Insgesamt acht Menschen hat Paolo Macchiarini (Bildmitte) eine nachgezüchtete Luftröhre aus körpereigenen Stammzellen eingesetzt, drei in Schweden und fünf in Russland.

Foto: AFP/Karolinska University Hospital

Im Jahr 2011 sorgte der prominente italienische Chirurg Paolo Macchiarini mit einer angeblich bahnbrechenden Operationsmethode über den Rand der Fachwelt hinaus für Schlagzeilen. Am schwedischen Karolinska-Institut in Stockholm haben er und sein Team mehreren Personen eine neue, aus Stammzellen gezüchtete Luftröhre transplantiert. Das Verfahren wurde als Durchbruch in der regenerativen Medizin gepriesen.

Mithilfe der Technik des Tissue Engineering hoffen Forschende auf Alternativen für Menschen, für die kein passendes Spenderorgan zur Verfügung steht. Bei Macchiarinis Methode wurde ein synthetisches Luftröhrengerüst mit Stammzellen besiedelt. In einem speziellen Bioreaktor soll binnen 36 Stunden ein passendes Labororgan herangewachsen sein, das der Chirurg seinen Patientinnen und Patienten verpflanzte.

Kaum Überlebende

Die angebliche Sensation entpuppte sich schließlich nicht nur als untauglich, sondern möglicherweise auch als gefährlich bis todbringend. Zwischen 2011 und 2014 behandelte Macchiarini drei Menschen in Schweden und fünf in Russland. Bis 2017 starben sieben von ihnen, dem überlebenden Patienten wurde seine künstliche Luftröhre 2014 in Russland wieder entfernt. Mindestens einer der Behandelten soll zum Zeitpunkt der Operation nicht schwer erkrankt gewesen sein.

Die Karolinska-Universitätsklinik bestätigte den Tod seiner drei Patienten und setzte 2013 alle Transplantationen aus. Macchiarinis Vertrag als Chirurg wurde nicht verlängert, stattdessen begannen polizeiliche Ermittlungen. Später warfen ihm Kollegen vor, die Risiken des Verfahrens heruntergespielt zu haben. 2018 zog die Fachzeitschrift "The Lancet" in einem ungewöhnlichen Schritt zwei Artikel des Italieners aus den Jahren 2011 und 2012 zurück. Der Skandal hinterließ an der Reputation des renommierten Karolinska-Instituts schwere Schrammen.

Paolo Macchiarini (hier auf einer Aufnahme aus dem Jahr 2011) steht wegen schwerer Körperverletzung in drei Fällen vor Gericht.
Foto: AFP/Karolinska University Hospital

Angeklagter: "Keine Experimente"

Nun begann der Prozess gegen den heute 63-jährige Chirurgen, im Zentrum stehen die drei am Stockholmer Institut behandelten Patienten. Der Vorwurf lautet schwere Körperverletzung in drei Fällen, verursacht durch ein gefährliches experimentelles Verfahren. Staatsanwältin Karin Lundström-Kron warf Paolo Macchiarini vor, er habe bei seinen Operationen "Wissenschaft und Erfahrung" völlig missachtet und damit seinen Patienten "schwere Verletzungen" und "großes Leid" zugefügt. Die Anwälte des Angeklagten wiesen die Vorwürfe zurück. Für den Prozess wurden 13 Tage bis Ende Mai angesetzt.

Macchiarini versicherte zu Beginn, dass es sich bei den Operationen nicht um Experimente gehandelt habe. "Seine einzige Motivation war es, die Patienten zu behandeln", sagte sein Anwalt Björn Hurtig vor dem Gericht in Solna nahe Stockholm. Dort liegt auch das für die Vergabe des Medizinnobelpreises bekannte Karolinska-Institut. (tberg, red, 27.4.2022)