Der Tonale ist ebenso unverkennbar
ein SUV, wie er ein Alfa Romeo ist, Stichwort Scudetto. Fährt sich aber auch so, wie ein Alfa sich fahren soll.
Foto: Alfa Romeo

Er ist sozusagen die letzte Hinterlassenschaft der Ära Sergio Marchionne, die nächsten Alfa-Romeo-Neuzugänge tragen bereits Stellantis-Signatur, sprich: werden Derivate auf französischen PSA-Plattformen sein. Aber hier und jetzt durften die Italiener noch einmal richtig selbst ran und die Vorlage, auf der auch der Jeep Compass basiert, nach ihrem Gutdünken modifizieren, damit ja auch Romeo drin sei, wo Alfa draufsteht.

Vom Tonale ist die Rede, und zur Pressekonferenz der internationalen Fahrpräsentation wurde ein wahrhaft würdiger Rahmen gewählt: der Tempio Voltiano in Como, wo Alessandro Voltas wissenschaftliche Leistungen den geeigneten musealen Rahmen finden.

Foto: Alfa Romeo

Quasi von der ersten (Froschschenkel-)Zuckung, der ersten Batterie zum E-Mobil: Alfa Romeo hat sich auch da ehrgeizige Ziele gesteckt, abgesegnet im Stellantis-Konzern. Man wolle der erste klimaneutrale Hersteller der Welt werden, ab 2027. Auf dem Weg dorthin ist für 2024 der erste batterieelektrische Alfa in Aussicht gestellt (von dem es noch Derivate wie Plug-in-Hybrid geben wird), 2025 kommt dann das erste ausschließlich elektrische Modell mit dem Scudetto vorn.

Der Name ist Programm

In die Marschrichtung passt nach Meinung der Italiener auch der Tonale, der nämlich (bis auf den 2023 folgenden Diesel) nur elektrifiziert erhältlich ist – entweder mit Mild- oder Plug-in-Hybrid, und wenn auch die Zeiten für echte Cuori Sportivi vorbei sein mögen: Die Cuori der Alfisti soll der Tonale dennoch zum Klingen bringen, der Name ist Programm.

Ob das gelingt? Kurzes Telegramm vom Premierenausritt rund um den Comer See, dort, wo in den 1930ern der legendäre Tazio Nuvolari Ruhm einfuhr: erst einmal, man sitzt eindeutig in einem Alfa Romeo, sehr schick designt, ansprechende Materialien und Qualitätsanmutung, Mittelkonsole fahrer(innen)orientiert, wie sich das gehört. Da würde ein HUD gut dazupassen. Leider: Fehlanzeige.

Foto: Alfa Romeo

Dann macht sich das, was vortags als aufwendige (MacPherson-)Vorder- und Hinterachskonstruktion und an strategisch wichtigen Stellen versteifte Karosserie angepriesen wurde, real in Leichtfüßigkeit und Agilität bemerkbar, und die Lenkung ist sauber und präzise – mit 13,6:1 nicht ganz so direkt wie Giulia und Stelvio, dafür aber auch niemals eckig.

Beim adaptiven Fahrwerk ist eine spürbare Spreizung zwischen Komfort und Sport zu bemerken, bei alfatypisch straffer Auslegung. Im Sportmodus kann es auf holprigem Untergrund ruppig werden, prinzipiell aber auch hier: tadellos, und damit wären wir beim Antrieb. Bei uns geht es ja im Mai los mit einer Edizione Speziale, Mildhybride mit 130 und 160 PS – Letztere durften wir kennenlernen.

Theorie und Praxis sind zweierlei

Eh. Nicht. Übel. Spritzig, wenn auf Touren. Aber. Cuore Sportivo? Bedingt. Denn da ist immer so eine Gedenkzehntelsekunde, bevor der Wunsch vom Gaspedal auf die Straße kommt. Der Klang ist auch nicht berühmt, doch das ist eh kein Kriterium mehr. Ein Kriterium wäre dann denn schon die Unmittelbarkeit beim Antritt, immerhin hatte Alfa im Volta-Tempel betont, dass zum ab 1500 Touren anliegenden 240-Nm-Drehmomentmaximum des neuen 1,5-Liter-Vierzylinders (Miller-Zyklus) noch 55 Nm vom 15-kW-E-Motor hinzukämen. Theorie und Praxis sind eben zweierlei, und 8,6 l / 100 km auf der Testroute, ohne großes Spektakel gefahren, sind auch kein Weltrekord.

Foto: Alfa Romeo
Grafik: Der Standard

Prinzipiell hat der Tonale, der ohne lange Wartezeit voll lieferbar ist, aber durchaus das Zeug, bei der Konkurrenz zu wildern. Alfa meint, sich der gegenüber hervorzutun auch mit einer umfassenden Konnektivitätsstrategie und verweist unter anderem auf NFT. Gemeint ist nicht, gleichwohl man den Schwerpunkt möglichst niedrig halten will, Niederflurtechnik oder das Ende der ZukuNFT, sondern Non-Fungible Token. Der Tonale sei das erste Auto, dessen gesamter Lebenszyklus digital erfasst wird. Fälschungssicher weil Blockchain-basiert. Dass dabei womöglich mehr Energie verbraucht wird als im Fahrbetrieb, steht auf einem anderen Blatt, jetzt hat man da erst einmal den Scudetto, die Nase vorn. OTA-Updates (over the air) zählen ebenso in diese Schiene wie die Alexa-Integation.

Und noch einmal Sergio Marchionne. Fast hätten wir Leone geschrieben, denn: Spiel mir das Lied vom Rot. Alfa-Rot, das vermutlich stimmigste nach Ferrari und noch vor Mazda. Gibt es auch beim Tonale, wobei die Italiener bei der Präsentation in Como weniger darauf, sondern auf fetziges Grün und Blau setzten.

Insgesamt geht es auch um die schwierige Übung, den Mythos von Alfa Romeo halbwegs plausibel in die Zukunft zu transferieren, und da kommt dann noch der Plug-in-Hybrid mit 275 PS Systemleistung und rund 65 km E-Reichweite ins Spiel, der Ende des Jahres zuläuft. Da haben wir Transaxle der anderen Art vor uns: vorn Verbrenner, hinten E-Motor. (Andreas Stockinger, 14.05.2022)