Für das Leiden junger Menschen, die sich immer stärker aus der Wirklichkeit zurückziehen und in einen irreversiblen, mit Vergesslichkeit einhergehenden Zustand verfallen, gab es bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert einen Namen: Dementia praecox. Der Begriff geht auf den deutschen Psychiater Emil Kraepelin zurück, der dieses Krankheitsbild 1899 erstmals beschrieb.

Heute als Schizophrenie bekannt

Heute kennt man diese Krankheit als Schizophrenie und kommt nicht unmittelbar auf die Idee, sie mit Demenz in Verbindung zu bringen. Dabei gibt es Arten der Demenz, die ähnlich wie die Schizophrenie die vorderen Regionen des Gehirns inklusive der Schläfenlappen betreffen.

Die Forscher und Ärzte Nikolaos Koutsouleris und Matthias Schroeter vom Münchner Max-Planck-Institut für Psychiatrie haben nun aus medizinischen Daten eine Art Fingerabdruck für die beiden Krankheiten erstellt und sie mit Methoden des maschinellen Lernens miteinander verglichen. Ihre Erkenntnisse haben sie im Fachjournal "JAMA Psychiatry" publiziert. Dabei stellten sie überraschend starke Ähnlichkeiten zwischen den beiden Erkrankungen fest.

Schwierige Diagnose

Tatsächlich ist die Form der Demenz, von der hier die Rede ist, zu Beginn der Erkrankung schwer zu diagnostizieren und wird leicht mit Schizophrenie verwechselt. Beide gehen mit Veränderungen des Verhaltens und der Persönlichkeit einher, mit dramatischen Auswirkungen für die Betroffenen und ihre Familien. Da ihr Ursprung auch in ähnlichen Hirnregionen liege, sei es auf der Hand gelegen, sie zu vergleichen.

Bei Schizophrenie zeigen sich in Magnetresonanztomografiebildern des Gehirns charakteristische Muster. Diese wurden nun mit denen bei Demenz verglichen.
Foto: Koutsouleris

Dazu haben die beiden Forscher gemeinsam mit einem internationalen Team Magnetresonanztomografieaufnahmen des Gehirns beider Krankheiten von 1.870 Personen untersucht. Eine Software lernte, in Tomografieaufnahmen das typische Muster für frontotemporale Demenz und Schizophrenie zu erkennen.

41 Prozent falsch zugeordnet

Als sie die Erkennungssoftware auf die jeweils andere Krankheit anwandten, war das Ergebnis überraschend: 41 Prozent der Personen mit Schizophrenie ordnete die Software aufgrund der Hirninformationen der behavioralen, frontotemporalen Demenz zu. Neben den ersten Symptomen sind also auch die neuroanatomischen Muster beider Krankheiten sehr ähnlich.

Die Forscher fanden außerdem heraus, dass die Ähnlichkeit der beiden Erkrankungen im Gehirn auch mit Ähnlichkeiten der Symptome einhergeht, was für die Betroffenen mit einer geringeren Chance der Verbesserung ihrer Situation in den nächsten zwei Jahren verbunden ist.

Dass in der Medizin mit künstlicher Intelligenz gearbeitet wird, ist nicht neu. Maschinelles Lernen wird in der Bildverarbeitung eingesetzt, aber auch ganz konkret bei der Diagnose, etwa wenn es um die Erkennung von Hautkrebs geht.

Motivation aus eigener Arbeit

Koutsouleris betont, dass ihn das Thema seit dem Beginn seiner Arbeit als Psychiater beschäftigt. "Ich wollte einfach wissen, wieso sich der Zustand meines 23-jährigen Patienten mit beginnenden Symptomen einer Schizophrenie wie Halluzinationen, Wahnvorstellungen und kognitiven Defiziten auch nach zwei Jahren überhaupt nicht verbessert hatte, während ein anderer, dem es anfangs genauso schlecht ging, seine Ausbildung fortsetzte und eine Freundin gefunden hatte", erklärt der Forscher.

Hilfe für Betroffene

Weitere Beobachtungen bestätigten den Zusammenhang zwischen den beiden Krankheiten. "Damit kann man das Konzept der Dementia praecox nicht mehr komplett wegwischen, wir liefern erste stichhaltige Hinweise, dass Kraepelin zumindest bei einem Teil der Patienten nicht falsch lag", sagt Forschungspartner Schroeter.

Nun könnte durch das Bestätigen der alten Hypothese ein wichtiger Schritt gelungen sein, die Situation der Betroffenen zu verbessern, etwa indem die Krankheiten frühzeitig unterschieden und richtig therapiert werden können. (Reinhard Kleindl, 7.8.2022)