Während die Landesgerichtsstraße für die U5 fit gemacht wird, dokumentiert die Stadtarchäologie die Spuren der Vergangenheit.
Foto: Christian Fischer

Der Presslufthammer rattert, der Kran dreht sich, Baustellenstaub legt sich über die abgesperrte Straße. Nach Lärm und Umleitungen kommt im Idealfall zumindest eine bessere Verkehrsanbindung heraus, wie beim aktuellen U-Bahn-Netzausbau in Wien. Und die massiven Baugeräte, die gerade vom Bereich Schottentor bis zum Matzleinsdorfer Platz für die künftige U5 und U2 im Einsatz sind, üben ihre Faszination nicht nur auf den Pensionisten und das kleine Mädchen aus, die auf ihrem Spaziergang durch die Streben des Bauzauns lugen. Doch bevor aufgebaut wird, ist Personal im Einsatz, das mit leichterem Werkzeug hantiert – Schaufeln, Kellen und Handbesen. Die Stadtarchäologie Wien rückt wieder aus.

Auf eigene Faust und nach Forschungsinteresse darf sie den Untergrund nicht erkunden: Immer ist es ein Bauprojekt, das neue Grabungen ermöglicht, damit keine historisch wertvollen Spuren zerstört werden. Die geschickten Hände der Fachleute sind nicht im Schoß gefaltet, bis der nächste Bauherr anklopft: "Wir warten nicht auf Gelegenheiten – denn wir haben so viel zu tun!", sagt Karin Fischer Ausserer, Leiterin der Stadtarchäologie, die zu den Museen der Stadt Wien gehört.

Unter geschäftigen Grätzeln lauert Geschichte

Und das meist unter Druck: Für Rettungsgrabungen ist die Zeit knapp, um Baupläne nicht zu sprengen. Auf offener Baustelle ist die Archäologin wie der Rohrleitungsbauer dem Wetter ausgesetzt, bei Hausstabilisierungen – wie sie beim U-Bahn-Ausbau nötig sind – in finsteren Kellern unterwegs. Dabei trägt sie große Verantwortung: Entgeht ihrem Blick ein Indiz, das etwa auf historische Gebäudemauern oder Gräber hinweist, können wichtige Funde zerstört oder übersehen werden.

Die interaktive ArcGIS-Karte, die sich auch hier aufrufen lässt, zeigt, wo entlang der neuen U2 sowie der vorläufigen, kurzen U5-Strecke Grabungen und Hausertüchtigungen archäologisch betreut werden und wurden. Ein Klick auf den Doppelpfeil zeigt die Kartenlegende.

Ganz auf sich allein gestellt sind die Fachleute aber nicht. Seit dem 17. Jahrhundert werden für die Archäologie der Stadt Wien Archivdaten gesammelt. Auf deren Basis lässt sich abschätzen, in welcher Tiefe in den jeweiligen Bezirken und Grätzeln Überreste von der Neu- bis in die Steinzeit unter der Erde lauern könnten. Dann erst wird Hand angelegt: "Wir gehen praktisch mit unseren Werkzeugen in der Geschichte zurück", sagt Fischer Ausserer.

7000 Jahre in die Vergangenheit

Das bedeutet nicht, dass in den tiefsten Schichten auch die ältesten Spuren zu finden sind. Immerhin baute beispielsweise die Wiener Bevölkerung der Neuzeit tiefe Keller und störte damit bereits Funde aus mittelalterlicher und römischer Zeit – oder noch ältere Relikte. Die frühesten Spuren menschlicher Siedlungen auf dem Stadtgebiet reichen ungefähr 7000 Jahre zurück und wurden erst vor sieben Jahren entdeckt: Im Zuge des Baus der neuen Post am Rochusplatz stießen die Fachleute hier, mitten im dritten Bezirk, auf ein neusteinzeitliches Langhaus.

In den tiefsten Schichten, die für den U-Bahn-Tunnelbau erreicht werden, ist nicht mit menschlichen Spuren zu rechnen, weshalb die Zonen in bis zu 30 Meter Tiefe nicht von der Stadtarchäologie betreut werden. Spannender ist es dort, wo an der Oberfläche neue Stationen entstehen, für die Erde aufgegraben wird – etwa an der künftigen U5-Station Frankhplatz am Anfang der Alser Straße.

