Die Soldatin bei einer Parade 2020.

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Die Tinder-Anzeige, die Anastasia Biefang im Jahr 2019 veröffentlichte, war unmissverständlich: "Spontan, lustvoll, trans*, offene Beziehung, auf der Suche nach Sex. All genders welcome", hieß es da.

Biefang, 48 Jahre alt, ist in Deutschland keine Unbekannte. Die Stabsoffizierin der Luftwaffe der Bundeswehr im Dienstgrad eines Oberstleutnants wurde 2017 die erste offen transgeschlechtliche Bataillonskommandantin der Streitkräfte. 1994, während des Grundwehrdiensts, unterlag sie noch der Wehrpflicht für Männer.

Ihr Coming-out und geschlechtsangleichende Maßnahmen im Jahr 2015 beendeten ihre Karriere in der Bundeswehr nicht, sie stand zeitweise 1.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vor. Heute ist Biefang Referatsleiterin im Kommando Cyber- und Informationsraum in Bonn.

2019, als sie bei Tinder auf der Suche war, bekam ihr Vorgesetzter Wind von Biefangs Beschreibung und erteilte ihr daraufhin einen disziplinarrechtlichen Verweis wegen Verletzung der außerdienstlichen Wohlverhaltenspflicht.

Eingriff in Selbstbestimmung

Biefang jedoch wehrte sich und argumentierte, bei dem Rüffel handle es sich um einen nicht zu rechtfertigenden Eingriff in ihr Grundrecht auf sexuelle Selbstbestimmung.

Es folgte der Gang durch mehrere Instanzen – und nun entschied der Zweite Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig, dass der Tadel für Biefang rechtens war. "Wir denken, dass ein Kommandeur auch im Internet seine Worte wählen muss", sagte der vorsitzende Richter Richard Häußler in der Urteilsbegründung. "Da müssen Formulierungen vermieden werden, die Zweifel an der charakterlichen Integrität wecken." Es dürfe nicht der "Eindruck eines wahllosen Sexuallebens" erweckt werden.

"Die Enttäuschung ist wahnsinnig groß. Mein Arbeitgeber wirkt in mein Privatleben ein. Ich werde wohl ab jetzt meine Tinder-Profile meinen Vorgesetzten vorlegen und prüfen lassen, ob das rechtmäßig ist", sagte Biefang nach dem Urteil.

"Moralvorstellung aus den Fünfzigerjahren"

Und sie bekam Unterstützung aus der Politik. "Likes für rechtsextreme Inhalte sollten ein Problem sein. Die Tatsache, dass man eine offene Ehe lebt und auf einem Datingportal unterwegs ist, nicht. Das ist die falsche Moralvorstellung aus den 50er-Jahren, die wir dachten, überwunden zu haben", erklärte die verteidigungspolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion, Sara Nanni, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

Auch die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), betonte: "Wir leben nicht im Jahr 1955. Privat ist privat, und Dienst ist Dienst."

Der Queer-Beauftragte der deutschen Bundesregierung, Sven Lehmann (Grüne), hat angekündigt, mit Verteidigungsministerin Christine Lambrecht und der Wehrbeauftragten der Bundeswehr, Eva Högl (beide SPD), das Gespräch zu suchen, um zu beraten, wie sich disziplinarische Urteile wie das gegen Biefang künftig verhindern lassen. (Birgit Baumann aus Berlin, 30.5.2022)