Die Danube Flats und die Triiiple-Türme waren die ersten beiden Projekte in Wien, für die städtebauliche Verträge abgeschlossen wurden.
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Für die Triiiple-Türme beim Donaukanal, fertiggestellt vor rund einem Jahr, wurde einer abgeschlossen. Für die Danube Flats, die derzeit an der Reichsbrücke in die Höhe wachsen, auch. Und für den City-Ikea neben dem Westbahnhof ebenso. Wer sich ein bisschen mit Wiener Stadtplanung beschäftigt, erahnt es vielleicht schon: Die Rede ist von städtebaulichen Verträgen.

Hinter dem trockenen Begriff versteckt sich ein Instrument, das vieldiskutiert ist. Das liegt daran, dass städtebauliche Verträge hochsensible Fragen betreffen. Die wohl wichtigste: Wie lässt sich die Stadt einen Wertgewinn, den ein privater Immobilienentwickler durch eine Umwidmung lukriert, und die damit verbundenen Kosten für die Öffentlichkeit abgelten?

Die Liste der Bauprojekte, für die in Wien städtebauliche Verträge abgeschlossen wurden, ließe sich noch beliebig fortsetzen. Mindestens 49 derartige Vereinbarungen ist die Stadt seit der Schaffung des Instruments im Jahr 2014 eingegangen. Sie betreffen 40 einzelne Projekte, die allesamt namentlich bekannt sind. So viel ließ sich die Stadt bisher entlocken. Details über den Inhalt sind allerdings kaum öffentlich.

Das Hotel Intercontinental am Heumarkt soll abgerissen und durch einen Neubau ersetzt werden. Der ursprünglich geplante Turm für Luxuswohnungen wurde mittlerweile gestrichen, Wien ist wegen des Projekts aber weiterhin auf der Liste der gefährdeten Unesco-Welterbestätten.
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Das liegt daran, dass die Verträge zwar im Gemeinderat beschlossen, aber nicht publik gemacht werden. Da es sich um privatrechtliche Vereinbarungen handle, müssten alle Vertragspartner einer Veröffentlichung zustimmen, argumentiert die Stadt. Eine Ausnahme wurde bisher einmal gemacht: Als die öffentliche Skepsis gegenüber dem umstrittenen Heumarktprojekt zu groß wurde, gab die damalige grüne Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou den Vertrag mit dem Immobilienentwickler Michael Tojner heraus.

Was genau sich Stadt Wien und Investoren bei Bauprojekten aushandeln, ist also ein gut gehütetes Geheimnis. Ein Geheimnis, das DER STANDARD nun zum Teil lüftet: Der Redaktion liegen 40 städtebauliche Verträge aus den Jahren 2015 bis 2022 im Original vor. Eine Suche nach Mustern, Defiziten und Zukunftsperspektiven in sechs Kapiteln.

Kapitel 1
Straßengestaltungen sind größter Brocken

Die Idee hinter städtebaulichen Verträgen ist eine Art Abtausch zwischen zwei voneinander abhängigen Parteien. Projektentwickler benötigen, um Bauvorhaben realisieren zu können, oftmals eine Änderung des Flächenwidmungs- und Bebauungsplans von der Stadt. Die Projektentwickler verdienen an den Bauvorhaben – und auch die Stadt profitiert: Es entsteht etwa dringend benötigter Wohnraum. Gleichzeitig können Bauprojekte auch Kosten für die öffentliche Hand nach sich ziehen, etwa weil es rund um ein neues Wohngebäude öffentliche Infrastruktur wie Schulen, Straßen oder Parks braucht. Und an ebendiesen Kosten kann die Stadt Projektentwickler mit städtebaulichen Verträgen beteiligen.

Dazu gibt es zwei Möglichkeiten. Option eins: Den Privaten kann entweder auferlegt werden, sogenannte Kostenbeiträge – also quasi Cash – an die Stadt zu bezahlen. Diese kann mit den erhaltenen Summen dann Infrastrukturprojekte finanzieren. Option zwei: Alternativ oder zusätzlich können die Projektentwickler verpflichtet werden, derartige Maßnahmen selbst zu organisieren und direkt zu bezahlen.

Der City-Ikea beim Wiener Westbahnhof wurde 2021 eröffnet. Vereinbart wurde unter anderem ein Zuschuss für einen neuen Radweg in der Gerstnerstraße.
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In 34 der vorliegenden Verträge wurde von Option 1 Gebrauch gemacht, also ein Kostenbeitrag fixiert. Insgesamt hat sich die Stadt auf diese Weise 45,6 Millionen Euro gesichert. Der größte Brocken, nämlich 22,9 Millionen, entfällt auf Straßengestaltungen, den Bau von Radwegen und andere Umgestaltungen des öffentlichen Raums. Gefolgt von 11,6 Millionen für Schulbauten und 11,1 Millionen für Grünflächen und Parks. So finanzierte Ikea etwa den neuen Radweg in der Gerstnerstraße durch seine City-Filiale beim Westbahnhof mit, Soravia mit den Danube Flats die Erweiterung der Volksschule in Kaisermühlen und die Arwag über den neuen Stadtteil bei der Sargfabrik Atzgersdorf den Umbau des Campingplatzes Wien-Süd in einen öffentlichen Park.

