Walter Marschitz, bisheriger und womöglich auch künftiger Vorsitzender des ORF-Publikumsrats.

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Wien – Gleich zum Dienstantritt erledigen die 30 frisch – und unter juristischer Kritik – bestellten Publikumsräte des ORF am Donnerstag ihre gewichtigste Aufgabe: Sie entsenden sechs ihrer Kolleginnen in den entscheidenden ORF-Stiftungsrat. Sie machen die Mehrheit der ÖVP-nahen Stiftungsräte im obersten ORF-Organ komplett.

  • Updates im Text: Walter Marschitz wieder Vorsitzender, Andrea Danmayr (Grüne) neue Stellvertreterin; Entsendung von Andreas Kratschmar, Petra Stolba, Sophie Matkovits sowie Andrea Danmayr, Michaela Krömer und Michael Meyer in den Stiftungsrat.

ÖVP und Grün für Stiftungsrat fixiert

Gute Chancen haben nach bisherigen Infos aus den ORF-Gremien jeweils drei der ÖVP und den Grünen zugeordnete Publikumsräte, ganz nach den vor wenigen Wochen geleakten Sidelettern zwischen den Regierungsparteien.

Die bisherigen drei ÖVP-nahen Publikumsräte erhalten wieder Mandate im Stiftungsrat: Andreas Kratschmar, Sprecher des "Freundeskreises" der bürgerlichen Publikumsräte, Sophie Matkovits sowie Petra Stolba, Beraterin und langjährige Chefin der Österreich Werbung.

Stolba und Danmayr leiten Diversity-Arbeitsgruppe

Für Stolbas Wiedereinzug in den ORF-Stiftungsrat sprach schon, dass sie die neue Diversity-Arbeitsgruppe des Stiftungsrats leitet, die erst vorigen Donnerstag zum ersten Mal tagte. Der bisherige ORF-Stiftungsrat hat die Arbeitsgruppe im März beschlossen. Der neue Stiftungsrat (mit überwiegend bekannten Gesichtern) konstituiert sich am 19. Mai. Bis dahin ist der alte Rat im Amt – und konnte so die Arbeitsgruppe beginnen.

Stellvertreterin Stolbas in der Arbeitsgruppe ist Andrea Danmayr, Kommunikationschefin der Wiener Angewandten, und bisher auf einem Regierungsmandat der Grünen im Stiftungsrat des ORF. Sie hat nun ein Mandat im Publikumsrat – die Funktion in der neuen Arbeitsgruppe des Stiftungsrats deutete auf eine Wiederkehr in den Stiftungsrat auf einem Ticket des Publikumsrats hin.

Ebenfalls – wie erwartet und berichtet – in den Stiftungsrat entsendet die Mehrheit des Publikumsrats Andrea Danmayr, Michael Meyer, Institutsleiter für Non-Profit-Management an der Wiener Wirtschaftsuni, und die Umweltanwältin Michaela Krömer.

Update: SPÖ-Kritik an Bestellungsmodus

SPÖ-nahe Stiftungsräte kritisierten den Bestellungsmodus des ORF-Publikumsrats – dder Bundeskanzler beziehungsweise – so vorhanden – die Medienministerin bestimmen 17 von 35 Publikumsräten aus Vorschlägen von – so fordert es das Gesetz – für gesellschaftliche Bereiche repräsentativen Organisationen.

Alle sechs Publikumsräte, die ÖVP- und Grünen-nahe Mitglieder für den Stiftungsrat vorschlugen, seien "integre Personen", betonte etwa Willi Mernyi (ÖGB).

"Parteipolitisch motiviert" – seit 1974

Doch "aus einer Meta-Ebene betrachtet" sei die Auswahl durch die Ministerin "aus der Zeit gefallen". Das System sei "parteipolitisch motiviert", weshalb er sich der Stimme enthalte.

"Eines der schlechtesten Argumente" nannte Mernyi, dass das "schon immer so war". Dieser Bestellungsmodus existiert tatsächlich schon in den Grundzügen seit 1974, dem ORF-Gesetz Bruno Kreiskys in der SPÖ-Alleinregierung. Seit damals bestellte der Bundeskanzler 20 der 35 Mitglieder der Hörer- und Sehervertretung, wie der Publikumsrat vor 2001 hieß.

