Seit Jahren demonstrieren junge Menschen regelmäßig für mehr Klimaschutz. Dabei geht es auch um Fragen der sozialen Gerechtigkeit, denn die heute jungen Generationen werden die Klimawandelfolgen künftig deutlich zu spüren bekommen.

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Heutiges Handeln bestimmt die Realität von morgen: Wie extrem sich das Erdsystem in den kommenden Dekaden aufheizen wird, hängt von den Treibhausgasemissionen im Hier und Jetzt ab. Die Lasten des Klimawandels und dessen Folgen werden die heute junge Generation vielfach stärker treffen als ältere Menschen, sagt Sebastian Helgenberger. Der Forschungsgruppenleiter am Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS) in Potsdam analysiert mit seinem Team gesellschaftliche und wirtschaftliche Chancen von Klimaschutz und Energiewende.

Während junge Menschen noch nicht an den entscheidenden Hebeln sitzt, werden jene, die heute wesentliche politische und wirtschaftliche Entscheidungen treffen, nicht mehr von den gravierenden Folgen des Klimawandels betroffen sein, sagt Helgenberger. Dazwischen klafft eine bedenkliche Verantwortungslücke. Wo viele Expertinnen und Experten einen Generationenkonflikt postulieren, schlägt er eine konstruktive Herangehensweise in Form eines Klima-Generationenvertrags vor. Der Grundgedanke dieses Abkommens ist den sozialen Pensionsversicherungen entlehnt, bei denen die junge Generation für die Absicherung von Pensionistinnen und Pensionisten Sorge trägt.

STANDARD: Wie ist die Idee für einen Klima-Generationenvertrag entstanden?

Helgenberger: Die junge Generation wird von einem nicht gebremsten Klimawandel deutlich stärker betroffen sein. Die Folgen einer Erderwärmung von zwei Grad Celsius werden vor allem jene spüren, die heute 40 Jahre oder jünger sind. Das heißt, es gibt ein berechtigtes Interesse junger Menschen, für den Klimaschutz einzutreten. Auf der anderen Seite liegt zumindest die politische Macht bei den älteren Generationen. Bei der letzten Nationalratswahl in Österreich hatten die über 70-Jährigen viermal so viel Stimmgewicht wie die unter 20-Jährigen.

STANDARD: Dieses Ungleichgewicht soll durch ein generationenübergreifendes Abkommen beendet werden?

Helgenberger: Damit es nicht zu einer Radikalisierung der außerparlamentarischen Opposition kommt, braucht es eine Form der Solidarität zwischen den Generationen. Hier kommt die Idee des Generationenvertrags als eine Art des gesellschaftlichen Friedensvertrags ins Spiel. Kern dieses Regelwerks ist die Verständigung darauf, wie der Klimawandel gemeinsam und über die Generationen hinweg bewältigt werden kann. Das bedeutet, die Interessen der jungen Generation aufzugreifen und sich vehement dafür einzusetzen.

STANDARD: Wie könnte dieser Einsatz für die Anliegen junger Menschen aussehen? Was muss dafür getan werden?

Helgenberger: Für die ältere Generation heißt das, jungen Menschen nicht nur auf die Schulter zu klopfen und sie etwa für ihr Engagement in Klimastreiks zu loben. Vielmehr geht es darum, in politischen Belangen ab- und mitzustimmen, wenn es um Anliegen der jungen Generation geht. Für junge Menschen muss Platz in Gemeinderäten, in Gremien und anderen Räten geschaffen werden, um ihnen eine reale Möglichkeit zur Mitbestimmung zu geben.

Sie sind enttäuscht und teilen ihre Frustration und Sorgen lautstark mit der Welt: Ob Fridays for Future oder Extinction Rebellion, Jugendliche organisieren sich in verschiedenen Gruppen, um auf die gravierenden Folgen des Klimawandels aufmerksam zu machen. Auf dem Spiel steht nicht weniger als ein selbstbestimmtes Leben in einem sicheren Klima.
Foto: Imago/Alain Pitton, Wolfgang Maria Weber

STANDARD: Als wie wahrscheinlich schätzen Sie die Umsetzung von Klima-Generationenverträgen ein?

Helgenberger: In den vergangenen fünf Jahren ist sowohl in Deutschland als auch Österreich einiges ins Rollen gekommen. Jugendbewegungen wie Fridays for Future, aber auch Extinction Rebellion sind Teil der öffentlichen Debatte geworden. Es ist heute undenkbar, dass in einer Talkshow oder in einer öffentlichen Debatte über ein Thema wie den Klimawandel verhandelt wird, ohne dass eine Vertreterin oder ein Vertreter der jungen Generation dabei ist. Sie werden sogar ins Kanzleramt eingeladen.

STANDARD: Ist das ein Novum, das von einer grundlegenden gesellschaftlichen Veränderung zeugt?

