28 Milliarden Euro will die Regierung bis zum Jahr 2026 in die Hand nehmen, um die immer weiter ausufernde Teuerung in den Griff zu bekommen. Die Maßnahmen, die sie ergreifen will, sind nicht unumstritten. So soll etwa die kalte Progression abgeschafft, der Klimabonus erhöht werden, Sozialleistungen werden indexiert.

Könnte der Staat mehr tun? Wifo-Chef Gabriel Felbermayr meint in einem STANDARD-Streitgespräch, dass die hohen Energiepreise auch wichtig seien – als Sparanreiz für Haushalte und Unternehmen etwa. Von Kritikern geforderte Mietzinsdeckelungen sieht Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) kritisch. Greife man dauerhaft in Mietpreise ein, sei das "verfassungsrechtlich ein Problem".

Er redet aber Leerstandsabgaben der Länder "in nennenswerter Höhe" das Wort, wobei es dafür Gesetzesänderungen bräuchte. Derzeit sind die Länder zuständig, können aber nur geringe Abgaben umsetzen. Kogler will den Ländern mehr Mittel in die Hand geben, damit sie höhere Wohnbeihilfen zahlen können.

Die Chefökonomin des ÖGB, Helene Schuberth, hält es für falsch, dass Österreich ausschließlich auf Einmalzahlungen und Steuertransfers setzen will. Sie plädiert dafür, die Ursache der Preissteigerungen anzugehen. Der Staat solle etwa Obergrenzen bei den Mieten festsetzen und in den Strommarkt eingreifen.

Ein Auszug aus dem Video-Streitgespräch. Den ganzen Talk zu sehen gibt es am Sonntag.

STANDARD: Hilft uns das Paket der Regierung durch die Krise?

Schuberth: Grundsätzlich gehört Österreich zu den wenigen Ländern in der EU, die fast ausschließlich auf eine Maßnahme setzen: die Entlastung von Haushalten und Unternehmen in Form von Einmalzahlungen und Steuertransfers. Das halte ich angesichts der höchsten Inflationsrate seit 50 Jahren für falsch.

STANDARD: Warum?

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"Die aktuellen Preise spiegeln nicht nur Knappheiten wider." Helene Schuberth, ÖGB-Chefökonomin.
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Schuberth: Damit wird zugelassen, dass ein primär kriegsbedingter Energiepreisanstieg sich voll auf die Preise für Konsumentinnen und Konsumenten durchschlägt. Das betrifft Grundbedürfnisse wie Wohnen, Energie, Nahrungsmittel, Treibstoffe. Man lässt damit auch zu, dass Energiekonzerne gigantische Gewinne machen können auf Kosten der Konsumenten. Man lässt zu, dass sich so etwas wie eine Mietpreisspirale aufbaut, mit stetig steigenden Wohnkosten. Man lässt auch zu, dass sich eine Gewinn-Preis-Spirale aufbaut, weil Studien zeigen, dass viele Unternehmen gerade eine Phase ansteigender Inflation geschickt nützen, um Preise über den Anstieg ihrer Kosten hinaus zu erhöhen. Je früher man an der Wirkungskette des Inflationsaufbaus ansetzt, um so weniger muss der Staat später entlasten und umso geringer sind die Gesamtkosten.

Felbermayr: Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt, wie der Staat in den Markt hineinintervenieren kann, um die Preise zu manipulieren. Ich verstehe das Ansinnen: Teuerung ist ein Riesenthema. Wenn ich aber beginne, bei den Knappheitssignalen, die der Markt sendet, zu intervenieren, drehe ich ja gerade nicht an jenen Schrauben, an denen gedreht werden muss. Die Preise steigen ja nicht aus Bosheit der Energieversorger, sondern angesichts eines realen Hintergrundes: des Konfliktes mit Russland. Die hohen Preise sind also wichtig, damit es Sparanreize gibt bei Unternehmen wie Haushalten. Die hohen Preise sind gleichzeitig wichtig, damit Unternehmen Anreize haben, nach Alternativen zu suchen wie erneuerbaren Energiequellen.

