Der Gaspreis an der Börse beeinflusst zumindest auf längere Sicht auch die Preise, die Haushaltskunden für ihren Gaskonsum zahlen müssen.

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Erdgas ist teuer wie schon lange nicht. Das spürt die Industrie, das spüren Gewerbebetriebe und in zunehmendem Ausmaß auch Privathaushalte. Anders als bei vielen Produktionsunternehmen sind deren Tarife in der Regel über einen längeren Zeitraum geglättet. Außer jemand hat einen Float- oder Flextarif, die an Börsenkurse angelehnt sind. Dann macht man oder frau die Berg-und-Tal-Fahrten, die im Großhandel stattfinden, etwas zeitverzögert, dafür allerdings fast eins zu eins mit. Wie aber entstehen die Preise?

Gestern, Dienstag, kostete die Megawattstunde (MWh) Gas am Central European Gas Hub (CEGH), der für Österreich relevanten Gashandelsplattform, 135 Euro, tags zuvor sogar etwas mehr – 136 Euro. Es gab aber auch Zeiten, als Gas keine 20 Euro kostete, und das ist noch gar nicht so lange her. Am 21. Mai 2020, einem Donnerstag, konnten Händler eine MWh Gas, das sind 1.000 Kilowattstunden (kWh), auf der CEGH-Handelsplattform für kurze Zeit um 4,70 Euro kaufen.

Nachfrageeinbruch

Zur Erinnerung: Wenige Wochen zuvor wurde in Österreich infolge der Corona-Pandemie der erste Lockdown verhängt. Andere Länder gingen noch rascher vor oder folgten kurz darauf, die Weltwirtschaft stürzte in eine tiefe Rezession, und auch die Nachfrage nach Gas rasselte in den Keller. Wenig Nachfrage stieß auf viel zu viel Angebot, der Gaspreis fiel.

Davon kann derzeit, eigentlich aber schon seit vielen Monaten keine Rede sein: Die internationalen Gaspreise sind und bleiben außergewöhnlich hoch; mit jeder neuen Information, die eine Verknappung des Angebots wahrscheinlicher macht, schnalzen die Preise im Großhandel weiter in die Höhe.

Erwartungen

"Der aktuelle Börsenpreis ist eher getrieben von Erwartungen zu Angebot und Nachfrage, weniger, ob es ein Werktag mit normalerweise Mehrverbrauch oder ein Wochenendtag mit in der Regel geringerer Nachfrage ist", sagt Johannes Mayer, Leiter der Abteilung Volkswirtschaft in der Regulierungsbehörde E-Control, im STANDARD-Gespräch. "Wie Marktteilnehmer die nähere und fernere Zukunft beurteilen, schlägt sich auch in den Spotnotierungen nieder."

Als Spotmarkt wird an der Börse der Kurzfristhandel bezeichnet, auch bei Gas. Gehandelt wird jeweils der kommende Tag ("day ahead"). Dabei wird an jedem Tag ein individueller Handelspreis fixiert, wo Angebot und Nachfrage eine Rolle spielen, aber eben auch Erwartungen. Bei Gas schlagen Erwartungshaltungen stärker durch als beispielsweise bei Strom, weil Gas im Gegensatz zu elektrischer Energie speicherbar ist.

Informationseffekte

"Wenn mehrheitlich damit gerechnet wird, dass es im kommenden Winter eng wird bei Gas, treibt das den Preis auch jetzt schon in die Höhe", sagt Mayer. Insofern sei es auch nicht weiter verwunderlich, dass die Gaspreise nach Warnungen vor einer angespannten Situation im Winter, nach Aufrufen zum Energiesparen in Deutschland und der Ankündigung verstärkten Gaseinspeicherns in Österreich einen Höhenflug angetreten haben. "Jede Negativmeldung bedeutet Pi mal Daumen einen Preissprung von 20 Euro je MWh nach oben", sagt Mayer. Und wie lange hält sich der Preis oben? Mayer: "Solange die Unsicherheit anhält und nicht dadurch aufgeweicht wird, dass eh nichts passiert."

Derartige "Informationseffekte", in deren Rahmen nach einer politischen Ansage, einer Ankündigung oder sonstigen Mitteilung Preisausschläge die Folge waren, lassen sich in einer Zeitreihe öfter beobachten. Als Russlands Präsident Wladimir Putin im vergangenen Oktober nach einer Gaspreisrallye im Gefolge der Konjunkturerholung nach Corona ankündigte, mehr russisches Gas nach Westeuropa zu liefern, gingen die Großhandelspreise kurz zurück, um dann wieder zu steigen, als doch keine Zusatzmengen kamen.

Anlandestation der Ostseepipeline Nord Stream 1 in Lubmin bei Greifswald: Seit vorvergangener Woche kommt nur mehr rund die Hälfte der sonst üblichen Menge an Gas aus Russland an.
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Die Ankündigung, die Putin vorvergangene Woche über seinen verlängerten Arm Gazprom gemacht hat, nur noch 40 Prozent der möglichen Kapazität der Nordseepipeline Nord Stream 1 zu bespielen, hat die Preise dann auf über 130 Euro je MWh katapultiert. Auf diesem Niveau halten sie sich noch immer, weil es nicht bei der Ankündigung geblieben ist, sondern weil seit Fronleichnam tatsächlich weniger Gas nach Europa kommt.

Geglättete Tarife bei Haushalten

Bei den Haushalten ist es noch um ein Eck schwieriger, Licht in die Preisgestaltung der Energieversorger zu bringen. Einerseits kaufen diese Versorger Gas bei OMV ein, die große Mengen über Langfristverträge aus Russland bezieht; andererseits decken sie sich auch am Spotmarkt ein, wenn es lukrativer erscheint oder wenn Händlern schlicht Gas zur Belieferung der Kunden fehlt. Wann wie viel von wem gekauft wurde, darüber wird in der Regel der Mantel des Schweigens gebreitet. Kommt hinzu, dass die individuelle Gasrechnung nicht nur vom jeweiligen Anbieter abhängt, sondern auch vom Standort, an dem Gas bezogen wird. Je nach Bundesland können die Netzgebühren, mit denen die Gasinfrastruktur finanziert wird, unterschiedlich hoch ausfallen.

In Wien beispielsweise kommt ein durchschnittlicher Haushalt mit einem Verbrauch von rund 15.000 kWh derzeit auf Kosten für den Gasbezug von 1.311 Euro pro Jahr. Davon entfallen 718 Euro auf die reine Energie, das sind fast 55 Prozent. 298 Euro machen die Netzkosten aus, der Rest sind diverse Steuern und Abgaben, die der Staat kassiert. (Günther Strobl, 29.6.2022)