Verkäuferinnen und Verkäufer des "Augustin" erhalten die Hälfte des Verkaufspreises.

Foto: APA/Augustin/Mario Lang

Wien – Die Wiener Straßenzeitung "Augustin" steckt in finanziellen Schwierigkeiten. Was im Jahr 1995 als "erste österreichische Boulevardzeitung" gegründet und im Laufe der Jahre zu einem kleinen Medienimperium wurde, kämpft jetzt um seine wirtschaftliche Perspektive. Zwei Jahre Corona haben dem "Augustin" ebenso zugesetzt wie die hohen Papierpreise sowie der Trend zum bargeldlosen Zahlen.

Nachdem die Verkaufszahlen zurückgegangen sind, musste der "Augustin" bereits Radio und TV einstellen. Subventionen gibt es nach wie vor keine. Wie dramatisch die Lage ist und mit welchen Mitteln gegengesteuert werden soll, erklärt Claudia Poppe per Mail. Sie ist bereits seit 1999 beim "Augustin" und dort unter anderen für den Veranstaltungskalender Strawanzerin, Onlineauftritt und Öffentlichkeitsarbeit zuständig.

STANDARD: Corona hat Straßenzeitungen wie dem "Augustin" ordentlich zugesetzt. Nach über zwei Jahren Pandemie: Wie dramatisch ist die Lage?

Poppe: Also im ersten Lockdown war die Lage tatsächlich existenzbedrohend, aber wir haben uns mit einem Crowdfunding, Kurzzeitabos, fixen Verkaufshotspots, Zeitungszustellungen und vielen Spenden über die erste Krise hinweggerettet. Es gab wirklich sehr viel Unterstützung aus der Wiener Bevölkerung. Ein großes Dankeschön an dieser Stelle noch einmal. Mittlerweile dauert die Pandemie jedoch schon sehr lange, es gab viele Lockdowns, wenn auch in abgeschwächter Form, das hat sich leider nachhaltig auf die Verkaufszahlen aller Straßenzeitungen ausgewirkt. Gewohnheiten haben sich verändert, viele Menschen sind im Homeoffice – das ist wirklich ein Problem.

Claudia Poppe arbeitet seit 1999 beim "Augustin".
Foto: Augustin

STANDARD: Wie haben sich die Verkaufszahlen entwickelt? Wie hoch ist die Auflage?

Poppe: Seit dem ersten harten Lockdown haben sich die Verkaufszahlen zwar verbessert, aber nicht ausreichend erholt. Wir haben im Moment eine Auflage von 16.000 Stück (es waren schon einmal 35.000, Anm.) , das ist zu wenig, um den Betrieb in seiner gesamten Breite aufrechtzuerhalten. Daher mussten wir vor kurzem Radio und TV einstellen, was sehr schmerzlich ist. Denn das bedeutet auch ein Stück weit weniger Sprachrohr für Marginalisierte sein, weniger auf allen Ebenen auf wichtige Themen hinweisen können.

STANDARD: Wie sieht es mit Inseraten aus?

Poppe: Immer wieder hören wir natürlich den Ratschlag "Ja, dann nehmt doch Inserate!". Wir nehmen Inserate, auch wenn wir da sehr wählerisch sind, aber Fakt ist auch, wir spüren genauso wie alle anderen Printmedien den Rückgang bei Schaltungen.

STANDARD: Bargeldloses Zahlen ist auf dem Vormarsch. Welche Rolle spielt das für den Verkauf?

Poppe: Dass die Menschen seltener Bargeld eingesteckt haben, ist ja nicht erst durch Corona entstanden, sondern war auch davor schon Thema. Wir beschäftigen uns tatsächlich schon seit 2018 mit der Möglichkeit, den "Augustin" bargeldlos anzubieten, es gibt auch schon ein Konzept, aber bislang scheiterte es am Geld. Einige erinnern sich vielleicht noch an unsere Suppporterskonferenz, bei der viele Zukunftsszenarien diskutiert wurden.

Auch beim digitalen Fortschritt versuchen wir mitzuhalten, seit dem März 2021 gibt es ja unser E-Paper "Augustin", sprich Interessierte können unsere Inhalte digital lesen beziehungsweise barrierefrei sich auch vorlesen lassen. Jedoch bräuchte es hier noch eine Version, die auf der Straße angeboten werden kann, und die App könnte ja in ihrem Angebot noch um so vieles Nützliches erweitert werden, wie zum Beispiel die Koordination unserer Ehrenamtsgruppe. Aber auch hier ist natürlich finanzielle Unterstützung notwendig – und zwar nicht nur bei der Investition, sondern auch beim Personal, denn für solche zusätzlichen Angebote brauchen wir ja auch entsprechende Kapazitäten.

