Frankreich will die Beteiligung am Stromkonzern EDF von derzeit knapp 84 auf 100 Prozent erhöhen.

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Ich glaube zutiefst an die Zukunft der EDF", beteuerte der französische Wirtschaftsminister Bruno Le Maire am Donnerstag – als wollte er sich von seinen eigenen Worten überzeugen. Dem Stromkonzern geht es schlecht, so schlecht wie nie. Am Vortag hatte die Regierung in Paris seine Verstaatlichung zu 100 Prozent (heute 83,9 Prozent) verkündet. "Angesichts von Krieg und kolossalen Herausforderungen müssen wir unsere Energie-Souveränität garantieren", erklärte Premierminister Elisabeth Borne.

Le Maire sprach am Donnerstag von der Notwendigkeit, die "Energie-Unabhängigkeit" seines Landes abzusichern. Angesichts der weltweiten Gas- und Ölknappheit sei er gewillt, die Kontrolle über die nationale Energiepolitik zurückzugewinnen. Wie das Wirtschaftsministerium bekanntgab, wird Électricité de France (EDF)-Chef Jean-Bernard Lévy deshalb zurücktreten, "sobald sein Nachfolger gefunden" sei. Der 65-jährige Konzernboss, seit acht Jahren an der EDF-Spitze, hätte an sich Ende 2023 in Rente gehen sollen.

Desolate Finanzlage

Die komplette Verstaatlichung der EDF offenbart indessen in erster Linie ihre desolate Finanzlage. Die zuvor schon horrende Konzernschuld ist binnen Jahresfrist um 40 Prozent auf 61 Milliarden Euro hochgeschnellt. Die Unterhaltskosten für die Atomkraftwerke – von denen derzeit die Hälfte wegen Korrosionspannen und Wartungsarbeiten stillsteht – steigen monatlich. Nicht besser ergeht es der neuen AKW-Generation: Der Druckwasserreaktor EPR in Flamanville (Normandie) kostet nun 19 Milliarden Euro, sechsmal mehr als geplant.

Präsident Emmanuel Macron hat selbst zur Finanznot der EDF beitragen. Er kündigte im Februar dieses Jahres den Bau von 14 neuen Reaktoren an, darunter sechs EPR, die in etwa fünfzehn Jahren an das Netz gehen sollen und allein über 50 Milliarden Euro kosten werden.

Zudem dekretierte er eine Energiepreissperre, die nicht nur Privatkonzerne wie Total trifft, sondern auch die EDF: Sie ist heute gezwungen, Strom teilweise unter dem Gestehungspreis weiterzugeben. Wenn sich das nicht rasch ändere, werde die EDF "das Jahr nicht überleben", warnte das Personalkomitee CSE im Juni.

Staatsgeld im Frühling

Das war nicht der erste Alarmruf. Die Regierung hatte die EDF schon im Frühling mit 3,1 Milliarden Euro rekapitalisieren müssen. Die Verstaatlichung von gut 16 Prozent börsengehandelter EDF-Titel dürfte den Staat noch einmal fünf Milliarden Euro kosten. Auch die Aktieninhaber haben viel Geld verloren: Bei der Teilprivatisierung der EDF im Jahr 2015 war das Papier noch 33 Euro wert; gegenwärtig sind es noch neun Euro.

Diese Zahlen belegen die finanziellen Motive der Verstaatlichung. Ein energiepolitischer Kurswechsel dürfte damit nicht einhergehen. Wie die im Amt bestätigte Premierministerin Borne diese Woche in ihrer Regierungserklärung klarmacht, setzt Frankreich weiter auf einen CO2-freien Energiemix aus Atom und Erneuerbaren, darunter 50 Offshore-Windparks. "Unsere Energiewende läuft über die Atomkraft", umschrieb Borne die Energiepolitik ihrer Regierung, die vollumfänglich dem bisherigen EDF-Kurs entspricht.

Der Vorsteher der – in der EDF historisch einflussreichen – Kommunistischen Partei Frankreichs, Fabien Roussel, erklärte am Donnerstag, die Verstaatlichung ändere nichts an der Unternehmensstrategie und stelle nur "eine verkappte Rekapitalisierung" dar. (Stefan Brändle aus Paris, 7.7.2022)