat uns als Finanzdienstleister zudem auch selber betroffen.

STANDARD: Gerade bei der Finanzkrise gab es Anzeichen, dass der Immomarkt überhitzt. Bei der Dotcom-Krise wurden an der Börse zuletzt nur noch vage Ideen hoch gehandelt. Hat der Markt diese Signale ignoriert?

Rosen-Philipp: Ich bin eine Gegnerin der Aussage "Wir haben das eh schon im Vorhinein gewusst". Bei der Finanzkrise etwa ist der Markt aber davon ausgegangen, dass Lehman Brothers gerettet wird. Das war der Kardinalfehler – so unpopulär Bankenrettungen sind, so nötig sind sie aber, weil man die Institute braucht, um das System zu stabilisieren. Das ist die große Lektion aus der Finanzkrise. Das war nicht vorhersehbar. Bei der Dotcom-Krise war ein Fehler, die Bedeutung der Technologie mit ihrer Bewertung zu vermischen. Viele Technologien sind ja geblieben. Von den fünf großen Nasdaq-Werten aus dem Jahr 2000 sind vier immer noch da: Cisco, Intel, Microsoft und Oracle. Sun Microsystems als Nummer fünf wurde von Oracle übernommen. Die Verunsicherung von Daseinsberechtigung und Bewertung hat zur Dotcom-Krise geführt.

STANDARD: Das Gegenteil von Krisen sind schöne Momente. Was ist da in Ihrer Erinnerung geblieben – neue Trends, Mega-IPOs, Fusionen ...

Rosen-Philipp: Das war der Tag der Wiedereröffnung der Wall Street nach den Anschlägen vom 11. September. Damals waren die US-Börsen für vier Geschäftstage geschlossen, die Wall Street ist ja in unmittelbarer Nähe des World Trade Center, in denen auch viele Finanzdienstleister ihre Büros hatten. Es war sofort klar, dass das ein Angriff war auf den Westen, auf den Kapitalismus, auf unsere Branche. Die Börse lässt sich aber nicht unterkriegen – das ist der Spirit, von dem ich hoffe, dass ich ihn auch besitze. Die Festigkeit des Marktes hat mich bis heute fasziniert.

STANDARD: Wie lief der erste Handelstag nach 9/11?

Rosen-Philipp: Die Kurse gingen runter, die Fed hat außerplanmäßig die Zinsen um 50 Basispunkte gesenkt. Eine Soldatin hat a capella die US-Hymne gesungen – wen das kaltgelassen hat, den will ich sehen. Die Amerikaner haben das Showbusiness erfunden, das können sie. Dann gab es das Signal, jetzt geht es wieder los. Und: Ich war damals zu Mittag live im Fernsehen.

STANDARD: Damals dachte man, die USA rutschen in eine Rezession ...

Rosen-Philipp: Stimmt. Aber bei solchen singulären Ereignissen wird die Auswirkung oft überschätzt. Es war letztlich das beste Weihnachtsgeschäft in den USA, weil die Amerikaner begonnen haben, es sich daheim gemütlich zu machen.

STANDARD: Wenn Sie vom US-Markt sprechen, sprechen Sie vom "wir" – der US-Markt ist für Sie im Laufe Ihrer Karriere zum Heimatmarkt geworden. Warum eigentlich?

Rosen-Philipp: Ich betrachte die USA als mein zweites Zuhause. Ich habe dort studiert, gelebt, habe Freunde vor Ort. Ich war schon sehr oft in New York, habe auch das Parkett der Wall Street besucht. Ich identifiziere mich mit dem System.

STANDARD: Es gibt viele Börsenweisheiten. Eine davon lautet: An den Börsen wird die Zukunft gehandelt. Trotz Pandemie ging es fast nur aufwärts – jetzt schlackern die Börsen erstmals seit langem wegen des Ukraine-Kriegs. Was heißt das aus Investorensicht?

Rosen-Philipp: Hier spielt vor allem die Wende in der Geldpolitik eine Rolle. Seit vielen Jahren haben wir eine lockere Geldpolitik und niedrige Zinsen. Der Wind dreht sich jetzt, auch wenn das Wachstum in Europa unter Druck ist. Die Rohstoffpreise und die Inflation sind hoch. Das ist ein markanter Szenenwechsel auch für die Aktienmärkte.

STANDARD: Die EZB und die Fed haben zuletzt unterschiedliche Strategien verfolgt. Der Kurs der EZB gilt mittlerweile als umstritten. Wie schätzen Sie das ein?

Rosen-Philipp: Die EZB hat einen wesentlich heterogeneren Währungsraum zu managen als die Fed. Durch die tiefen Inflationsraten hatte die EZB einen guten Rahmen vorgefunden, um die Anleihenmärkte der Eurozone zu stützen. Dieses Bild hat sich jetzt gewandelt. Die Inflation verträgt das nicht mehr, von daher muss sich die Geldpolitik jetzt mitwandeln. Im Unterschied zu den USA sind bzw. waren die Lohnsteigerungen in der Eurozone nicht so dramatisch wie in den USA. Der US-Arbeitsmarkt ist offener, flexibler. Das hatte die Fed auch stärker auf den Plan gerufen.