Der Besetzungsschlüssel des ORF-Stiftungsrats – bis 2001 ORF-Kuratorium genannt – wiederum ist seit 1984 unverändert: Damals stockte die SPÖ-FPÖ-Koalition die Mandate der Bundesregierung im obersten ORF-Gremium von vier auf 9 auf. Unverändert seit damals auch die übrigen Mandate – 9 Bundesländer, 6 Parteien, 6 Publikumsrat, 5 ORF-Betriebsrat.

2001 benannten ÖVP und FPÖ die Gremien um in Stiftungsrat und Publikumsrat, schlossen Politiker und Medienmitarbeiter von Mandaten aus, schrieben offene statt bisher geheime Abstimmung vor und reduzierten die nötige Mehrheit für Generalsbestellungen von Zweidrittel- auf einfache Mehrheit.

Marschitz wieder Vorsitzender

Der bisherige Vorsitzende des Publikumsrats, Walter Marschitz, Geschäftsführer des Verbands Sozialwirtschaft Österreich, wurde ohne Gegenvorschläge in geheimer Abstimmung einstimmig in eine weitere Funktionsperiode gewählt. Stellvertretende Vorsitzende des Publikumsrats ist Andrea Danmayr ohne Gegenvorschläge bei einer Enthaltung und einer Gegenstimme.

Mehrheit im Publikumsrat bestimmt Medienministerin

Vorsitzender, Stellvertreterin und die sechs Mandate im Stiftungsrat besetzt der Publikumsrat mit einfacher Mehrheit – und die bestimmt in dem Gremium der Kanzler oder die von ihm beauftragte Medienministerin, die aus Vorschlägen von Organisationen 17 der 30 Publikumsräte bestimmt; weitere 13 entsenden Kammern, Gewerkschaften, Parteiakademien und Akademie der Wissenschaften direkt (Grafik unten im Infokasten).

Gegen das Gesetz

Der renommierte Rundfunkrechtler Hans Peter Lehofer schrieb zur Bestellung von Publikumsräten in seinem Rechtsblog "e-comm": Die Nominierungen von elf der 17 Publikumsräte, die Medienministerin Susanne Raab (ÖVP) in dieses Gremium entsandt hat, würden nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprechen. Das Gesetz verlangt Nominierungen von für die jeweiligen Gesellschaftsbereiche repräsentativen Organisationen und zudem Dreiervorschläge – häufig waren schließlich Entsandte nur Einzelvorschläge (alle Nominierungen unten im Überblick).

Die Anforderung von Dreiervorschlägen beurteilen andere Rundfunkrechtler nicht als zwingend. Die Repräsentativität von Organisationen, die für den Publikumsrat nominieren, beschäftigt sachkundige Juristen jedenfalls schon länger – und, wie die aktuelle Entsendung zeigt, auch weiterhin.

Weiter geht's im Stiftungsrat

Im Stiftungsrat haben ÖVP und Grüne per Sideletter – nach der Bestellung von ÖVP-Vorschlägen für ORF-General und zwei Direktoren sowie zwei Grünen-Vorschlägen für zwei Direktorinnen 2021 – einen Vorsitzenden der Grünen vereinbart.

Sehr wahrscheinlich ist die Bestellung von Berater Lothar Lockl am 19. Mai – er wechselte bei der jüngsten Neubestellung von einem Regierungs- auf ein Parteimandat der Grünen im Stiftungsrat, das auch einen allfälligen Regierungswechsel überdauern kann.

Funktionsperiode bis 2026 – oder Wahlen

Publikumsrat und Stiftungsrat werden für vier Jahre bestellt – also bis Mai 2026. Nach Wahlen können Parteien im Nationalrat und Bundesländer ihre Mandate im Stiftungsrat neu besetzen, ebenso neue Bundesregierungen. Eine von SPÖ, Neos und Grünen geforderte Reform der ORF-Gremien scheitert bisher an der ÖVP – die ihre alleinige Mehrheit im ORF-Stiftungsrat ungern aufgeben will. (fid, 5.5.2022)