Im Gastblog gibt Susanne Krejsa MacManus einen Einblick in die gegenwärtige Situation der nationalen Penizillinversorgung und deren historische Entwicklung.

Nur 24 der 150 hier vertretenen großen und kleinen Pharmaunternehmen haben einen Produktionsstandort in Österreich. Einer der essenziellen Wirkstoffe, die – noch – im eigenen Land produziert werden, ist das Antibiotikum Penizillin. Aber auch das wackelt. Denn aus chinesischer und indischer Produktion kostet die Substanz am Weltmarkt weniger als Kaugummi. Angesichts der Arzneimittelpreise, die gerade bei altbewährten Substanzen in Österreich alles andere als üppig sind, stand die Penizillin-Produktion in Kundl (Tirol) vor zwei Jahren vor dem Aus und konnte nur durch die gemeinsamen Anstrengungen des Herstellers, des Bundeslandes Tirol, der österreichischen Bundesregierung sowie eines EU-Topfes gerettet werden. Warum die EU hier mitzahlt? Weil es außer in Kundl in ganz Europa keine weitere Penizillinproduktion gibt. Die Weiterführung ist daher im gesamteuropäischen Interesse.

In Tirol befindet sich die einzige Anlage innerhalb Europas, in der Penizillin produziert wird.
Foto: APA/EXPA/ JOHANN GRODER

Florierender Schwarzmarkt

Fast jede und jeder kennt den Film "Der Dritte Mann", in dem die Situation Österreichs unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkrieges sehr realistisch dargestellt wurde. Obwohl Penizillin von Großbritannien und den USA in großem Maßstab produziert werden konnte, war Österreich noch auf "milde Spenden" angewiesen, dementsprechend florierte damals der Schwarzmarkt, die Preise explodierten, und nicht alles, was da als "Penizillin" verkauft wurde, war auch echtes Penizillin.

Der Aufbau einer österreichischen Eigenproduktion war mühsam. Zum einen fehlte das Wissen, denn Hitler hatte fast bis zum Kriegsende Penizillin ignoriert und stattdessen auf die Wirkstoffgruppe der in Deutschland entwickelten Sulfonamide gesetzt. Erst Ende 1943 war Deutschlands ernsthaftes Interesse an Penizillin aufgeflammt, doch konnte der Vorsprung Großbritanniens und der USA nicht mehr eingeholt werden. Das lag zum einen daran, dass sich das "Dritte Reich" abgeschottet hatte. So war etwa das renommierte Fachmagazin "Nature" aus allen Bibliotheken verbannt worden, weil es "unerhörte und niedrige Angriffe gegen die deutsche Wissenschaft und den nationalsozialistischen Staat" veröffentlicht habe. Umgekehrt war es den britischen und amerikanischen Forscherinnen und Forschern seit 1943 verboten, ihre Penizillin-Arbeiten zu publizieren, damit das mühsam erworbene Wissen nicht an den Feind gelange.

Penizillinproduktion in einer Brauerei mit alten Panzerteilen

Allerdings hätte das Wissen auch nicht viel genützt, denn es fehlte an Rohstoffen, Apparaturen, Einrichtungen und an den richtigen – nämlich ergiebigen – Penizillinstämmen. Mit einfachsten Hilfsmitteln und viel Improvisation wurde nach dem Krieg eine erste Anlage aufgebaut: So dienten Motoren von Panzerfahrzeugen zur Drucklufterzeugung, Treibstofftanks der im Krieg eingesetzten Rakete V2 als Flüssigkeitsbehälter. Der Antrieb der Rührwerke stammte aus U-Boot-Beständen; die Rohrleitungen aus einem ausgebombten Café.

Nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurde Penizillin mit viel Improvisation hergestellt, so wurden etwa Bauteile der Produktionsmaschinen aus Waffen umfunktioniert.
Foto: Susanne Krejsa MacManus

Improvisieren war auch in Westdeutschland angesagt: Dort sammelten Mitarbeitende der Pharmafirma Schering den Urin von Patientinnen und Patienten, die Penizillininjektionen erhalten hatten. Durch den menschlichen Organismus war es gut gereinigt und konnte nach entsprechenden Rezyklierungsmaßnahmen neuerlich verwendet werden.

Parallel dazu begann die United Nations Relief and Rehabilitation Administration (UNRRA), Penizillinlieferungen in ihr Hilfsprogramm für Österreich aufzunehmen, da dieses als "befreites Land" galt. Anders in Deutschland, dem als "besiegtem Land" derartige Hilfe verweigert wurde. Erst ab 1949 konnte Österreich seinen Penizillinbedarf durch Eigenproduktion decken. (Susanne Krejsa MacManus, 24.8.2022)