Die Luftfederung kommt mit dem elektrischen Schwergewicht – 2,5 Tonnen! – überraschend gut zurecht, und optisch wirkt der EQE deutlich gefälliger als der EQS.

Foto: Andreas Stockinger

Stehe ich so zum schnellen Laden bei Ionity und telefoniere ein wenig herum, um die halbe Stunde sinnvoll zu nutzen. Parkt dort schon ein BMW i3, gesellt sich ein ID.4 dazu und kurz darauf auch noch ein Mercedes EQV. Alle vier Säulen damit besetzt. Das zuletzt angekommene ältere Ehepaar ist ein wenig ratlos, denn die Ladesäule verweigert, Strom in die elektrische V-Klasse fließen zu lassen.

"Liegt vielleicht daran, dass alle anderen drei schon belegt sind und mit Höchstleistung beladen werden", vermute ich, und tatsächlich, als ich abstecke, klappt es nebenan.

Wie das so ist beim Laden, man kommt ins Gespräch. Der nette Herr war früher bei Mercedes in Salzburg tätig, "allerdings Lkw", hat ein, zwei Fragezeichen im Blick – "den EQE gibt es doch noch gar nicht auf dem Markt?" ("Ist auch ein Pressefahrzeug", kläre ich ihn auf) – und frägt zuletzt, ob er mal reinsehen dürfe.

"Eh klar", und der Herr ist begeistert. Über die Anordnung der Bildschirme, die seit S-Klasse/EQS im Hause mit dem Stern Usus geworden ist, aber auch über die insgesamt geschmackvolle Einrichtung.

Ästhetische Treffsicherheit

Das ist tatsächlich ein Punkt für Mercedes, wie denn vieles, was die Handschrift von Chefdesigner Gorden Wagener trägt, von hoher ästhetischer Treffsicherheit zeugt. Wie da die Formen schwingen, wie schwelgerisch mit verschiedenfarbenem Leder (am Lenkrad der besseren Griffigkeit wegen teils sogar Nappa), naturbelassenem Holz, Alu-Zierrat, klavierlackschwarzem Kunststoff und dezenter Ambientebeleuchtung gearbeitet wird, Respekt. Da stört es dann schon, wenn der Korpus vorn knarzt, das dürfte in einem so teuren Auto nicht passieren.

Vertikale Rippen an der Front sowie der Heckspoiler verdeutlichen: AMG – und dezente Maßnahmen gegen Abkommen vom Kurs.
Foto: Andreas Stockinger

Außen sei die Treffsicherheit nicht immer so hoch, wird auf analogen und digitalen Stammtischen kommentiert, aber auch da wirkt der EQE gefälliger als der EQS. Hinter der Tropfenform – Hyundai schlägt mit dem kommenden Ioniq 6 in eine ganz ähnliche Kerbe – steckt ein handfester Zwang, nämlich der zu ausgefuchster Aerodynamik. Rekordwerte in Sachen Windschlüpfrigkeit kamen einerseits heraus (cw EQS: 0,20, EQE: 0,22), andererseits eben diese Tränenform.

Hochleistung

Der EQE steht, wie der EQS, auf rein elektrischer Plattform, das gibt den Technikern größere Freiräume beim Paket – BMWs i4, um den direktesten Gegner zu benennen und der derzeit für Furore unter den E-Jüngern sorgt, teilt sich die technische Architektur hingegen mit dem Verbrennerbruder 4er Gran Coupé.

Über all dem hätten wir fast verabsäumt zu erwähnen, in was für einem Fahrzeug konkret wir uns befinden. EQE 43 4matic AMG. Richtig, die Hochleistungsabteilungen von Mercedes und BMW nehmen sich längst des Themas an, 350 kW (476 PS) leisten die beiden E-Motoren (hinten 245 kW, vorn 140), und mit dem EQE 53 AMG folgt was noch potenteres, mit 460 kW.

Grafik: DER STANDARD

Im Basismodus ist das ein ausgesprochen komfortables Fahrzeug mit kaum akustischen Antriebseintrag in den Innenraum. Erst wenn man das Eskalationsrad im Lenkrad, rechts unten neben dem Pralltopf, dreht, wechselt der Charakter.

