Die Anleihenzinsen sind für Länder wie Italien zuletzt steil nach oben geklettert – frisches Geld aufzunehmen wird also empfindlich teurer. Die EZB will das so nicht hinnehmen.

Foto: Imago

Es sind bewegte Tage für Notenbanker. Allerorts geht die Inflation durch die Decke, das verlangt ein entschlossenes Vorgehen der Währungshüter. Die US-Notenbank Fed stemmt sich mit einem Zinsschritt um einen Dreiviertelprozentpunkt, dem größten seit dem Jahr 1994, gegen die auf 8,6 Prozent hochgeschnellte Teuerung, und die Bank of England legte am Donnerstag bei den Zinsen ebenso nach wie die Schweizerische Nationalbank. Auch die Europäische Zentralbank (EZB) war gefordert – und berief eilig eine Krisensitzung des geldpolitischen Rats ein, um den Ausverkauf bei europäischen Staatsanleihen zu bremsen.

Die Anleihenrenditen mancher südlicher Eurostaaten sind dadurch derart schnell nach oben geschossen, dass unweigerlich Erinnerungen an die Euroschuldenkrise des vergangenen Jahrzehnts aufkochten. Italien konnte seine sehr hohen Staatsschulden – das Land steht mit etwa 150 Prozent der Wirtschaftsleistung in der Kreide – während der Corona-Pandemie bequem zu Zinssätzen von unter einem Prozent finanzieren; damit ist Schluss, zuletzt ist die Rendite zehnjähriger italienischer Schuldtitel auf mehr als vier Prozent geschossen. Vergangene Woche hat die EZB angekündigt, Anfang Juli ihre Anleihenkäufe einzustellen und kurz danach den ersten Zinsschritt seit elf Jahren zu wagen.

Zerreißprobe

Dass schon dies die Anleihenrenditen ins Kraut schließen ließ, legt eine unbequeme Erkenntnis nahe: Ohne Eingriffe der EZB würden die freien Marktkräfte zu einer neuerlichen Zerreißprobe für die Eurozone führen. Dies ist der EZB-Spitze rund um Chefin Christine Lagarde offenbar bewusst, daher wollen die Währungshüter künftig folgendermaßen vorgehen: Wenn Anleihen im Bestand der EZB getilgt werden, erwirbt sie im selben Volumen neue – und wird dies auch nach dem Auslaufen des Kaufprogramms tun. Dabei will sie nun flexibel vorgehen. Soll heißen, es werden weniger Papiere vom Klassenprimus Deutschland, dafür mehr aus Italien gekauft – dies soll den Renditeunterschied, auch Spread genannt, zwischen beiden Ländern drücken.

Zudem feilt die Notenbank an einem neuen Werkzeug, präsentiert wird es wahrscheinlich bei der Zinsentscheidung im Juli, bei der eine Anhebung des Leitzinses auf ein Viertelprozent geplant ist. Wie das Werkzeug ausschauen soll, sagten die Währungshüter offiziell vorerst nicht.

Insidern zufolge will sie ihr neues geldpolitisches Instrument zur Stützung schuldengeplagter Länder aber an eher lockere Bedingungen knüpfen. Dazu dürfte gehören, dass sich diese Staaten an länderspezifischen Empfehlungen der EU-Kommission hielten. Bei diesen Vorschlägen aus Brüssel geht es zumeist um strukturpolitische Fragen. Diese betreffen meist den Arbeitsmarkt oder das Pensionssystem. Wie die Insider erläuterten, soll das Ziel des Instruments einfach gehalten werden: So solle angestrebt werden, dass die Rendite-Spreads im Einklang mit den wirtschaftlichen Fundamentaldaten der Staaten stehen sollten. Es gehe damit nicht darum, sie nahe null zu drücken.

Befreiungsschlag

Diese Maßnahmen sollen die EZB vor einer Situation wie 2012 bewahren, als die Renditen Italiens und Spaniens derart hochgefiebert waren, dass Lagardes Vorgänger Mario Draghi, heute Italiens Ministerpräsident, zu seinem legendären Befreiungsschlag ausholte: "Whatever it takes", also alles Nötige, werde die EZB zum Zusammenhalt der Eurozone tun. Damals wurde mit dem OMT-Programm ein Instrument aufgesetzt, mit dem Staatsanleihen von unter Druck geratenen Eurostaaten erworben werden können, um Renditenausschläge zu bekämpfen. Eingesetzt wurde es bisher nicht, da es mit der offiziellen Beantragung eines Hilfsprogramms verknüpft ist. Das nun nur an vergleichsweise lockere Vorgaben der EU-Kommission geknüpfte neue EZB-Programm dürfte politisch eher akzeptabel sein.

Sich bei den Anleihenrenditen freizuspielen ist wohl Voraussetzung dafür, dass sich die Notenbank danach der Bekämpfung der Inflation widmet. Schon die Ankündigung des neuen Instruments sollte für eine Beruhigung an den Märkten sorgen, sagt Volkswirtin Ulrike Kastens von der Deutsche-Bank-Fondsgesellschaft DWS: "Insgesamt dürfte dies der EZB auch die Möglichkeit geben, die Leitzinsen schneller und aggressiver zu erhöhen." (Alexander Hahn, 17.6.2022)