In Meidling merkt man seit ein paar Jahren die Spuren der Gentrifizierung. Der Meidlinger Markt wurde durch junge Gastronomen und hippe Ideen aufgewertet und lockt Foodies und Hipster aus ganz Wien in den Arbeiterbezirk. Es gibt dort mittlerweile ein größeres veganes Angebot und mit der "Wirtschaft am Markt" sogar ein Haubenlokal. Die kulinarische Aufwertung ist damit längst nicht abgeschlossen, denn bis Ende des Jahres soll Wien seine ganz eigene Fressmarkthalle bekommen. Mitten im Arbeitergrätzel, im Süden Wiens, am Rande der inneren Bezirke.

Dort, zwischen Gaudenzdorfer Gürtel und Eichenstraße, steht nämlich die alte Remise der Badner Bahn – und das seit Jahren leer. Martin Rohrbach, Geschäftsführer des Start-ups Kraft Moments, ist gemeinsam mit dem Immobilienentwickler Soravia federführend bei der Revitalisierung der 1.500 Quadratmeter großen Halle. Gleisgarten nennt sich das Projekt und soll neun fixe Gastronomiekonzepte beherbergen, dazu eine Cocktailbar und eine Brauerei. Eines der neun Lokale wird ein Café sein, denn der Gleisgarten soll von früh bis Mitternacht bespielt werden – aber Nachtgastronomie sei man keine, wie Rohrbach versichert.

So soll der erste Wiener Food-Market ausschauen.
Foto: Kraft Moments
Im November 2022 möchte man fertig sein und starten.
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Ein Food-Market als Grätzel-Treffpunkt

Der Gleisgarten will sich als "Community-Center" verstehen, ein Grätzel-Treffpunkt, wo Anrainer, Besucher und in der Umgebung Arbeitende gleichermaßen zusammenkommen. Deswegen ist der Food-Market als konsumfreie Zone ausgelegt, in der "Office-Meetings und ein Date gleichermaßen" stattfinden können, sagt Rohrbach. So gibt es in der Halle auch keine zugeordneten Sitzplätze, wie es in Foodhallen in anderen Städten auch der Fall ist.

Große Marken will man im Gleisgarten nicht, hält Rohrbach fest. "Es geht uns stark um Localism" – als Beispiel nennt er die hauseigene Brauerei, die ihr Bier vor Ort brauen und auch nur dort verkaufen wird. Eine Wiener Privatbrauerei soll das übernehmen. So will man im Gleisgarten nicht die großen und bekannten Namen aus der Gastroszene ins Boot holen, sondern neuen Konzepten und Trends Raum geben und Jungköchinnen und Jungköche eine Möglichkeit für einen Start in der Branche verschaffen.

Drei der neun Gastronomien sind bereits vergeben, Interessierte können sich noch für einen offenen Gastro-Platz auf der Website bewerben. Die Nachfrage ist groß, erzählt Rohrbach: "Wir haben Anfragen von Sternegastronomen, die sagen, sie wollen etwas ausprobieren, wie in einem Living Lab, und wenn das funktioniert, übernehmen sie das für ihre anderen Standorte."

Martin Rohrbach freut sich über das große Interesse. Große Namen und Marken will er im Gleisgarten aber nicht.
Foto: Kraft Moments

Abgehoben will man nicht sein

Als zentral für das Konzept Gleisgarten sieht Rohrbach das Unter- und Miteinander: Die Lokale können und sollen sich Gäste gegenseitig zuspielen, in Zukunft wird es im Gleisgarten auch eine Multi-Order-Plattform ähnlich Mjam und Lieferando geben, mit der man bei allen neun Gastronomien bestellen kann, aber nur eine Liefergebühr verrichten muss. 650 Sitzplätze sind in der Halle geplant, draußen 350. So viel Platz braucht man auch, denn es geht beim Gleisgarten nicht nur um Gastro, sondern auch um ein vielfältiges Kulturprogramm auf drei Bühnen. Kunsthandwerk aus dem Bezirk, Kunst von Kindern, aber auch Ausstellungen und Konzerte sollen dort stattfinden. Und auch für Privatveranstaltungen ist der erste Wiener Food-Market zu haben.

Wenn alles fertig ist, ist die Foodhall 850 neuen sozialen Wohnungen in der Wolfganggasse benachbart, und davon will man sich nicht entfremden. Deswegen sei der konsumfreie Raum für die Betreiber so wichtig, ebenso wie die Preispolitik im Food-Market selbst. Rohrbach betont, dass der Gleisgarten nicht abgehoben wird: "Wir suchen alle nach unkompliziertem, gutem Essen zu einem fairen Preis." Natürlich seien die Qualität und der wirtschaftliche Faktor relevant, man will aber einer alleinerziehenden Mutter oder Studierenden dieselben Möglichkeiten anbieten können "wie einem Manager, der sich nicht zweimal überlegen muss, ob er sich ein Getränk zum Essen dazubestellt".

Der Naschmarkthalle zuvorgekommen

Diesen Gedanken hat Rohrbach bereits beim Filmfestival am Rathausplatz in Wien umgesetzt, für das er jahrelang gearbeitet hat. Danach hat er Konzepte in Berlin und Bratislava für einen Immobilienentwickler umgesetzt, von denen auch die Idee für die alte Remise inspiriert ist. 2021 hat er gemeinsam mit vier weiteren Männern das Start-up Kraft Moments gegründet, das Kultur, Architektur, Gastronomie, Finance und Operation verbindet.

Fast drei Jahre hat man an der Umsetzung des Gleisgartens gearbeitet, erzählt Rohrbach. Ob es Pläne gibt, in Wien weitere Food-Halls – im Hinblick auf die kolportierte Naschmarkthalle – umzusetzen, wollte er nicht verraten, aber: "Wien ist groß genug für einen möglichen zweiten Standort." (Kevin Recher, 8.7.2022)