Lichte Kiefern-Monokulturen mit ausgetrockneter Bodenvegetation sind besonders anfällig für Waldbrände.

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Wälder in ganz Europa brennen lichterloh. Das Zeitalter des Feuers – das Pyrozän – sei bereits angebrochen, das Waldsterben nicht mehr aufhaltbar. Mit diesen Begriffen und Bildern sind wir tagtäglich konfrontiert. Problematisch sind sie allerdings auch, meint Andreas Bolte, Leiter des deutschen Thünen-Instituts für Waldökosysteme und Professor für Waldökologie an der Universität Göttingen im STANDARD-Gespräch. Sie geben den Menschen das Gefühl, allem machtlos ausgeliefert zu sein, und verstellen den Blick auf die Handlungsmöglichkeiten, für die es noch nicht zu spät sei.

STANDARD: Mit Blick auf die derzeitigen Waldbrände in Europa: Wird es diese in Zukunft immer öfter geben?

Bolte: Wir haben schon in den letzten Jahren einen deutlichen Anstieg sowohl der Waldbrandzahlen als auch der verbrannten Fläche in Wäldern festgestellt. Dieses Jahr haben wir jetzt schon mehr Brände und ungefähr die Brandflächengröße, die wir im bisherigen extremen Trockenjahr 2018 hatten. Das kommt in den letzten Jahren bis auf die Ausnahme des Jahres 2021, wo einfach feuchtere Witterung auch im Frühsommer geherrscht hat, häufig vor.

Insbesondere ausgedehnte trockenheitsanfällige Nadelwälder in mediterranen und borealen Breiten sind prädestiniert für Waldbrände.
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STANDARD: Es gibt Wissenschafter, die von einer "Ära des Feuers" sprechen. Würden Sie zustimmen, das "Pyrozän" auszurufen?

Bolte: Das kommt auf die Region und die Zusammensetzung der Baumarten an. Für Mitteleuropa würde ich das nicht uneingeschränkt übernehmen. Das ist ein stärkeres Problem in mediterranen und borealen Breiten, wo man ausgedehnte, schwer zugängliche Nadelwälder hat. Kiefernwälder sind besonders anfällig für Waldbrände. Außerdem brennen in der Regel nicht sofort die Bäume, sondern zuerst die Bodenvegetation. In lichten Kiefernwäldern haben wir mehr Bodenvegetation, die nach der Trockenheit abgestorben leider den besten Brandbeschleuniger liefert, den man sich vorstellen kann. Bei den Bränden um Bordeaux handelte es sich um alte Kulturwälder mit Strandkiefern. Bei Temperaturen über 40 Grad und komplett ausgetrockneten Oberböden waren sie quasi dafür prädestiniert. In Deutschland wird ein Viertel der Waldfläche von der Fichte bestimmt, die tendenziell in feuchteren Lagen vorkommt. Sollten Extremwetterereignisse zu mehr Trockenheit und folglich Schädlingsbefall in den Fichtenwäldern führen, hätten wir dort potenziell bald auch ein massives Problem. Die schnell wachsende Fichte ist in Deutschland das Rückgrat der Säge- und Bauholzerzeugung. Ab den 1960er Jahren haben Forstwirte den Wuchsraum für den "lukrativsten Brotbaum" reserviert, was uns heute vor einige Probleme stellt.

STANDARD: Wie ist es um die Laubwälder bestellt?

Bolte: Natürlich gibt es auch Waldbrand in Laubwäldern, aber in geringerem Maße, da das Innenklima von Laubwäldern, allen voran der Buche, vergleichsweise feucht ist und wenig Waldbodenvegetation aufweist. Der Initialfunke kann nicht so zünden wie in trockenen Kiefernwäldern. In Mitteleuropa spielen Waldbrände in Bezug auf den flächenmäßigen Schaden keine große Rolle. In Deutschland, Österreich und der Schweiz sind die Schäden durch direkte Trockenheit oder Insektenschäden deutlich größer. Doch wenn man in Berlin im Regierungsviertel den Waldbrand riechen kann – und das ist teilweise der Fall –, dann ist das ein ganz anderer Anlass, sich mit dem Thema zu beschäftigen, als abgestorbene Waldbestände durch Borkenkäfer. Waldbrände sind nicht das größte Problem, das wir mit unseren Wäldern heute oder in Zukunft haben.