Schuberth: Ich muss Ihnen da fundamental widersprechen. Die Preise, die wir derzeit sehen, spiegeln nicht nur Knappheiten wider. Die Entwicklung ist das Ergebnis spekulativer Übertreibungen. Ein Beispiel: Die Deutsche Bank ist aktiv im Hochfrequenzhandel mit Gas. In den USA gibt es dazu bereits eine Diskussion. Ich frage mich: Wo ist die Initiative der Bundesregierung, damit die EU aktiv wird? Zu den Mieten. Auch hier signalisieren Preise nicht nur Verknappungen. Wohnungen sind Spekulationsobjekt. Ich kann nicht nur im Interesse des freien Marktes Menschen Existenzängsten aussetzen. Das ist Kapitulation vor dem Marktgeschehen. Die Menschen werden durch die Maßnahmen im Entlastungspaket aufatmen können. Aber nur kurzfristig, wenn die Ursachen der Inflation nicht angegangen werden.

STANDARD: Bekämpft die Regierung nur Symptome, Herr Kogler?

"Wir wollten jetzt Haushalte und Unternehmen, die besonders von den Preissteigerungen betroffen sind, unterstützen. Das passiert mit relativ gezielten Auszahlungen." Werner Kogler, Vizekanzler.
Foto: APA / Hans Punz

Kogler: Die Frage ist, was eine kleine offene Volkswirtschaft wie Österreich ausrichten kann. Den größten Teil der Inflation nehmen wir von außen auf, denke ich. Nun muss man sich Vorschläge zur Dämpfung der Preise im Einzelnen genau ansehen. Da gibt es den Vorschlag, die Mehrwertsteuer auf bestimmte Güter zu senken. Aber die Gefahr ist groß, dass diese Senkung nicht weitergegeben und erst recht die Gewinne der Unternehmen erhöhen würde. Wir wollten jetzt Haushalte und Unternehmen, die besonders von den Preissteigerungen betroffen sind, unterstützen. Das passiert mit relativ gezielten Auszahlungen.

STANDARD: Was die Preise aber nicht dämpfen wird.

Kogler: Am ehesten stellt sich die Frage nach Deckeln bei Mieten, das ist eine große Problemzone. Unmittelbar sind Eingriffe nur bei Richtwert- und Kategoriemieten möglich (diese finden sich in Altbau- und Gemeindewohnungen sowie bei älteren Mietverträgen, Anm.). Aber diese betreffen nur einen kleinen Teil des Marktes. Das sind nicht viele Millionen Menschen. Hier wurden Mietsteigerungen schon in der Pandemie ausgesetzt. Nur ist das verfassungsrechtlich ein Problem, wenn man da dauernd eingreift. Es ist daher wohl eine Frage, die über Wohnbeihilfen, also Hilfen für jene, die es brauchen, gelöst werden muss. Wir sind dazu in Gesprächen mit den Bundesländern. Dazu kommt, dass die Bundesländer umtriebig dabei sind, Leerstandsabgaben einzuheben auf unvermietete Wohnungen. Das hat einen gewissen Lenkungseffekt, und da würden wir als Regierung unterstützen wollen.

STANDARD: Woran wird gedacht?

Kogler: Wohnbeihilfe ist Aufgabe der Länder. Wenn aber Hilfen Ausmaße annehmen, die so groß sind, dass Länder glaubwürdig sagen, das können sie nicht stemmen, dann können wir von Bundesseite etwas zuschießen. Dazu laufen Gespräche. Nur weil etwas nicht laut debattiert wird, heißt es nicht, dass es nicht in Bewegung ist. Bei den Leerstandsabgaben macht Föderalismus Sinn, weil die Situation überall anders ist. Aber es bräuchte eine Kompetenzverschiebung, damit die Länder Leerstandsabgaben in nennenswerter Höhe machen können. Jetzt können sie nur kleinere, gebührenartige Beträge einheben. Um die Kompetenz zu ändern, bräuchte es eine entsprechende Behandlung durch den Nationalrat.

STANDARD: Sonst sehen Sie keine Möglichkeiten, über Eingriffe Preise zu regulieren?

