Der burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil im November 2021. Kurz danach freute sich Doskozil, dass der damals designierte ORF-General ab 2022, Roland Weißmann, die ORF-"Starnacht" am 4. Juni 2022 an den Neusiedler See bringt.

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Eisenstadt/Wien – Das Burgenland wird eine Verfassungsbeschwerde gegen Politeinfluss bei der Besetzung von ORF-Stiftungsrat und ORF-Generaldirektion erheben. Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ) machte in einem "Presse"-Interview offiziell, woran der Landesverfassungsdienst spätestens seit Armin Wolfs Blogeintrag über die Verfassungswidrigkeit des Stiftungsrats arbeitete.

"Zu viel Regierungseinfluss"

Das Land Burgenland verweist in einer Aussendung zur Beschwerde am Sonntag auf den bestimmenden Einfluss der Regierungsparteien auf den ORF-Stiftungsrat hin, das oberste ORF-Gremium; zudem auf die Sideletter von ÖVP und Grünen beziehungsweise zuvor ÖVP und FPÖ über die Besetzung. Als 1963 eine ähnliche Zusatzvereinbarung der Koalition von ÖVP und SPÖ bekannt wurde, habe dies zum ersten Rundfunkvolksbegehren für Entpolitisierung des Rundfunks, Verhinderung des Proporzes, mehr Unabhängigkeit geführt.

Bundesverfassungsgesetz Rundfunk und Europäische Menschenrechtskonvention, ebenfalls im Verfassungsrang, sollten sicherstellen, dass "der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht von einer bestimmten Gruppe, insbesondere von der Regierung, dominiert wird", argumentiert das Land. Nach Ansicht der Burgenländischen Landesregierung wird das ORF-Gesetz derzeit diesen Anforderungen nicht gerecht: "Die Regierung hat aus mehreren Gründen zu viel Einfluss auf die Bestellung der Aufsichts- und Kontrollorgane des ORF die eigentlich völlig unabhängig sein sollten."

"Von Regierung oder Kanzler bestellt"

"Der überwiegende Teil sowohl der Mitglieder des Stiftungsrates als auch des Publikumsrates" werde "von der Regierung beziehungsweise vom Bundeskanzler bestellt, lässt das Land verlauten. Formal entsendet die Bundesregierung neun von 35 Stiftungsräten, die Parteien im Nationalrat bestimmen sechs, die Bundesländer haben je eines, also zusammen, neun Mandate zu beschicken. Der ORF-Publikumsrat hat sechs Mandate im Stiftungsrat; die Mehrheit im Publikumsrat bestimmt der Bundeskanzler oder, so vorhanden, die Medienministerin. Die übrigen fünf Mandate im Stiftungsrat beschickt der ORF-Betriebsrat.

Die Landesregierung vermisst zudem laut Aussendung "Regelungen, die die Unabhängigkeit und die Qualifikation der Mitglieder dieser bedeutenden Gremien sicherstellen". Für die Funktionen gebe es "weder ein öffentliches Auswahl- oder Besetzungsverfahren noch gibt es eine Möglichkeit, diese Besetzungen einer unabhängigen gerichtlichen oder behördlichen Kontrolle zu unterziehen".

"All das führt dazu, dass die Bestellung der genannten Organe des ORF von Parteipolitik dominiert wird, die verfassungsrechtlich gebotene Unabhängigkeit und 'Regierungsferne' ist nicht gegeben", erklärt das Land in seiner Aussendung den Antrag an den Verfassungsgerichtshof auf "eine verfassungsmäßige Überprüfung des ORF-Gesetzes sowie eine Aufhebung der entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen"

Dienstag soll die Landesregierung den Antrag an den Verfassungsgerichtshof beschließen.

Die Vorgeschichte:

1. Armin Wolfs Blogeintrag über "offenkundig verfassungswidrigen" Stiftungsrat

Armin Wolfs Blogeintrag verwies Mitte März – zeitgerecht vor der Neubestellung des ORF-Stiftungsrats – auf ein Zitat des renommierten Rundfunkrechtlers und heutigen Präsidenten des Verfassungsgerichtshofs Christoph Grabenwarter über staatlichen Einfluss auf Besetzung von öffentlichen Rundfunkgremien und die Menschenrechtskonvention, die in Österreich im Verfassungsrang steht.

