Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat am Mittwoch die vielleicht wichtigste Rede seiner Amtszeit gehalten. Nach zwei Jahren Pandemie und Korruptionsskandalen erwartet die Bevölkerung nun wohl eine noch herausforderndere Zeit. Die Sorgen sind groß, das Vertrauen in die Politik ist gering. Glaubt man den Umfragen, genießt Van der Bellen mit Abstand das meiste Vertrauen. Daher war es so wichtig, dass der ehemalige Universitätsprofessor die Bevölkerung empathisch auf einen Winter der Teuerung und Energiekrise vorbereitet.

Dieses Vertrauen ist nicht gottgegeben, Van der Bellen muss es sich erarbeiten. Bislang macht er die Sache gut. Alle Parteien außer der FPÖ können mit ihm als Präsidenten leben; in Umfragen zur bevorstehenden Hofburg-Wahl liegt er deutlich vor dem freiheitlichen Herausforderer Walter Rosenkranz.

Das Vertrauen in Politiker ist nicht gottgegeben, auch Van der Bellen muss es sich erarbeiten.

Umso unverständlicher ist Van der Bellens Absage an ein TV-Duell mit Rosenkranz. Die Wählerschaft kenne Van der Bellen nun ja schon, "wozu also Politik-Show?", die die Würde des Amtes beschädigen könnte, fragte der Bundespräsident in der Tiroler Tageszeitung. Aus dem Mund des Staatsoberhaupts ist das starker Tobak. Natürlich sind TV-Debatten keine tiefsinnigen Diskussionen, für viele sind sie aber die einzige Möglichkeit, einen eingehenderen Blick auf die Kandidaten (und ja, es sind leider nur Männer) zu werfen.

Rosenkranz kommt aus dem rechten Eck, ein Paria kann er aber nicht sein – hat ihn doch Van der Bellen selbst als Volksanwalt angelobt. Eine Debatte würde es Van der Bellen erlauben, Rosenkranz’ Positionen sachlich zu widerlegen. Damit könnte er womöglich jene erreichen, die diese blauen Ansichten teilen. Sich dem nicht zu stellen und Diskussionen zu verweigern – das ist es, was tatsächlich die Würde des Amtes beschädigen könnte. (Fabian Schmid, 21.7.2022)