Helgenberger: Wenn wir die heutige Situation beispielsweise mit der Studentenbewegung der 1970er-Jahre vergleichen, wo sich auch Frust darüber aufgestaut hatte, dass ihre Interessen nicht im Parlament vertreten werden, sehen wir einen bedeutenden Unterschied. Damals wurden die Studentenführer nicht ins Kanzleramt eingeladen und nicht in Talkshows. Aber heute ist ein gesellschaftlicher, medialer und politischer Grundkonsens da, dass das nicht anders geht. Das hat diese Bewegung junger Menschen in fünf Jahren geschafft, und das ist beeindruckend. Auch gibt es eine Idee davon, was in den nächsten fünf Jahren noch passieren kann.

STANDARD: Im Klima-Generationenvertrag ist Solidarität ein zentraler Punkt. Wie kann diese zwischen den Generationen aussehen?

Helgenberger: Junge Menschen nehmen vielfach Einschränkungen in Kauf, die den älteren Mitgliedern der Gesellschaft zugutekommen. Als aktuelles Beispiel kann das Vorgehen zur Bewältigung der Corona-Pandemie herangezogen werden. Auch hier ging es kurzfristig darum, dass die junge Generation für die Interessen der älteren Generation eintrat. Dabei hat sie deutliche Abstriche gemacht und bedeutende Freiheiten aufgegeben, um die Freiheiten und die Gesundheit älterer Generationen zu ermöglichen. Beim Klima muss dieser Modus genau umgekehrt funktionieren, die ältere Generation muss die Interessen junger Menschen berücksichtigen und in den Vordergrund stellen.

STANDARD: Obwohl sie selbst ein geringeres Risiko hatten, nahmen junge Menschen diese Einschnitte hin und übernahmen soziale und gesellschaftliche Verantwortung. Besitzt die jüngere Generation einen schärferen Blick auf gesamtgesellschaftliche Folgen solch großer Ereignisse?

Helgenberger: Die junge Generation ist extrem gut informiert und sehr aktiv in politischen Debatten. Wenn ich allein in meinem Umfeld in Potsdam beobachte, wie viele Stunden junge Menschen aufbringen, in Arbeitsgruppen für lokalen Klimaschutz aktiv zu sein und mit Expertinnen und Experten auszudiskutieren, was die besten Lösungen wären, um Klimaschutz vor Ort und im Land voranzubringen, dann habe ich große Ehrfurcht. Auf jeden Fall lässt sich festhalten, dass sich sehr viele junge Menschen aktiv einbringen.

STANDARD: Worin gründet dieses auffällig starke gesellschaftliche Engagement der Jungen?

Helgenberger: Zum einen ist es über die Jahre hinweg immer so, dass der Gestaltungsplan bei jungen Menschen deutlich größer ist, weil das Leben vor ihnen liegt. Sie wollen mitgestalten, Freiheiten erobern und erhalten. Zum anderen ist der Grad der Informiertheit unter jungen Menschen heute sehr hoch. Ebenso wie der Grad der Betroffenheit. Wissenschaftlich gesehen ist es ein absolut berechtigtes Interesse, als junger Mensch für einen sehr weitreichenden Klimaschutz oder eine weitreichende Neuerung der Wirtschaft einzutreten. Wenn wir das nicht machen, werden die Folgen des Klimawandels in nicht allzu ferner Zukunft die Freiheit des Lebens massiv einschränken.

STANDARD: Bei Klimawandel und -schutz wird oft das gute Leben für alle zitiert, das jedoch sehr individuell definiert ist. Für die einen heißt es, nachfolgenden Generationen eine lebenswerte Welt zu hinterlassen. Andere folgen dem Yolo-Prinzip, "You only live once", und wollen ein Leben ganz ohne Abstriche führen. Können diese unterschiedlichen Auslegungen zum Problem werden?

Helgenberger: Die menschlichen Bedürfnisse in Hinblick auf ein gutes Leben sind sehr grundlegend und dürften sich auch in den letzten Jahrzehnten nicht verändert haben. Es geht neben einem Mindestmaß materieller Absicherung um soziale Anerkennung, es geht um Freiheiten, es geht darum, Neugier zu befriedigen. Es geht darum, sich entfalten zu können. Die Sorge, die die junge Generation jetzt im Angesicht einer drohenden Klimakrise hat, ist, dass sie genau diese Bedürfnisse nicht mehr wird befriedigen können.

Junge Menschen machen auf unterschiedliche Weise auf ihre Anliegen aufmerksam, etwa auch mit Mitteln der Kunst.
Foto: Imago/Nicolo Campo

STANDARD: Wie konnten diese Bedürfnisse bisher befriedigt werden?

