Vor allem im Donbass – im Bild die Stadt Bachmut – verstärkte die russische Armee zuletzt ihre Angriffe.

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Die Aktion beim Filmfestival in Cannes dauerte nur wenige Sekunden: Eine Frau stürmte mit in ukrainischen Nationalfarben bemaltem nacktem Oberkörper und blutroter Unterhose Freitagabend auf den roten Teppich und schrie auf Englisch: "Hört auf, uns zu vergewaltigen!" Das Mitglied des radikalen feministischen Kollektivs "Scum" wollte damit auf die sexualisierte Gewalt russischer Streitkräfte gegen Frauen in der Ukraine aufmerksam machen. Menschenrechtsorganisationen sprechen davon, dass die russische Armee Vergewaltigungen in der Ukraine als Kriegswaffe einsetzt.

"Hört auf, uns zu vergewaltigen" forderte eine Aktivistin in Cannes. Sicherheitsbedienstete führten die Frau rasch ab.
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Kriegsrecht und Generalmobilmachung verlängert

In der Ukraine selbst gingen die Kämpfe am Wochenende unvermindert weiter. Die russische Armee setze "ihre Raketen- und Luftangriffe auf das gesamte Territorium" fort und habe "die Intensität erhöht", hieß es vom Generalstab der ukrainischen Armee am Sonntag. In der östlichen Donbass-Region würden die russischen Truppen nach der kompletten Einnahme der Hafenstadt Mariupol nun versuchen, dort die letzten ukrainischen Stellungen zu erobern.

Mindestens acht Menschen wurden dabei nach ukrainischen Angaben am Sonntag getötet. Im ostukrainischen Gebiet Donezk wurden nach Angaben des ukrainischen Militärs mindestens sieben Menschen getötet und acht verletzt. Bei einem Raketenangriff auf Malyn nordwestlich von Kiew wurde nach Angaben der Agentur Unian ebenfalls mindestens ein Mensch getötet.

Das seit Ende Februar in der Ukraine geltende Kriegsrecht sowie die Generalmobilmachung wurden am Sonntag um weitere 90 Tage verlängert. Präsident Wolodymyr Selenskyj forderte am Sonntag noch weitreichendere Sanktionen gegen Russland. Die Ukraine will offenbar auch einen Ausschluss Russlands aus der Unesco beantragen.

Russland laut Putin-Berater offen für Verhandlungen

Am Sonntagabend gab ein Berater von Kremlchef Wladimir Putin bekannt, dass Russland bereit sei, die Gespräche mit Kiew wieder aufzunehmen. Er sehe jedoch die Ukraine in Zugzwang, sagte Wladimir Medinski der Agentur Interfax zufolge im belarussischen Staatsfernsehen. Medinski, der zuvor die Verhandlungen für die russische Seite geleitet hatte, schloss auch ein Treffen zwischen Putin und Selenskyj nicht aus. Doch dafür werde eine "ernsthafte Vorbereitung" benötigt – etwa ausgearbeitete Dokumente, die die Präsidenten dann unterschreiben könnten. Von ukrainischer Seite gab es zunächst keine Reaktion auf die Aussagen.

Die Ukraine hatte die Verhandlungen zur Beendigung des Krieges am Dienstag ausgesetzt. Die Gespräche sollten nur bei konkreten Vorschlägen wieder aufgenommen werden, hatte Kiews Unterhändler Mychajlo Podoljak gesagt. Zudem könne man über einen Waffenstillstand nur nach einem vollständigen Rückzug russischer Truppen diskutieren. "Der Krieg endet nicht, wenn wir irgendetwas aufgeben", so Podoljak. Nur eine vollständige Befreiung aller besetzten Territorien sei akzeptabel.

USA und Finnland bestraft

Unterdessen reagierte Russland auf die von den USA verhängten Strafmaßnahmen am Wochenende mit einer Ausweitung der Einreiseverbote: Moskau veröffentlichte erstmals die nach eigenen Angaben "vollständige" Liste von 963 US-Amerikanerinnen und US-Amerikanern, denen eine Einreise nach Russland untersagt ist, darunter etwa Schauspieler Morgan Freeman. Zuvor war bereits bekannt gewesen, dass unter anderem Präsident Joe Biden, Außenminister Anthony Blinken sowie hunderte Mitglieder des US-Repräsentantenhauses betroffen sind.

Finnland bekam die russische Aggression am Wochenende via Lieferstopp zu spüren: Seit Samstag erhält das Land kein Gas mehr aus Russland. Helsinki hatte sich geweigert, Zahlungen in Rubel zu leisten. Doch auch der geplante Nato-Beitritt des Landes dürfte bei dem Schritt Moskaus wohl eine Rolle gespielt haben.

Vergangene Woche konnten Beitrittsgespräche mit Finnland und Schweden allerdings nicht wie geplant beginnen, weil der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan dies wegen "Sicherheitsbedenken" vorerst verhinderte. Am Samstag kommunizierte er der schwedischen Regierungschefin und dem finnischen Präsidenten direkt seine Forderungen: Er verlangte ein Ende des westlichen Waffenembargos und der Unterstützung für "Terrorgruppen". (maa, APA, 22.5.2022)