STANDARD: Sind neue Vertriebswege in Planung?

Poppe: Der "Augustin" war schon immer gut für kreative Alternativen, und wir probieren jetzt einmal eine, wie ich finde, ausgesprochen charmante Variante des bargeldlosen Verkaufs. Wir führen eine neue Währung ein: nämlich die Gusti. Eine Gutscheinmünze aus Holz, die bei uns um drei Euro gekauft werden kann, die praktisch zum Einstecken ist, ins Geldbörserl, in die Bauchtasche, ins Tschickpackerl.

Somit sind unsere Leser:innen jederzeit bereit, einen "Augustin" zu kaufen. Einfach Münze gegen aktuelle Ausgabe tauschen. In der jetzigen Ausgabe gibt es übrigens einen tollen Blick auf unsere Geschichte, also auch eine sehr empfehlenswerte Lektüre für alle, die den "Augustin" noch nicht so gut kennen. Die gesammelten Gusti-Münzen können die Verkäufer:innen dann jedenfalls bei uns im Büro gegen Bargeld eintauschen.

Der "Augustin", eine Institution in Wien.
Foto: Augustin

STANDARD: Wie viele Verkäuferinnen und Verkäufer sind aktuell für den "Augustin" tätig? Und müssen Sie viele ablehnen?

Poppe: Rund 380 Verkäufer:innen sind derzeit auf den Straßen Wiens unterwegs, um den "Augustin" zu verkaufen. Es stehen aber fast 400 Personen auf unserer Warteliste. Wir können leider nicht alle aufnehmen, zum einen haben wir die personellen Ressourcen nicht und zum anderen wären es auch zu viele Verkäufer:innen für Wien. Schön wären natürlich Ausgabestellen in Niederösterreich oder auch im Burgenland, dort gibt es nämlich keine eigenen Straßenzeitungen, aber auch hierfür fehlt es an Personal und Geld.

Was uns zunehmend Sorgen bereitet, sind die steigenden Lebenserhaltungskosten. Lebensmittel, Energie, Wohnen sowieso. Es wird für von Armut betroffene Menschen zur Zeit alles noch enger.

STANDARD: Und wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten für den "Augustin"?

Poppe: In unserem gemeinnützigen Verein arbeiten zwölf Teilzeitangestellte für Redaktion, Grafik, PR, Buchhaltung, Inserate, Vertrieb, Sozialarbeit, Reinigung und rund 40 freie Journalist:innen und Fotograf:innen.

STANDARD: Während es für andere Medien Corona-Sonderförderungen gegeben hat, schauen die Straßenzeitungen noch immer durch die Finger, oder?

Poppe: Ja, tatsächlich. Förderungen sind meist mit so vielen Auflagen verbunden, die können wir nicht alle erfüllen. Und für eine Presseförderung passen wir nicht in die Kriterien, weil: 14-tägige Erscheinungsweise und regional.

STANDARD: Was wünschen Sie sich von der Politik?

Poppe: Wir wünschen uns tatsächlich eine Presse- beziehungsweise Medienförderung mit gut durchdachten Kriterien und eine Vergabe unter fairen Bedingungen.

STANDARD: Medienministerin Susanne Raab (ÖVP) lädt ja zu Medienkonferenzen. Gibt es Signale, dass es Unterstützung geben könnte?

Poppe: Signale für die österreichischen Straßenzeitungen gibt es, ja. Wann und in welcher Form es konkrete Ergebnisse geben wird, ist aber noch nicht klar. Den vor kurzem veröffentlichten Digi-Transformationsfonds werden wir wohl nicht in Anspruch nehmen können, denn bei 50 Prozent Selbstbehalt, wie soll das gehen? Österreichische Straßenzeitungen sind jetzt übrigens auf einer gemeinsamen Website vertreten: www.strassenzeitung.at.

STANDARD: Die gesamte Printbranche leidet unter den derzeit enorm hohen Papierpreisen. Der "Augustin" auch?

Poppe: Ja, sehr. Seit November ist der Preis um fast 40 Prozent gestiegen. Aus diesem Grund mussten wir jetzt auch kurzfristig die Zeitung um ein paar Seiten kürzen. Wir hoffen, dass sich das bald wieder ändert. (Oliver Mark, 24.5.2022)