Am Frankhplatz – nur ein paar Meter von einem aktuellen Einsatzort der Stadtarchäologie entfernt – wurden in den vergangenen Jahren bereits Mauerreste und Spuren römischer Öfen ausgegraben.
Foto: Stadtarchäologie Wien

Spuren im Gesicht der Stadt

Diese Straße könnte nicht nur in Neuzeit und Mittelalter eine wichtige Verkehrsader gewesen sein, wie hunderte Jahre alte Spurrillen unter dem Asphalt zeigen. Die Vermutung liegt nahe, dass ihr Vorläufer wohl schon zur Zeit des römischen Legionslagers Vindobona zu einer Ziegelei im heutigen 17. Bezirk führte. So könnte im Jahr 200 eine Karrenfahrt mit baufertigen Ziegeln in der Gegend um den Elterleinplatz begonnen haben: Ein Ochse zieht die schwere Last vorbei an einem Gräberfeld bis hin zu jenem Werkstätten- und Wohngebiet, dessen Spuren nun entdeckt wurden. Eine Straße, die wie viele andere Strukturen aus dieser Epoche bis heute in gewisser Weise "im Gesicht der Stadt erhalten geblieben ist", sagt Fischer Ausserer. Obgleich das meiste mittlerweile ganz anders aussieht.

In ganz Wien finden sich historische bis prähistorische Spuren, die teilweise in die Steinzeit zurückreichen. Auf dieser interaktiven Karte, die auch auf "Wien Kulturgut: Stadtarchäologie" zu finden ist, sind bisher identifizierte antike Areale und Straßen markiert. Das römische Legionslager (rot) ist halb von der Lagervorstadt (canabae legionis; orange) umgeben. Diese ragte weiter in Richtung Ziegelei (braun; im Westen, entlang der roten Straße) als bisher gedacht. Die Vollversion zeigt mehr Details – auch zu anderen Epochen – und einzelne Fundstätten.

An der Ecke Landesgerichtsstraße – wo übrigens vor wenigen Jahrzehnten für eine Weile die Unterpflaster-Straßenbahn fuhr – sind die archäologischen Arbeiten noch nicht ganz abgeschlossen. Die Grabung auf der gegenüberliegenden Seite der Alser Straße enthüllte bereits mittelalterliche Keller und Reste der Alser Kaserne, die hier bis 1912 stand. Zudem kamen Öfen aus der Römerzeit zum Vorschein, in denen man wohl Metall verarbeitete.

Zu den besonderen Funden vom Frankhplatz gehört diese Komödienmaske aus dem zweiten bis dritten Jahrhundert ...
Foto: Stadtarchäologie Wien

Karte der Römerzeit neu zeichnen

Wo genau die gefundene tönerne Theatermaske als Zierobjekt angebracht war, steht im Mittelpunkt weiterer Forschung. Auch eine Metallschließe und Siebe, in denen Frischkäse hergestellt wurde, haben als Zeugen der damals lebenden Menschen rund 1800 Jahre überdauert. "Das Sensationelle daran ist: Wir wissen dadurch, dass die 'Canabae legionis', die Vorstadt des Legionslagers, nicht bei der Votivkirche aufhörte", sagt Fischer Ausserer. "Sie ging noch ein Stück weiter als gedacht – bis zur heutigen Nationalbank."

... also aus der Römerzeit, auf die auch diese Balteusschließe zurückgeht.
Foto: Stadtarchäologie Wien

Trotz der Hinweise aus dem Archiv gibt es also noch Überraschungen. Das "Wiener Geschichtepuzzle", wie die Leiterin der Stadtarchäologie die Arbeit ihres Teams nennt, ist um ein Teil reicher geworden.

Wer als Laie mitpuzzeln und nicht nur durch das Baustellengerüst zuschauen will, kann in der Werkstätte helfen: Nach einer Einschulung werden etwa Keramikscherben gesäubert, sortiert und zusammengefügt, manche der rund 500 Ehrenamtlichen sind auch für Führungen und Vorträge zuständig. (Julia Sica, 7.5.2022)

Video zu den Grabungen am Frankhplatz – Käsesiebe inklusive.
Wien Museum