Die Gründerzeithäuser machen Wien zu der Stadt, die sie ist. Sie haben Kriege und Krisen erlebt, gute und weniger gute Zeiten, spannende Bewohnerinnen und tragische Schicksalsschläge. Wer durch die Straßen Wiens geht, fragt sich daher vielleicht manchmal: Was würden die Häuser erzählen, wenn sie es denn könnten?

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Die Anzahl der echten Wiener Zinshäuser sinkt stetig.
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So neugierig waren offenbar auch die Brüder und Immobilienunternehmer Clemens und Bernhard Riha. Gemeinsam mit Silke Farmer-Wichmann haben sie das Buch Wenn Wände reden könnten. Wiener Zinshäuser und ihre Geschichte und ihre Geschichten geschrieben.

Doch es ist offenbar gar nicht so leicht, ein Haus zum Reden zu bringen. Am Anfang standen rund 10.000 Briefe, die das Team an Zinshausbesitzerinnen und Zinshausbesitzer verschickte, um ihre Gesprächsbereitschaft auszuloten. Erst habe es Absagen gehagelt, letztendlich seien aber doch 200 Zusagen zu Gesprächen gekommen, die den Rahmen eines Buches wohl gesprengt hätten.

Insgesamt werden die Geschichten von 52 alten Gebäuden in ganz Wien erzählt – und von einem modernen Holzhochhaus in der Seestadt Aspern, das aus dem Rahmen fällt, aber vom Immobilienunternehmer Günter Kerbler entwickelt wurde, der mit der Conwert einst bis zu 1000 Zinshäuser besaß.

Tote in der Badewanne und Amokläufe

Die meisten Häuser wurden aber zwischen 1840 und 1918 errichtet. Ihre Fassaden mögen schmuck sein, doch was sich dahinter abspielt, passt nicht immer ins Bild. Die Besitzerinnen und Besitzer, denen die Häuser häufig schon seit Jahrzehnten gehören, erzählen von erst gefundenen, dann verschwundenen Schätzen, einem Swimmingpool auf dem Dach oder der Sängerin Donna Summer als besonders glamouröse Mieterin.

Silke Farmer-Wichmann, Clemens
Riha, Bernhard Riha
, "Wenn Wände
reden könnten. Wiener Zinshäuser:
Ihre Geschichte und ihre Geschichten". 29,90 Euro. Kremayr-Scheriau

In so einem mehr als hundert Jahre alten Haus spielt sich aber auch das eine oder andere tragische Ereignis ab. Es gab Tote in der Badewanne, Fensterstürze, Amokläufe und Diebestouren, bei denen sämtliche Bassenas im ganzen Haus abmontiert und gestohlen wurden. Es sind schöne und weniger schöne Geschichten, die sich beim Blick hinter die vielen Fassaden offenbaren. Sie schärfen den Blick auf die alten Häuser und zeigen, wie unterschiedlich nicht nur die Gebäude, sondern auch ihre Besitzerinnen und Besitzer sind. Nicht zuletzt verdeutlichen die Erzählungen, was für ein Schatz die Wiener Zinshäuser mit ihrer wechselhaften Geschichte sind. Dabei ist die Anzahl der echten Wiener Zinshäuser seit Jahren am Sinken. Nicht nur, weil immer wieder alte Häuser abgerissen und durch neue ersetzt werden, sondern auch, weil viele Häuser parifiziert werden. Die Mietwohnungen werden also saniert und dann als teure Eigentumswohnungen abverkauft.

Dadurch verändert sich der bunte, über Jahrzehnte erprobte Bewohnermix – und damit die Geschichten, die das Haus erzählt. Immerhin wurde einer Handvoll der alten Häuser nun ein kleines, feines Denkmal gesetzt. (Franziska Zoidl, 10.5.2022)