Kapitel 2
Was sich die Stadt noch abgelten lässt

Im Großteil der Verträge wurde zusätzlich Option zwei genutzt – also Leistungen in Verantwortung und auf Kosten der Projektentwickler fixiert. In sechs Verträgen ist ausschließlich diese Variante vereinbart. Wie viel diese Leistungen wert sind, bleibt unklar: Das ist in den Verträgen nicht ausgewiesen.

Bei der Durchsicht lässt sich aber erahnen, dass wohl große Summen dahinterstehen. Am häufigsten wurden die Projektwerber auf diesem Weg dazu verpflichtet, "leistbaren" oder "geförderten" Wohnraum zu errichten – eine durchaus kostspielige Angelegenheit. Ebenfalls häufig vereinbart wurde der Bau von Kindergärten. Dazu kommen Auflagen, die sich nur schwer beziffern lassen: etwa die öffentliche Zugänglichkeit der Dachterrasse des City-Ikea.

Bei den Danube Flats leistete der Entwickler 3,9 Millionen Euro direkte Zahlungen an die Stadt und 6,1 Millionen Euro erbrachte zusätzliche Leistungen.
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Eine konkrete Größenordnung für Leistungen in Verantwortung und auf Kosten der Projektentwickler gibt es bei den Danube Flats. Der damalige grüne Planungssprecher Christoph Chorherr bezifferte das Volumen nach Abschluss der Verhandlungen im Jahr 2015 mit zehn Millionen Euro. Im Vertrag vereinbart wurde eine direkte Zahlung von rund 3,9 Millionen Euro für besagte Volksschule in Kaisermühlen. Bleiben also rund 6,1 Millionen Euro für eigene Leistungen, angeführt sind Überplattungen und Verkleidungen der angrenzenden A22, Maßnahmen zur Gestaltung des Donauufers, ein Kindergarten und die Bereitstellung von 40 Sozialwohnungen.

Kapitel 3
Häufung in der Donaustadt

Nach Bezirken betrachtet fällt eine Häufung von Verträgen bei Projekten in der Donaustadt auf: Für Bauvorhaben in diesem Bezirk wurden 15 abgeschlossen. Das ist insofern logisch, als es in dem Flächenbezirk noch vergleichsweise viel Potenzial für Widmungen in Bauland gibt. Im Zeitverlauf gesehen gibt es eine Ansammlung binnen zweier Jahre: Jeweils zehn städtebauliche Verträge sind mit 2018 oder 2020 datiert.

Kapitel 4
Schwammige Regeln, wenig Vergleichbarkeit

Durchgängige Linien oder Prinzipien sind in den vorliegenden Verträgen kaum erkennbar. So wird bei manchen Projekten etwa ein Park in Form eines konkreten Kostenbeitrags hineinreklamiert, in anderen Fällen wiederum als unbezifferte Leistung des Projektentwicklers. Die vereinbarten Summen variieren stark: Sie reichen von 100.000 Euro beim Projekt Muthgasse 105 bis fünf Millionen Euro für ein Bauvorhaben am Oberen Hausfeld (wobei sich der Betrag auf mehr als 15 Bauträger aufteilt).

In Paragraph 1a der Wiener Bauordnung ist diesbezüglich lediglich festgehalten, dass beim Abschluss eines städtebaulichen Vertrags die "Gleichbehandlung der in Betracht kommenden Vertragspartner der Gemeinde zu wahren" sei. Die sonstigen Spielregeln sind schwammig definiert. So bleibt etwa auch offen, für welche Art von Bauprojekten überhaupt ein städtebaulicher Vertrag abzuschließen ist.

Städtebauliche Verträge seien etwa dann "zweckmäßig", wenn eine Umwidmung "signifikante Infrastrukturmaßnahmen/-kosten" auslöse und/oder "die Sicherung städtebaulicher Qualitäten" nötig mache, schreibt Planungsstadträtin Ulli Sima (SPÖ).
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Zumindest einen kleinen Hinweis darauf, was aus Sicht der Stadt ausschlaggebend ist, liefert eine aktuelle Beantwortung einer Anfrage von ÖVP-Planungssprecherin Elisabeth Olischar an Planungsstadträtin Ulli Sima (SPÖ), die dem STANDARD vorliegt. Städtebauliche Verträge seien dann "zweckmäßig, wenn die durch eine Überarbeitung des Flächenwidmungs- und Bebauungsplans neu ermöglichten baulichen Entwicklungen signifikante Infrastrukturmaßnahmen/-kosten auslösen und/oder die Sicherung städtebaulicher Qualitäten nötig machen", heißt es da.