Farbregie

Optisch angezeigt wird dies durch andere farbliche Hinterlegung des Drehknopfs – von blau (Komfort) über bernsteinfarben (Sport) bis hellrot (Sport +). Bei Sport ist das mit dezentem Geräusch hinterlegt, bei Sport Plus bullert ein V8 los, fast wartet man auf Zwischengas und Zündaussetzer, aber das ersparen einem die Sounddesigner. Klar, kommt alles aus der Konserve, wie auch die Begrüßungs- und Verabschiedungssymphonie bei Starten und Verlassen des Autos, ist auch ein bisserl peinlich, aber die Kundinnen jedweden Geschlechts aus dem Finanzhochadel mögen das.

Haben wir vorhin die geschmeidige Fahrwerksabstimmung im Basismodus erwähnt, so macht sie in Sport+ den Anschein von störrischer Bockigkeit, auf Kopfsteinpflaster möchtest du damit jedenfalls nicht fahren. Bei flotterer Fortbewegung im Kurvenreich oder auf dem Rundkurs zeigt sich aber rasch: Auch das ist überaus gekonnt abgestimmt, die bei AMG verstehen ihr Handwerk.

Wobei das keine ganz einfache Aufgabe ist bei einem E-Auto, immerhin sind hier 2525 kg zu bewegen, gleich fällt einem Schillers Glocke dazu ein: "Wohl! Die Massen sind im Fluss." Im Strom sogar.

Alltagstaugliche Reichweite

Ansprechverhalten am Strompedal? Ebenfalls deutlich gespreizt, wie bei Fahrwerksabstimmung und Akustik. Bei Sport+ wird der EQE zum Katapult, und nur nebenbei: In 4,2 Sekunden geht’s aus dem Stand auf 100, bei 210 km/h ist Schluss.

Reichweite? Ähnlich alltagstauglich wie im unlängst getesteten Polestar 2. Die Strecke Wien–Salzburg mit in Österreich üblichem Autobahntempo ist kommod in einem Rutscher bewältigbar. Da kann der Verbrauch aber schon einmal auf 25, 30 kWh / 100 km hochschnellen.

Geschmackvoll komponiertes Interieur. Das Lenkrad ist griffig, aber fast zu fett. Und das Gelbe vom Ei ist das Touch-Bedienkonzept nicht.
Foto: Andreas Stockinger

Und wie geht’s wieder runter? Tesla hat da eine klare Philosophie: Einpedalbetrieb. Maximale Rekuperationsleistung, aus. BMW beim i4 gibt sich großzügiger, lässt uns das Anwählen von Segeln, mäßiger und starker Rekuperation aber umständlich in Submenüs suche.

Mercedes macht’s genau richtig: Wippen am Lenkrad. Links angetippt, verstärkt sich die Verzögerung, bewirkt durch den Dynamobetrieb der E-Motoren, rechts wird es schwächer. Und weil das auch immer das Können der Ingenieure zeigt, wie sie das Verschleifen hinbekommen, den Übergang zwischen Rekuperation und echter Bremse: im EQE völlig unmerklich, sprich: tadellos.

Ablagemöglichkeiten

Der Kofferraum ist zwar nicht üppig, wie kaum bei einem E-Mobil, aber doch ausreichend groß dimensioniert (430 Liter).
Foto: Andreas Stockinger

Alltagsnutzen? Große Fächer in den Türen, großes Mittelfach, unter der schwebenden Mittelkonsole weitere Ablagemöglichkeiten, und der Kofferraum ist zwar nicht üppig, wie kaum bei einem E-Mobil, aber doch ausreichend groß dimensioniert (430 Liter) und durch 2:1-Umlegbarkeit der Rückbank beliebig erweiterbar. Nur. Der kleinere, leichtere (und auch fahrdynamisch überlegene) BMW i4 bietet mehr (470 l) und dessen große Heckklappe ist einfach die intelligentere Lösung.

Musik im Testwagen? Da genügt ein einziges Wort: Sennheiser. Und damit noch ein abschließendes Wort zum Bedienkonzept. Klar, fesch ist sie schon, die Bildschirmwoge, die aus der Mittelkonsole hochschwappt. Lustig ist die Tatsch-Bedienung aber auch hier nicht. Das lenkt einfach zu viel ab vom Verkehrsgeschehen, wenn man da lang herumfummeln muss, und mit dem Multifunktionslenkrad kommen manche auch schlecht zurecht.

Abhilfe schafft oft die Sprachbedienung, die ist wirklich gut. Nur deren Witze sind schlecht. "Was ist ein Keks unter einem Baum? Ein schattiges Plätzchen." Stimmt aber nicht, denn: beschattet. Passiv. Anders der AMG-EQE. Ein Elektromobil für den aktiven Lebensstil – mit Licht- und Schattenseiten. (Andreas Stockinger, 21.8.2022)