Kogler: Was man schon vor zehn oder zwanzig Jahren hätte überlegen müssen, ist, wie sehr es Sinn macht, den europäischen Gasmarkt zu liberalisieren. Denn das schafft uns ja nun Probleme. Die entscheidende Frage dabei ist, wie sich der Gaspreis auf den Strompreis auswirkt. Die Preisbildung beim Strom ist so gasabhängig, und es ist wirklich nicht einsichtig, warum es so sein muss. Länder wie Deutschland und Österreich gemeinsam könnten die aktuellen Preisbildungsprinzipien zumindest vorübergehend ändern. Das würde genau die Übergewinne im Strommarkt, bei denen niemand bestreitet, dass es sie gibt, erwischen.

Schuberth: Der Gaspreis, den Kraftwerke zahlen, wenn sie mit Gas Strom produzieren, sollte gedeckelt werden. Damit würde man Strompreise für die Konsumenten reduzieren. Genau das machen Spanien und Portugal schon. Ich verstehe nicht, warum hier nicht längst gehandelt wurde.

STANDARD: Herr Felbermayr, eine gute Idee?

Felbermayr: Das ist in der Tat eine Sache, die in Europa Sinn machen würde. Aber das ist keine Regulatorik, sondern kostet Geld. An den Gaserlösen, die nach Moskau fließen, ändert das gar nichts. Wenn wir das in Österreich allein machen, würde das bedeuten, dass wir Strom günstiger anbieten, und dieser günstige angebotene Strom wird dann auch im europäischen Ausland nachgefragt werden, weil es ein verflochtener Markt ist. Wir müssten dann in Österreich die Differenz zwischen dem Marktpreis für Gas und dem festgesetzten Preisdeckel aus Steuermitteln ersetzen. Da muss man sich genau überlegen, was man tut, um nicht die stromintensive Industrie in Bayern zu subventionieren. Was ich verstehe, ist, dass es Frau Schuberth zu langsam geht im Kampf gegen die Inflation. Das tut es für mich auch in zwei anderen Bereichen.

STANDARD: Woran denken Sie?

Felbermayr: In Europa gibt es noch eine Institution, die mehr aufs Gas drücken könnte. Das ist die Europäische Zentralbank mit ihrer lockeren Geldpolitik. Wenn der Euro nicht 14 Prozent abgewertet hätte im vergangenen Jahr, dann wären in Dollar gehandelte Rohstoffe heute um 14 Prozent günstiger. Das wäre inflationsdämpfend. Der letzte Punkt: Wir haben aktuell sehr hohe Baupreise. Das wirkt sich nicht nur am Wohnmarkt aus, sondern bei grünen Investitionen. Ein Grund für diese Entwicklung ist, dass wir in den vergangenen Jahren auf viele Dinge Zölle eingeführt haben in der EU. Auf Stahlprodukte zum Beispiel. In den USA wird diskutiert, diese Zölle auszusetzen. Das sollte man sofort in Europa tun. Bei Lebensmitteln auch, ebenso bei Agrarrohstoffen. Diese Dinge werden durch europäische Regeln künstlich verteuert.

STANDARD: Kommen wir zum Entlastungspaket der Regierung: Größter Brocken ist das Ende der kalten Progression. Der richtige Schritt?

"Ein Grund für die hohen Baupreise ist, dass wir in den vergangenen Jahren auf viele Dinge Zölle eingeführt haben in der EU. Das sollten wir ändern." Gabriel Felbermayr, Wifo-Chef.
Foto: APA / Hans Punz

Felbermayr: Ich bin froh darüber. Das ist seit Jahren eine Forderung vieler Expertinnen und Experten. Das ist eine historische Entscheidung, die das Steuersystem besser machen wird. Für die kommenden Jahrzehnte bedeutet es, dass es enger wird, dass man mehr Disziplin braucht, weil der Staat nicht mehr von laufenden Steuererhöhungen profitieren wird. Wenn der Staat also künftig Akzente setzen will, wird er sich um die Gegenfinanzierung kümmern müssen. Das macht eine Reform der Steuerstruktur wahrscheinlicher, und das ist eine gute Sache. Also weg von der Belastung des Faktors Arbeit hin zu einer Bodenwert- oder Erbschaftssteuer. Diese Dinge dürfen wir nicht länger tabuisieren.

