Verkehrsministerin Leonore Gewessler hat Anfang Dezember 2021 bekanntgegeben, das geplante Projekt Lobautunnel unter dem Nationalpark "nicht weiterzuverfolgen".

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Die Fronten zwischen Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) und Verkehrsministerin Leonore Gewessler (Grüne) sind rund um die Causa Lobautunnel verhärtet.

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Fast neun Monate ist es her, dass Verkehrsministerin Leonore Gewessler (Grüne) das umstrittene Milliardenprojekt Lobautunnel auf Eis gelegt hat. Eine Evaluierung des Asfinag-Bauprogramms samt Klimacheck hat demnach ergeben, dass das Straßenbauvorhaben nicht weiterverfolgt wird, wie die Ministerin Anfang Dezember 2021 bekanntgab – und das nach rund 20 Jahren Vorarbeiten.

Die Entscheidung Gewesslers bedeutete auch das vorläufige Ende für den Schnellstraßenring um Wien. Für den Lückenschluss fehlen noch 19 Kilometer der S1 zwischen Schwechat und Süßenbrunn – inklusive Tunnels durch den Nationalpark (siehe Grafik). Die restlichen Teile des geplanten 195 Kilometer langen Regionenrings sind bereits errichtet.

Grafik: Der Standard

Für die tatsächliche Absage des Lobautunnel-Projekts benötigt Gewessler aber noch eine Unterschrift von Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP). Und diese hat Gewessler noch nicht erhalten.

Hintergrund ist die Absegnung des Bauprogramms 2022 der Asfinag. In der aktuellen Version sind einige geplante Straßen wie die Wiener S1-Nordostumfahrung samt Tunnel auf Betreiben des Verkehrsministeriums nicht mehr enthalten. Den Änderungen muss aber auch das Finanzministerium zustimmen. Hier geht es um die finanziellen Belange. Diese gesetzlich vorgesehene Einvernehmensherstellung ist aber noch nicht erfolgt, wie dem STANDARD aus beiden Ministerien bestätigt wurde. Dabei wurde das Bauprogramm bereits im Dezember 2021 zur Unterschrift an das Finanzministerium übermittelt. Der Asfinag-Aufsichtsrat hatte das Programm zuvor mehrheitlich beschlossen.

Heiße Kartoffel

Diese Pattstellung sorgt für gehörige politische Unruhe zwischen den Regierungsparteien ÖVP und Grünen. Das Finanzministerium sah jedenfalls noch einige offene Punkte und hat "mehrere Rückfragen" zum Bauprogramm gestellt, wie es aus dem Büro von Gewessler hieß. Dabei sei es um rechtliche Aspekte sowie um die "Vorgehensweise bei der Alternativenprüfung und der sachgerechten Budgetierung ruhend gestellter Projekte" gegangen. Die Antworten Gewesslers seien aber "bereits vor einiger Zeit an das Finanzministerium übermittelt" worden, wie das Verkehrsministerium betont.

Seither herrscht Funkstille. Ein Sprecher von Minister Brunner verwies darauf, dass "aufgrund der Vielzahl an öffentlich geäußerten Bedenken und der damit in Verbindung stehenden Gutachten" eine tiefergehende Prüfung notwendig geworden sei – auch unter Einbeziehung des Verfassungsdienstes. "Die darauffolgenden internen Bewertungen sind noch ausständig und sollten im Laufe des Septembers abgeschlossen sein."

Der bei Ministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) angesiedelte Verfassungsdienst wurde bereits im Frühjahr von der Wiener Wirtschaftskammer aktiviert. Diese kämpft – wie die Wiener SPÖ und das Land Niederösterreich – vehement um die S1-Verlängerung. Die Kammer stuft die Absage des Tunnelbaus als gesetzeswidrig ein, weil Gewessler mit einer Weisung an die Asfinag rechtswidrig gehandelt haben soll. Diese Ansicht unterstützen laut der Kammer mehrere von ihr in Auftrag gegebene Gutachten. Die Stadt Wien sieht mit der Absage hingegen EU-Recht verletzt und legte bei der Kommission Beschwerde ein.

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DER STANDARD

Verfassungsdienst sieht sich nicht zuständig

Die Kritiker der Gewessler-Entscheidung müssen nun aber einen Rückschlag einstecken: Das Verfassungsministerium sieht rund um das Vorgehen Gewesslers keine verfassungsrechtliche Materie berührt. Es handle sich "um Fragen der einfachgesetzlichen Auslegung", wie es aus dem Büro von Edtstadler dem STANDARD gegenüber heißt. Das Ministerium geht aber davon aus, dass von der Absage des Tunnelbaus Betroffene, die schon Investitionsentscheidungen getroffen hätten, den Rechtsweg beschreiten werden. "Damit wird sich herausstellen, ob das Vorgehen von Bundesministerin Gewessler mit dem Gesetz vereinbar war oder nicht."

Im Verkehrsministerium gibt man sich trotz der fehlenden Unterschrift Brunners noch gelassen. Auch in den vergangenen Jahren habe die Einvernehmensherstellung zwischen den Ministerien "immer wieder einige Monate gedauert". Gilt ohne die Absegnung Brunners weiter das alte Bauprogramm – also inklusive Lobautunnel? "Nein", heißt es dazu aus dem Gewessler-Ministerium, "das vorherige Bauprogramm der Asfinag bleibt nicht in Kraft".

Vorhabensbericht bei der Oberstaatsanwaltschaft

Mit dem Lobautunnel-Aus beschäftigt sich auch die Staatsanwaltschaft: Niederösterreichs FPÖ-Klubchef Udo Landbauer hat im April gegen Gewessler eine Sachverhaltsdarstellung eingereicht. Vorgeworfen werden der Verdacht auf Untreue und der Verdacht auf Missbrauch der Amtsgewalt. Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) prüfte den Anfangsverdacht, ein Vorhabensbericht liegt zur Prüfung bei der Oberstaatsanwaltschaft Wien. Details gab eine WKStA-Sprecherin auf STANDARD-Anfrage keine bekannt. Verwiesen wurde aber darauf, dass "kein Ermittlungsverfahren" in dieser Causa anhängig ist. (David Krutzler, 23.8.2022)