Grabenwarter schrieb 2018 in einem Fachbeitrag zur Staatsferne der deutschen öffentlich-rechtlichen Anstalten: "Herrscht in den Organen eine zu große Mehrheit von Vertretern der Regierungspartei(en), wird Artikel 10 EMRK verletzt", also der Artikel der Europäischen Menschenrechtskonvention über die Freiheit der Meinungsäußerung. Das Zitat bezog sich auf eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte über die Besetzung der Rundfunkgremien in Moldawien.

2. Verfassungsgerichtspräsident: Nicht 1:1 vergleichbar

Verfassungsgerichtshofpräsident Grabenwarter erklärte später in einem Ö1-Interview dazu: "Ich habe tatsächlich in einer umfangreicheren Publikation zum deutschen Rundfunkrecht eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zu Moldawien zitiert. Jetzt liegt zwar Österreich zwischen Moldawien und Deutschland. Aber es ist damit noch nicht gesagt, dass diese Aussage, die ich dort zitiert habe, eins zu eins auf Österreich übertragbar ist."

In dem Interview wollte Grabenwarter aber nicht näher auf den ORF-Stiftungsrat eingehen – er verwies auf den Austausch "auf hohem juristischem Niveau" des Verfassungsdienstes des Bundeskanzleramts in Reaktion auf Wolfs Blogpost – der Verfassungsdienst sah, grob zusammengefasst, keine Parallele zwischen Moldawien und ORF. Dem habe er nichts hinzuzufügen, sagte Grabenwarter.

3. "Kann sein, dass das wieder vor den Verfassungsgerichtshof kommt"

Zu den Sidelettern sagte Grabenwarter auf Nachfragen, er wolle und könne die aktuelle Besetzung des Stiftungsrates und der ORF-Führung nach dem Drehbuch von Sidelettern der Koalitionspartner ÖVP und Grüne nicht näher bewerten, denn: "Kann sein, dass das wieder vor den Verfassungsgerichtshof kommt, daher möchte ich mich hier wirklich zurückhalten."

Bundesland oder ein Drittel Nationalrat – Armin Wolf hat in seinem Blogeintrag schon darauf hingewiesen, dass ein Drittel der Nationalratsabgeordneten oder ein Bundesland ein Normenkontrollverfahren beim Verfassungsgerichtshof einleiten könnten, ob die Gesetzesbestimmungen etwa zur Besetzung des Stiftungsrats dem Bundesverfassungsgesetz Rundfunk (das Unabhängigkeit von ORF, seinen Organen und Mitarbeitern vorschreibt) und der Menschenrechtskonvention entsprechen..

Im SPÖ-Parlamentsklub hieß es auf STANDARD-Anfrage im Frühjahr, warum die Opposition keine solche Normenkontrolle einleite, die FPÖ wolle dies nicht. Der FPÖ-Mediensprecher antwortete nicht auf die STANDARD-Anfrage dazu.

4. Burgenland entsendet Kolonovits als "bewusstes Signal gegen Hineinregieren"

Im Büro von Landeshauptmann Doskozil hieß es im April auf STANDARD-Anfrage: Man prüfe ein solches Normenkontrollverfahren. Kurz darauf entsandte das Burgenland den burgenländischen Künstler Christian Kolonovits in den ORF-Stiftungsrat – von Doskozil definiert als "bewusstes Signal für einen starken, unabhängigen ORF ohne jedes parteipolitische Hineinregieren".

5. "Ja, wir bringen eine Verfassungsklage ein"

Nun macht Doskozil in der "Presse am Sonntag" offiziell, dass das Burgenland den Besetzungsmodus im ORF vor das Höchstgericht bringt. Der Burgenlandeshauptmann im O-Ton:

"Ja, wir bringen eine Verfassungsklage ein, die Beschwerde soll am Dienstag in der Regierung beschlossen werden. Bei der Besetzung des Stiftungsrates und des Generaldirektors wurde ja ersichtlich, wie da eingegriffen wurde. Wenn politische Parteien in einem öffentlich-rechtlichen Sender Direktoren bis runter zu den Landesstudios besetzen, dann ist das nicht mehr zeitgemäß. Ich bin nicht hundertprozentig sicher, dass wir mit der Klage durchdringen. Aber ich glaube, es ist höchste Zeit, dass der VfGH als oberste objektive Instanz diese Frage einmal beurteilt."

