Die Auswahl in vielen Supermärkten ist geradezu erschlagend. In den letzten Jahren sind viele nachhaltige Produktlinien dazugekommen.

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Bis zu 40.000 verschiedene Artikel führt ein großer Supermarkt. Wer nach Kaffee, Schokolade oder Salami sucht, findet dort längst nicht mehr nur verschiedene Röstgrade, Geschmacksrichtungen und Packungsgrößen. Fast für jedes Produkt gibt es inzwischen eine nachhaltige oder fair gehandelte Variante. Diese Waren versprechen nicht besser oder gesünder zu sein, sondern sollen die Welt reparieren. Wer den richtigen Kaffee, das richtige T-Shirt, das richtige Fleisch kauft, tut das nicht für sich selbst, sondern für die Welt – um Arbeitenden, Tieren oder dem Klima etwas Gutes zu tun. Einkaufen, könnte man meinen, wird zunehmend zum altruistischen Akt.

Fast jeder Zweite kauft laut einer aktuellen AK-Studie gezielt Bio- oder Fairtrade-Produkte, immerhin ein Drittel boykottiert bestimmte Artikel – oder buykottiert sie, kauft sie also gezielt. Ein Trend, den auch Unternehmen erkannt haben. Sie buhlen mit Versprechen und Siegeln um die verantwortungsvolle Käuferschaft, eine Abteilung für Corporate Social Responsibility (CSR) gehört für größere Firmen inzwischen zum guten Ton. Doch entscheidet sich die Rettung der Welt wirklich am Supermarktregal?

Protest statt Konsum

"Natürlich haben Konsumentinnen und Konsumenten eine Macht", sagt die Wirtschaftsprofessorin Elke Schüßler, die das Institut für Organisation an der Johannes-Kepler-Universität Linz leitet. Trotzdem sei es aber so, dass Konsumierende eben keine organisierte Gruppe sind. Wenn sich Menschen entscheiden, bestimmte Produkte zu kaufen oder zu boykottieren, sind das viele Einzelentscheidungen, die kaum Hebelwirkung haben. Um wirklich etwas zu verändern, müssten Konsumentinnen und Konsumenten als Kollektiv Druck aufbauen – das passiert allerdings nur extrem selten.

Aber eben doch manchmal: Schüßler erinnert sich an die massiven Kampagnen gegen Nike aufgrund von Kinderarbeit in den späten 90er- und frühen 2000er-Jahren. Unter dem Druck lenkte der Sportartikelhersteller ein – und geht seitdem konsequenter gegen Kinderarbeit vor.

CSR kann vieles sein

Hinter solchen Kampagnen steckten aber nicht nur die Käuferinnen und Käufer selbst, sondern oft auch die professionelle Arbeit von NGOs. "Doch diese wurden tendenziell ausgeblutet", sagt Schüßler. Nach einer Hochphase vor rund zwanzig Jahren wechselten viele Mitarbeitende aus Umwelt- oder Sozialorganisationen in die neu geschaffenen CSR-Abteilungen von Unternehmen, oft im Glauben, das System von innen verändern zu können. "Am Ende gewinnt dann aber oft die Profitlogik", sagt Schüßler.

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Die Produktionsketten hinter vielen Artikeln lassen sich nur schwer nachvollziehen.
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Ohnehin ist Corporate Social Responsibility ein schwammiger Begriff. Salopp gesagt vereint er alles Gute, was ein Unternehmen irgendwie tun will. "Da kann von Spendenaktionen für die Caritas bis zur betrieblichen Mitarbeitervorsorge wirklich alles dazugehören", sagt Schüßler. Die Forschung hat gezeigt, dass es umso weniger wirksame Initiativen gibt, je weiter man an den Anfang der Lieferkette geht. Am Ende ist CSR oft nur die Zusatzversicherung für den Verkaufsleiter in Wien als ein höherer Lohn für die Näherin in Bangladesch.

Licht auf die Lieferkette

Dort stürzte 2013 eine Textilfabrik ein, mehr als 1100 Menschen kamen uns Leben. Schüßler hat untersucht, was sich seitdem in der Branche verändert hat. Das ernüchternde Ergebnis: nicht viel. Zwar hat sich die Gebäudesicherheit in Bangladesch verbessert, doch die Textilkonzerne kamen ohne größere Imageschäden davon.