Schuberth: Wenn das Ende der kalten Progression dazu führt, dass Erbschaftsteuern eingeführt werden, wäre das sehr positiv. Ich halte den Schritt mit der kalten Progression auch für richtig, sehe nur das konkret gewählte Modell als kritisch, weil man sich doch vieler Spielräume entledigt. Das vom ÖGB vorgeschlagene Modell hätte auch vorgesehen, dass das gesamte Volumen der kalten Progression zurückgegeben wird. Aber verteilungsgerecht: Wie diese Rückgabe erfolgen soll, hätte die Politik ausgestalten können. Aufgefallen ist mir beim Maßnahmenpaket, dass zwar temporär einiges gemacht wird. Aber wir hätten uns eine permanente Erhöhung des Arbeitslosengeldes oder der Notstandshilfe gewünscht, weil der Preisanstieg ein permanenter sein wird. Bei der kalten Progression ist die Abschaffung für alle Ewigkeit festgezurrt. Bloß entlastet das Besserverdiener in absoluten Beträgen stärker.

STANDARD: Ist das so, Herr Kogler?

Kogler: Dazugesagt werden sollte, dass Familien- und Sozialleistungen auch indexiert werden. Das eine kann es ohne das andere nicht geben. Das ist nicht unhistorisch: Die Grünen diskutieren immer gern lang. Aber gerade die Abschaffung der kalten Progression haben nun bereits zehn frühere Regierungen und zehn Regierungsprogramme befürwortet, mit vielen Pros und Kontras, und das wird jetzt von uns gemacht. Ein anderer Punkt, der gern übersehen wird, ist, dass die steuerlichen Absetzbeträge selbst dieser Indexierung unterworfen sind. Das hilft denjenigen, die weniger verdienen: Das betrifft auch jene, die aufgrund des geringen Einkommens gar keine Steuern zahlen und stattdessen eine Negativsteuer vom Staat ausbezahlt erhalten. Auch diese wird mitvalorisiert. Dazu kommt, dass bei einem Drittel des Volumens der kalten Progression weiter die Politik entscheidet, wie zurückgegeben wird, so wie das in Deutschland auch passiert. Dort werden die unteren Einkommensstufen regelmäßig stärker entlastet als die oberen. Wenn wir also mit diesen Dritteln den sozialen Ausgleich schaffen, geht das Paket sehr in die richtige Richtung.

STANDARD: Aber von der Rückvergütung der kalten Progression werden nur Arbeitnehmer und Pensionisten profitieren. Nicht Arbeitslose oder Mindestsicherungsbezieher zum Beispiel.

Kogler: Wir haben schon insgesamt heuer, wenn man den Teuerungsausgleich einbezieht, bereits 600 Euro an Einmalzahlungen nur für diese vulnerable Gruppen fixiert. Ich hätte nicht entdeckt, dass in anderen Ländern solch hohe Zuschüsse fixiert worden wären.

STANDARD: Inflation entsteht, wenn Nachfrage das Angebot übersteigt. Wie groß ist das Risiko, dass dieses Paket die Teuerung anfacht?

Schuberth: Wir erwarten in den kommenden Quartalen eine wirtschaftliche Stagnation. Erst 2023 dürfte das Konsumniveau das Level vor der Pandemie erreichen. Hier könnten die Maßnahmen der Regierung das relativ schwache Konsumwachstum zu unterstützen. Ich sehe daher nicht unmittelbar eine Inflationsgefahr aus diesem Maßnahmenpaket heraus.

Felbermayr: Die Anstoßinflation ist importiert, über Energie, Agrarrohstoffe und Lebensmittel. Hier sind die Weltmärkte entscheidend. Weite Bereiche der österreichischen Volkswirtschaft hängen aber nicht von den Weltmärkten ab: in der Gastronomie oder Hotellerie etwa. Welche Preise weite Teile des Dienstleistungssektors ansetzen können, wird also nicht in Saudi-Arabien oder im Kreml festgelegt. Deswegen wird das zusätzlich ausgegebene Geld die Inflation ein klein wenig weiter nach oben treiben. Dennoch ist das Paket richtig, weil die Kaufkraftverluste enorm sind in der Bevölkerung. Und wenn das die Inflation noch einmal um 0,3 Prozentpunkte anschieben sollte, soll es so sein. (András Szigetvari, 17.6.2022)