Langfristige Infrastrukturinvestitionen wie in Windkraft sind für Versicherer derzeit kaum möglich – was sich künftig ändern soll.

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Langfristige Infrastrukturinvestitionen schaffen Wachstum und Arbeitsplätze und kommen – etwa bei erneuerbaren Energien wie Windparks – auch dem Klima zugute. Allein, Versicherungen können derzeit kaum in solche Projekte investieren, da das Regelwerk Solvency II diese als zu riskant ansieht. Dies soll sich künftig ändern, zudem sollen die Eigenkapitalvorschriften gelockert werden. Und zwar nicht nur in der EU, sondern auch in dem Ex-Mitgliedsland Großbritannien – wobei sich zwischen beiden ein Wettlauf abzeichnet.

Schließlich hatte Premierminister Boris Johnson dem Finanzplatz London durch den Brexit eine strahlende Zukunft vorhergesagt. Ein wichtiger Schritt in diese Richtung ist eine Reform von Solvency II, den viele Versicherer gerade in Zeiten niedriger Zinsen als Belastung empfinden. Sollen die Vorschriften gelockert werden, kann die Branche nach Angaben der Financial Times in Großbritannien umgerechnet 113 Milliarden Euro zusätzlich investieren, etwa in erwähnte langfristige Infrastrukturprojekte.

Kampfansage an EU

Zwar kommt dieses britische Vorhaben für die EU nicht ganz überraschend, dennoch empfinden es viele wie der deutsche Europaabgeordnete Markus Ferber (CDU) – nämlich als Kampfansage an die Union. Er erwartet, "dass im Versicherungsbereich ein regulatorischer Wettbewerb beginnt, den die Briten mit harten Bandage führen", wie Ferber gegenüber der Süddeutschen Zeitung sagte.

Denn auch die EU hat selbst schon eine Reform von Solvency II in die Wege geleitet durch einen Entwurf der EU-Kommission, die das Regelwerk anpassen sollen. In Brüssel ist das Ziel ähnlich gesteckt wie in London, nämlich die Kapitalvorschriften für die Versicherungsbranche zu lockern. Dies soll kurzfristig bis zu 90 Milliarden an Investitionskapital freisetzen. Allerdings sollen im Gegenzug auch manche Vorschriften verschärft werden, sodass der Betrag langfristig nur bei 30 Milliarden Euro liegen soll.

Wettlauf um Reform

Bis die angepasste Version der Solvency-Richtlinie in der EU in Kraft treten kann, wird es noch dauern – schließlich müssen der Ministerrat, der sich ab Oktober damit beschäftigen wird, und das Europaparlament noch zustimmen und sich gegebenenfalls auf Änderungen einigen. Dennoch geht in London die Befürchtung um, dass Brüssel schneller vorankommen könnte.

Denn der britische Notenbankchef warnte vor zu laxen Vorgaben, und auch in der Versicherungsbranche sind nicht alle von dem Reformvorhaben überzeugt. Dabei wurde der Brexit als Befreiung von unbeliebten Vorschriften aus Brüssel verkauft. Für Brexiteers wie Premier Johnson wäre es daher eine Niederlage, sollte die EU Solvency II rascher reformieren als die Briten. (aha, 29.4.2022)