Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz ist der Kritik von Pazifisten ausgesetzt. Auf der 1.-Mai-Kundgebung in Düsseldorf wurde er aufgefordert, weniger Geld für Waffen auszugeben.

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Den Brief der Feministin Alice Schwarzer und ihrer Mitstreiter und Mitstreiterinnen kennt natürlich auch der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz – nicht nur, weil das Schreiben an ihn gerichtet ist.

Die Debatte, wie sehr sich Deutschland im Ukraine-Krieg engagieren soll, verfolgt den Regierungschef seit Kriegsbeginn. Dass nicht alle seiner Meinung sind, erfuhr Scholz bei der Kundgebung zum 1. Mai der SPD. In Düsseldorf, wo er sprach, wurde er heftig ausgepfiffen.

"Kriegstreiber", schrien die Demonstranten und skandierten "Frieden schaffen ohne Waffen", den Appell der Pazifisten. Sichtlich und hörbar aufgebracht wandte sich Scholz an sie und erwiderte: "Ich respektiere jeden Pazifismus, ich respektiere jede Haltung, aber es muss einem Bürger der Ukraine zynisch vorkommen, wenn ihm gesagt wird, er solle sich gegen die Putin’sche Aggression ohne Waffen verteidigen."

Kritik von zwei Seiten

Scholz erlebt Kritik an seiner Ukraine-Politik derzeit von zwei Seiten. Die einen warnen ihn vor der Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine, die anderen fordern noch mehr Gerät. Erst in der Vorwoche hatte CDU-Partei- und -Fraktionschef Friedrich Merz dem Kanzler in scharfer Form "Zögern, Zaudern und Ängstlichkeit" vorgeworfen.

Das bezog sich auch auf die seit Kriegsbeginn nicht erfolgte Reise des Kanzlers nach Kiew. Auch hier will Merz Scholz nun vorführen, indem er als Erstes in die ukrainische Hauptstadt fährt. Am Montag hieß es in Berlin, er wolle noch am Abend den Zug nehmen.

Laut seinem Stabschef Jacob Schrot hat die Reise, nebst Solidarität zu zeigen, folgendes Ziel: "Friedrich Merz will zuhören und die konkreten Unterstützungsbitten der ukrainischen Gesprächspartner nach Deutschland tragen." Deutsche Unterstützung, twitterte Schrot, sei nämlich "keine Frage von Regierung vs. Opposition".

In Berlin wird allerdings durchaus ein Zusammenhang zwischen der Reise und den nächsten beiden Sonntagen gesehen. Am 8. Mai wählt Schleswig-Holstein, eine Woche darauf Nordrhein-Westfalen.

Merz braucht Wahlsiege

Merz braucht nach der Niederlage im Saarland im März dringend einen Erfolg der beiden regierenden Ministerpräsidenten Daniel Günther (CDU) und Hendrik Wüst (CDU). Im Saarland war CDU-Regierungschef Tobias Hans aus der Staatskanzlei geflogen, die Sozialdemokratin Anke Rehlinger regiert nun mit absoluter Mehrheit.

Und wenn sein Stabschef Schrot schreibt, Merz wolle in der Ukraine "diese gemeinsame staatspolitische Verantwortung von Opposition + Regierung" zum Ausdruck bringen, dann schwingt mit, dass er eigentlich den Job von Kanzler Scholz macht, weil der nicht reisen will.

Merz reist übrigens ohne Betreuung des Bundeskriminalamtes (BKA), und CSU-Chef Markus Söder findet, die Fahrt nach Kiew sei keine Brüskierung von Scholz.

FDP-Chef und Finanzminister Christian Lindner hingegen meint, es sei mit der Mitte April erfolgten Ausladung des deutschen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier durch Kiew eine "komplizierte Situation" entstanden.

Härtere Zeiten

Der deutsche Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) hat die Deutschen am Montag auf härtere Zeiten wegen des Ukraine-Krieges eingestimmt. "Wir werden weiter mit höheren Preisen rechnen müssen." Der Staat könne nicht alle Energiepreissteigerungen auffangen, weder für Firmen noch für Verbraucher. Habeck: "Das ist die bittere und die harte Wahrheit."

Laut der deutschen Innenministerin Nancy Faeser (SPD) soll sich die Bevölkerung auch einen Notvorrat zulegen. Dies sei sinnvoll, "wenn tatsächlich mal länger der Strom ausfällt oder das tägliche Leben auf andere Art und Weise eingeschränkt wird". (Birgit Baumann aus Berlin, 2.5.2022)