Während beim Lebensmitteleinkauf viele auf die Herkunft achten, ist das Interesse für nachhaltig und fair produzierte Kleidung, Elektronik oder Möbel weniger ausgeprägt. "Wo es nicht um den eigenen Körper geht, ist das Bewusstsein deutlich geringer", sagt Schüßler.

Oft fehlt schlicht auch das Wissen über die Bedingungen, unter denen Produkte produziert werden. Es ist für Konsumentinnen und Konsumenten praktisch unmöglich, den Weg jeder Lasagne, jedes Smartphones und jedes T-Shirts nachzuvollziehen.

Lösen soll das ein Lieferkettengesetz. Hersteller müssten dann Verantwortung dafür übernehmen, was in ihren Lieferketten passiert – nichts gewusst zu haben gilt dann nicht mehr. In Deutschland gilt es ab kommendem Jahr, auf EU-Ebene wird schon länger daran geschmiedet.

Auch das Biohuhn könnte am Ende von prekär beschäftigten Arbeitern geschlachtet worden sein.
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Niemand ist für Ausbeutung

"Wir können uns die Welt nicht glücklich kaufen", sagt Veronika Bohrn Mena, Sprecherin der Initiative Lieferkettengesetz Österreich. Das Bild des mündigen Konsumenten, der durch seine freien Kaufentscheidungen Nachfrage für faire und nachhaltige Produkte schafft, sei nichts anderes als eine Illusion. Niemand ist für Sklaverei, Ausbeutung oder Tierquälerei, und doch stehen diese Missstände in vielen Produktionsketten auf der Tagesordnung – weil die mächtigen Supermarktkonzerne das Sortiment diktieren. Wenn vom Erlös einer Tomate über 80 Prozent beim Handel landen, könne etwas nicht stimmen.

Für sie ist es "absurd", dass es überhaupt Siegel gibt, die Lebensmittel als fair oder ökologisch ausweisen. "Das sollte keine Marktlücke sein", sagt Bohrn Mena. Denn nicht jeder und jede könne sich den Premium-Aufschlag leisten. "Wenn ich ein Lebensmittel kaufe, will ich mich darauf verlassen können, dass niemand dafür versklavt wurde."

Gesetzliche Mindeststandards

Zwar mag es für Kaffee, Schokolade oder Kleidung und andere Produkte, die aus Übersee kommen, Siegel geben, die eine faire Behandlung der Arbeitenden sicherstellen sollen. Doch auch in Europa liege vieles im Argen: Auf Obst- und Gemüsefarmen, etwa in Spanien oder Süditalien, arbeiten Menschen, die Opfer von Menschenhandel oder in anderen mafiösen Strukturen gefangen sind.

Zudem muss Bio nicht gleich fair und fair nicht gleich Bio bedeuten: Auch das teure Biohuhn mag zwar ein besseres Leben gehabt haben, wurde aber wohl vom gleichen prekär beschäftigten polnischen Arbeiter zerlegt wie das Billighuhn, das im Supermarkt daneben liegt.

Damit sich das ändert, fordert Bohrn Mena gesetzliche Mindeststandards, um allen Menschen gesunde und fair produzierte Lebensmittel zu garantieren. Mit ihrer Gemeinwohlstiftung Común veranstaltet sie daher kommende Woche in Hallein die ersten Konsumdialoge, um Bewusstsein für das Thema zu schaffen. Fest steht für sie jedenfalls: Die Politik muss dringend handeln, nicht die Kunden.

Doch ist im Umkehrschluss dann derjenige der Dumme, der den teuren Ökokaffee kauft? "Ich glaube, das wäre zu kurz gedacht", sagt Betriebswirtin Schüßler. Jede kleine Konsumentscheidung könne die Welt ein bisschen besser machen. "Aber je mehr Menschen versuchen, etwas zu verbessern, und merken, dass sie es nicht können, desto eher kann kollektiver Druck entstehen", sagt Schüßler. (Philip Pramer, 6.5.2022)