6. Bis runter zu den Landesstudios – eine Bewertung

Eine grundlegende Prüfung des Politeinflusses auf die Gremien des ORF und ihre Entscheidungen durch den Verfassungsgerichtshof als sinnvoll und geboten zu erkennen, dafür brauchte es nicht erst die Bestellung des Stiftungsrates im Frühjahr 2022 oder die Generalswahl 2021 – ob der ORF nun mit dem moldawischen Rundfunk 1:1 vergleichbar ist oder, hoffentlich, nicht.

Die im Frühjahr 2022 öffentlich zugänglich dokumentierten (wiewohl inhaltlich bekannten und vom STANDARD vielfach berichteten) Sideletter von ÖVP und FPÖ 2017 zum ORF und 2020 von ÖVP und Grünen dokumentieren das lange Bekannte glasklar.

Wenn sehr sachkundige Juristen wie der Leiter des Verfassungsdienstes und der Legistik im Burgenland, Florian Philapitsch, solche Beschwerden an den Verfassungsgerichtshof zumindest mitverantworten, trägt das wesentlich zu zweckdienlichen Entscheidungen bei.

Das zeigt eine Rückblende zu anderen Normenkontrollverfahren zum selben Thema: Eine Beschwerde Wiens gegen das damals neue ORF-Gesetz von ÖVP und FPÖ in den 2000er Jahren gegen die (im Prinzip noch heute aktuelle) Besetzung des Stiftungsrates prüfte der Verfassungsgerichtshof nicht weiter, weil Wien in seiner Beschwerde alle Entsender in das oberste ORF-Gremium infrage stellte außer den ORF-Betriebsrat. Hätte das Höchstgericht Wien in dem Punkt recht gegeben, hätte das oberste ORF-Gremium alleine aus fünf Betriebsräten bestanden.

Burgenlandeshauptmann Peter Doskozil betrieb nach STANDARD-Infos 2021 intensiv die Ablöse von ORF-Landesdirektor Werner Herics. Doskozil wollte den langjährigen und mit der Landes-SPÖ sehr vertrauten Chefredakteur des Landesstudios, Walter Schneeberger, noch rasch vor dessen Pension zum Landesdirektor machen.

Die SPÖ – ohnehin seit der ÖVP/FPÖ-Regierung ab 2017 auch im ORF-Stiftungsrat nicht mehr mitentscheidend – legte beim Austarieren der Landesdirektoren in einem von einer alleinigen ÖVP-Mehrheit dominierten Stiftungsrat mehr Gewicht auf Edgar Weinzettel als Landesdirektor in Wien als Doskozils Vertrauensmann im Burgenland.

PS: Prominente Publikumsbeschwerde gegen Politeinfluss im ORF

Auf zum Verfassungsgerichtshof.... Eine Publikumsbeschwerde gegen Politeinfluss im ORF und seine Gremien ist schon unterwegs, initiiert vom Presseclub Concordia. Unterzeichnet haben die Beschwerde etwa: Heide Schmidt, Harald Sicheritz, Peter Turrini, Ruth Wodak, Gerhard Oberschlick, Cornelius Obonya, Doron Rabinovici, Erwin Steinhauer, Slavko Ninic, Michael Ostrowski und Robert Menasse.

Das Anliegen unterstützen zudem laut Concordia: Barbara Frischmuth, Elfriede Jelinek, Michael Köhlmeier, Hubsi Kramar, Chris Lohner, Marlene Streeruwitz, Wolfgang Murnberger.

Die Beschwerde zielt ebenfalls auf eine Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs, fürs Erste wendet sie sich an die Medienbehörde KommAustria.

(Harald Fidler, 26.6.2022)