STANDARD: Auch die Unternehmenskultur scheint flexibler. Die Kultur des Scheiterns gehört zur DNA der Amerikaner. Geht eine Idee nicht auf, kann mit einer anderen durchgestartet werden. In Europa sieht man so etwas immer skeptisch ...

Rosen-Philipp: Es gibt in der Art, das Leben zu betrachten, gewisse Unterschiede zwischen Europa und Amerika. Vom Mut des Probierens und damit auch Schiffbruch zu erleiden haben die Amerikaner mehr. Nichts lieben die Amerikaner mehr als ein "comeback kid" samt öffentlicher Entschuldigung. Es gibt wohl eine historisch anders begründete Einstellung zum Risiko.

Monika Rosen-Philipp: "Die Börse lässt sich nicht unterkriegen – das ist der Spirit, von dem ich hoffe, dass ich ihn auch besitze."
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STANDARD: Die USA stehen für technologische Entwicklungen, im Osten – etwa Russland – gibt es viele Rohstoffe, Asien gilt als Werkbank. Wofür steht Europa in dieser Ordnung?

Rosen-Philipp: An der Börse wird Europa gerne nachgesagt, es sei der Hort für Luxusmarken. Der Platz für Stil und das gute Leben. Und für die Diskussionskultur, auch wenn das auf EU-Ebene oft mühsam wirkt. Es ist ein gelebter Prozess in der EU, dass man eine Lösung am Verhandlungsweg finden muss.

STANDARD: Die Amerikaner haben auch zum Kapitalmarkt einen anderen Zugang. Nicht selten, dass die Pension an der Börse verloren geht, wie viele Enron-Anleger lernen mussten. Dennoch gehört es in den USA scheinbar dazu, an der Börse aktiv zu sein. In Europa – vor allem in Österreich – ist das nicht der Fall. Warum?

Rosen-Philipp: Ein Thema in Europa ist sicherlich, dass die Börse oft gleichgesetzt wird mit Kasino und Spekulation. Das gibt dem Veranlagen ein negatives Image. Diese Dämonisierung findet in den USA so nicht statt. In den USA herrscht vielmehr die Idee vor, selbst ein Unternehmen zu gründen und dieses an die Börse zu bringen. Das ist ein Spirit, der in Europa so nicht gelebt wird. Ein Stanford-Professor sagte einmal, dass in den USA die Vermengung von kommerziellen Erfolg und universitärem Ambiente kein Widerspruch ist – in Europa schon.

STANDARD: Frauen sind am Finanzmarkt nicht gerade überrepräsentiert. Österreich hilft sich mit der Frauenquote – ist das der richtige Weg?

Rosen-Philipp: Ja, es braucht die Quoten. Ohne Druck von außen passieren Veränderungen hier nicht.

STANDARD: Wie hat sich das Bild in Ihrer Berufslaufbahn verändert?

Rosen-Philipp: Das Wertpapiergeschäft war und ist ein männlich dominiertes. Die Finanzdienstleister sind mit dem Gesundheitssektor hingegen jene Branche mit dem höchsten Frauenanteil – aber ganz unten. 52 Prozent der Mitarbeiter bei Finanzdienstleister/Banken sind Frauen. Auf dem Weg nach oben wird die Luft aber sehr schnell sehr dünn. Im März 2021 wurde Jane Fraser Chefin der Citigroup – sie ist die erste Frau an der Spitze einer US-Bank. Damit haben Frauen länger gebraucht, um an der Spitze einer Wall-Street-Bank zu landen als etwa an der Spitze eines Rüstungskonzerns. Northrop Grumman, das drittgrößte US-Rüstungsunternehmen, hatte zu dem Zeitpunkt mit Kathy Warden schon seit 2019 eine Frau an der Spitze.

STANDARD: Sie haben Sprachen studiert – wie kam der Schwenk zu den Finanzen und zum Kapitalmarkt?

Rosen-Philipp: Ich kam 1989 aus den USA mit zwei abgeschlossenen Sprachstudien zurück. Dann hab ich im "Kurier" eine Job-Annonce gesehen von einer internationalen Bank. Die Voraussetzungen waren: ausgezeichnete englische Sprachkenntnisse, Branchenkenntnisse bevorzugt. Da dachte ich mir, ich habe eine 50:50-Chance und habe mich beworben. Und die haben mich genommen – zu meiner eigenen Überraschung. Dort habe ich in der Wertpapierabteilung angefangen, und es hat mir sofort gefallen.

STANDARD: Dem Kapitalmarkt bleiben Sie trotz Pension erhalten ...

Rosen-Philipp: Ja. Ich starte im Mai im Bereich Ausbildung an der Wiener-Börse-Akademie. Zudem arbeite mit ich dem Consulter MRP zusammen, und in meiner Funktion als Vizepräsidentin der Österreichisch-Amerikanischen-Gesellschaft betreue ich die Themen Wall Street, Börse und Finanzen. Auch als Kolumnistin bleibe ich noch am Markt. (Bettina Pfluger, 28.4.2022)