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STANDARD: Die Gaskrise hat die Nachfrage nach Holz zum Heizen gesteigert. Wie sehen Sie diese Entwicklung?

Bolte: Das ergibt einen Doppelnachteil. Wir haben nicht genügend Holz für eine massive Ausweitung der Holzverbrennung. Ich warne deutlich davor, das als Lösung für die Energiekrise anzusehen, weil es im Widerspruch mit der wertvollen Ressource Holz und dessen Verwendung steht. Außerdem könnten wird eine deutlich höhere Emissionsbelastung in den Ballungsräumen bekommen, sprich Feinstaub und andere Abgase. In ländlichen Gebieten mit geringer Besiedlung ist das weniger ein Problem. Aber in Ballungsräumen wie in Berlin oder Wien dann massiv mit Holz zu feuern, ist keine gute Idee.

Die Ressource Holz ist wertvoll und sollte im besten Falle so oft wie möglich wiederverwendet werden.
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STANDARD: Welche Probleme birgt die gestiegene Nachfrage nach Brennholz?

Bolte: Der abzusehende Mehrbedarf an Holz, das der Direktverbrennung zugeführt werden könnte, obwohl es wertvoll ist und anderswo benötigt wird, ist das Problem. Man kann in Teilen schon von einer Panik reden. Förster haben mir berichtet, dass sie sich Sorgen machen, ob nicht nächtens Holzdiebstahl in großem Stil wieder entstehen könnte. In Einzelfällen habe ich die Rückmeldung bekommen, dass Holz bereits abhandengekommen ist. Das Problem könnte zunehmen. In puncto Nährstoffnachhaltigkeit wäre es auch schlecht, wenn immer feineres Reisig aus dem Wald geholt wird, das eigentlich im Wald bleiben sollte, damit Böden nicht langfristig ausgelaugt werden.

STANDARD: Die Waldfläche in Deutschland ist mit rund 30 Prozent konstant geblieben, warum hört man oft vom "Waldsterben 2.0"?

Bolte: Waldsterben in Mitteleuropa bedeutet nicht, dass die Wälder verschwinden und versteppen. Das Regenerationspotenzial der Wälder in Mitteleuropa ist noch deutlich größer als das Schädigungspotenzial. Noch kann man nicht davon ausgehen, dass wir dauerhaft Waldverluste haben.

STANDARD: Den Begriff "Waldsterben" würden Sie somit nicht verwenden?

Bolte: Das größte Problem mit den Worten ist, dass sie bestimmte Bilder im Kopf erzeugen. "Unumkehrbares Waldsterben" oder "Pyrozän" bedeutet schnell, dass es in allen Wäldern brennt und uns unsere Wälder wegbrennen. Menschen verfallen der Passivität und fühlen sich ohnmächtig. Es gibt regional Risikoflächen, aber wir haben noch kein – mit Betonung auf "noch" – Waldsterben 2.0, da es kein flächendeckendes Absterben gibt. Das kann natürlich passieren, wenn der Klimawandel weiter voranschreitet, wir noch stärkere Klimaextreme bekommen und auch nichts dagegen machen in puncto Anpassung. Wir haben so viele Parallelkrisen, dass es erst buchstäblich brennen muss, damit man die Aufmerksamkeit bekommt und die Politik handelt. Erst wenn die Hütte halb abgebrannt ist, reagieren wir. Wir können ganz viele Millionen in den Waldumbau stecken, aber wenn wir es nicht schaffen, in relativ kurzer Zeit die CO2-Emissionen weltweit zu senken, können wir uns das eigentlich schenken. Dann können wir sagen, es macht keinen Sinn mehr. Klimaanpassung ohne massiven Klimaschutz ist nicht zielführend. Das muss miteinander einhergehen. (Kiyoko Metzler, 4.8.2022).