Helgenberger: Das ist abhängig von Moden, Zeitläufen und der aktuellen Situation. Leute können feststellen, dass es deutlich erfüllender ist, mit dem Nachtzug von Wien nach Venedig zu fahren und im Morgengrauen mit einem Kaffee in der Hand über den schönen Damm zu fahren, als schnell dorthin zu jetten. Wichtig ist, solche Dinge zu ermöglichen, sodass es keine Luxusentscheidung ist, bequem mit dem Nachtzug zu fahren, sondern dass jeder die Chance hat, sich dafür zu entscheiden.

STANDARD: Kann auch ein solcher Wandel aus der Bevölkerung heraus entstehen?

Helgenberger: Es ist die Rolle einer demokratisch verfassten Gesellschaft, sich hier die Regeln zu geben. Aktuell gibt es hier von den marktwirtschaftlichen Rahmenbedingungen her ein Ungleichgewicht. Bestimmte Formen der Befriedigung von Grundbedürfnissen, die nicht umweltverträglich sind, sind deutlich leichter verfügbar. Es ist absolut gerechtfertigt, dass die Jugendlichen darauf hinwirken, die Regeln so zu verändern, dass ihre Freiheiten erhalten werden und sich auch künftige Generationen entfalten können.

STANDARD: Wie gehen Sie vor, um die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Chancen von Klimaschutz und Energiewende zu bewerten?

Helgenberger: Wir berechnen ganz konkret, wie sich erneuerbare Energien positiv auf die Einkommen von kleinen und mittleren Unternehmen auswirken. Wir fragen auch, wie es sich sozial und wirtschaftlich auswirkt, wenn ich einen Windpark in meiner Gemeinde habe und dadurch Einnahmen für meine Bürgerinnen und Bürger generiere. Das tun wir, um die notwendigen Debatten zur Ausgestaltung der Energiewende vor Ort mit verlässlichen Zahlen zu unterlegen. Das ist wichtig, um politische Entscheidungen zu treffen, da hier verschiedene Investitionen und Schutzgüter gegeneinander abgewogen werden müssen.

"Wenn sich das Windrad am Rande meiner Gemeinde dreht und ich bei jeder Umdrehung weiß, es kommt Geld in die Gemeindekasse, dann ist das ein sehr positives Symbol." – Sebastian Helgenberger

STANDARD: Sie führen solche Analysen auch für internationale Interessenten durch, derzeit laufen Gespräche mit der südafrikanischen Regierung. Worum geht es dabei?

Helgenberger: In Südafrika soll eine ehemalige Kohleabbauregion umgestaltet und in eine Region der erneuerbaren Energien umgewandelt werden. Wir wurden gebeten, Analysen zu erstellen, was dieser Wandel für die Beschäftigten bedeutet. Fragen, die wir dabei beachten, sind unter anderem: Wie viel der jetzt im Kohlesektor arbeitenden Menschen können in den Bereich erneuerbarer Energien übernommen werden? Wie müssen junge Leute ausgebildet werden, damit Leute vor Ort die Jobs ausführen können, die im Bereich erneuerbarer Energien entstehen?

Sebastian Helgenberger leitet am Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung Potsdam Forschungsprojekte zur internationalen Dimension der Energiewende. Der Umweltwissenschafter promovierte in Wien über Unternehmensplanung in Zeiten des Klimawandels.
Foto: IASS/Ostermann

STANDARD: Wie ist Ihre Analyse in Hinblick auf Arbeitsplätze ausgefallen?

Helgenberger: Die Ergebnisse zeigen, dass erneuerbare Energien ein Erfolgsmodell werden können. In Südafrika ist der Kohlesektor im Niedergang. Das rührt daher, dass seit fünf Jahren die Exporte und damit die generierten Einnahmen kontinuierlich sinken. Zudem lohnt es sich in Südafrika viel mehr, durch Wind- oder Solarenergie Strom zu erzeugen, es ist einfach viel günstiger. Selbst wenn die Regierung jetzt nichts unternehmen würde, würde eines passieren: In den Kohleregionen würden massiv Arbeitsplätze verlorengehen. Diese Verluste können durch den Bereich erneuerbarer Energien weitgehend kompensiert werden, wenn auch in die Ausbildung junger Menschen investiert wird.

STANDARD: Können von der Energiewende alle Mitglieder einer Gesellschaft profitieren, oder wird es, wie häufig in kapitalistischen Systemen, eine kleine Gruppe geben, die mehr Gewinne aus dieser Entwicklung schöpft als andere?

Helgenberger: Die Erfahrungen der Energiewende in Deutschland zeigen, dass Länder, Kommunen und der Staat die Rahmenbedingungen schaffen können, damit die wirtschaftliche Teilhabe an der Energiewende möglichst breit verteilt wird. Je höher die finanzielle Beteiligung und Teilhabe an erneuerbaren Energien, desto höher ist die Unterstützung dafür. Wenn sich das Windrad am Rande meiner Gemeinde dreht und ich bei jeder Umdrehung weiß, es kommt Geld in die Gemeindekasse, dann ist das ein sehr positives Symbol. (INTERVIEW: Marlene Erhart, 3.7.22)