Finnwale leben meist weit draußen im Ozean und sind äußerst schnell – für Tierfotografen ein harter Knochen.
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Der Finnwale ist ein naher Verwandter des Blauwals und mit einer Länge von bis zu 27 Metern das zweitgrößte Tier unseres Planeten. Im Unterschied zu seinem etwas massiger gebauten blauen Cousin ist der Finnwal (Balaenoptera physalus) ein schlankes Wesen und nur halb so schwer. Wegen seiner Schnelligkeit und seiner entlegenen Lebensräume im offenen Ozean blieben Finnwale bis zum späten 19. Jahrhundert weitgehend unbehelligt. Erst als der Blauwal praktisch ausgerottet war, wandten sich die Walfänger dann doch dem Finnwal zu. In den späten 1960er-Jahren war auch dieser Wal fast verschwunden.

Zu seinen schlimmsten Zeiten und bevor die ersten Schutzmaßnahmen in den 1970er-Jahren zu greifen begannen, dürfte der ursprüngliche Bestand von geschätzten 450.000 Finnwalen auf nur wenige Tausend Exemplare zusammengeschmolzen sein. Auf der Roten Liste gefährdeter Arten der Weltnaturschutzunion IUCN wird der Finnwal unter "vulnerabel" gereiht. Akkurate Schätzungen der heutigen Population sind naturgemäß schwierig, Forschende gehen von etwas über 100.000 Individuen aus.

Überraschende Entwicklung

Man sollte annehmen, dass sich die schwere Dezimierung verheerend auf die genetische Vielfalt der Finnwale ausgewirkt hat – überraschenderweise ist dem jedoch nicht so. Wie eine aktuelle internationale Studie zeigt, hatte das große Schlachten keine langfristige genetische Schwächung dieser Art bewirkt.

Für die in der Fachzeitschrift "Molecular Biology and Evolution" veröffentlichte Arbeit untersuchte ein Team um Axel Janke vom Loewe-Zentrums für Translationale Biodiversitätsgenomik (TBG) in Frankfurt am Main 51 Genome einer nordatlantischen Finnwalpopulation aus isländischen Gewässern. Anhand der Proben aus den Jahren 1989, 2009 und 2018 entwickelten sie demografische Modelle, die Rückschlüsse auf die Populationsveränderungen über rund 800 Jahre erlauben.

Manche hatten mehr Glück

Die Forschenden kommen zu dem Schluss, dass der Walfang einen starken Einfluss auf die Bestände im Nordatlantik hatte und sie innerhalb von rund einhundert Jahren auf bis zu zwanzig Prozent ihrer vorherigen Größe dezimierte. Allerdings zeigte sich auch, dass verschiedene Populationen unterschiedlich stark vom Walfang getroffen waren, da die Genome mancher Tiere kaum oder keine Spuren dieser Bestandsverringerung aufwiesen.

"Der Blick auf die genetische Vielfalt einer Art erlaubt Rückschlüsse darauf, ob und wie gut sich diese Art an neue Umweltbedingungen oder Veränderungen ihrer Population anpassen kann oder ob sie vermutlich aussterben wird", sagt Magnus Wolf vom Senckenberg-Biodiversität-und-Klima-Forschungszentrums (SBiK-F), Erstautor der Studie. "Daher lassen sich anhand der genomischen Analyse häufig bereits Entwicklungen erkennen, bevor sie offen zutage treten. Bei den nordatlantischen Finnwalen konnten wir jedoch in der langfristigen Perspektive keinen deutlichen Verlust ihrer Diversität feststellen."

Kaum Tumore

Auch andere genetische Folgen innerhalb der dezimierten Finnwalbestände scheinen ausgeblieben zu sein. Weder fanden die Wissenschafterinnen und Wissenschafter Anzeichen häufiger Inzucht, bei denen sich die Genome unnatürlich stark ähneln, noch ließ sich eine größere Anzahl von Gendefekten nachweisen, die die Population langfristig belasten würden. "Solche Mutationen treten ständig auf, doch in kleinen Populationen fallen sie stärker ins Gewicht, da es dann manchmal keine Tiere ohne diese Mutation mehr gibt, die sich durchsetzen könnten", so Wolf.

Im Vergleich zu stärker gefährdeten Walarten wie dem Blauwal oder dem Nordatlantischen Glattwal scheint der Erholung der Finnwale also vor allem der aktuelle Einfluss des Menschen im Weg zu stehen. "Wale sind nicht nur beeindruckende Tiere, sondern scheinen auch trotz ihrer langen Lebensdauer von bis zu einhundert Jahren und ihrer Körpergröße kaum Tumore zu entwickeln und damit resistent gegen Krebs zu sein", sagt Janke. "Die Entschlüsselung der genomischen Mechanismen, die dieses Paradoxon verursachen, könnte uns helfen, eine der folgenreichsten Krankheiten in der Geschichte der Menschheit anzugehen." (red, 29.5.2022)