Kapitel 5
Rot-Pinke machen Zugeständnisse

Dass der aktuelle Zustand verbesserungswürdig ist, dürfte der rot-pinken Stadtregierung zumindest theoretisch klar sein. Denn im Koalitionsprogramm heißt es, dass ein Leitfaden und ein Kriterienkatalog für städtebauliche Verträge erstellt werden sollen, um deren "Nachvollziehbarkeit und die Transparenz" zu verbessern. Bauträgern und Investoren soll dies "als Grundlage zur Verfügung stehen und nachvollziehbar veröffentlicht" werden. Das ist eine langjährige Forderung von Fachleuten.

Konkrete Schritte zur Umsetzung von Leitfaden und Kriterienkatalog sind nicht wahrnehmbar. In ihrer Anfrage an Stadträtin Sima versuchte die türkise Planungssprecherin Olischar mehr über den rot-pinken Reformwillen in Erfahrung zu bringen – mit magerem Ergebnis. "Die Anwendung und Umsetzung des Instruments städtebaulicher Vertrag wird laufend überprüft. Wenn konkrete Ergebnisse dieser Überprüfungen vorliegen, werden diese vorgestellt", heißt es in der Beantwortung.

Gelegenheit für Änderungen würde die geplante Novelle der Bauordnung im kommenden Jahr bieten. Zur Vorbereitung eben dieser fand am 9. und 10. November im Rathaus eine Fachenquete statt. Zu den städtebaulichen Verträgen war dabei allerdings kein Programmpunkt vorgesehen.

Das Büro von Planungsstadträtin Sima wollte keine weitere Stellungnahme dazu abgeben, sondern verwies auf das Wohnbauressort und die Magistratsdirektion. Letzterer wurde von der für Baurecht zuständigen Magistratsabteilung 64 bereits eine Evaluierung der städtebaulichen Verträge vorgelegt, ist aus dem Rathaus zu hören. Diese Evaluierung harre nun einer Beurteilung. Offiziell heißt es aus der Magistratsdirektion, dass "die Anwendung und Umsetzung des Instrumentes städtebaulicher Vertrag" überprüft werde, aktuell aber noch keine Ergebnisse vorliegen würden. Für die Realisierung von Leitfaden und Kriterienkatalog sei bis 2025, also bis Ende der Legislaturperiode, Zeit.

Das Büro von Wohnbaustadträtin Kathrin Gaál (SPÖ) teilt schriftlich mit, dass die Enquete zur Bauordnungsnovelle inhaltlich die Schwerpunkte Klimaschutz, leistbares sowie qualitätsvolles Wohnen und Verfahrensvereinfachung behandelt habe. Die städtebaulichen Verträge würden sicherlich in diese drei Felder hineinspielen.

In Zusammenhang mit den städtebaulichen Verträgen brauche es nicht unbedingt gesetzliche Änderungen, sagt Wohnbaustadträtin Kathrin Gaál (SPÖ).
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"Der Umgang mit städtebaulichen Verträgen stellt zweifelsohne ein wichtiges Thema dar", wird betont. Als eigener Punkt auf der Enquete seien sie deshalb nicht vorgesehen gewesen, weil diese als Vorbereitung auf gesetzliche Änderungen gedacht sei, welche es in Zusammenhang mit den städtebaulichen Verträgen aber nicht notwendigerweise brauche. "Ein Großteil der Überlegungen in diesem Zusammenhang bezieht sich auf den Prozess der Handhabung städtebaulicher Verträge, die nicht zwingend eine Gesetzesänderung erfordern würde", heißt es aus dem Wohnbauressort.

Kapitel 6
Druck für Veröffentlichung wächst

Wohlgemerkt: Von einer generellen Veröffentlichung der Verträge, wie sie die Neos als Oppositionspartei gefordert haben, ist im rot-pinken Koalitionsprogramm nichts mehr zu lesen. Expertinnen und Experten führen ins Treffen, dass eine Veröffentlichung für die Entwickler eine gewisse Vergleichbarkeit ermöglichen würde. Die Allgemeinheit wiederum könne sich ein Bild darüber machen, ob es beim Abschluss fair zuging.

Die Opposition, allen voran die ÖVP, ist mit diesem Zustand unzufrieden. "Städtebauliche Verträge sind eine Blackbox. Sie sind weder transparent noch nachvollziehbar – das muss sich endlich ändern", sagt Olischar. "Bei diesen Verträgen geht es oft um viel Geld – es kann nicht sein, dass der Prozess dabei so beliebig ist."

Reformbedarf sehen auch die Grünen, unter deren früherer Vizebürgermeisterin Vassilakou die städtebaulichen Verträge eingeführt wurden. Diese müssten transparent sein, um den Verdacht von "Freunderlwirtschaft und Mauschelei" sagen sie – und verlangten unlängst in einem Antrag, dass die Veröffentlichung als Standardklausel in städtebauliche Verträge eingebaut werden solle. Seitens der Stadt wurde auf STANDARD-Anfrage auf den Aspekt der Veröffentlichung der Verträge nicht näher eingegangen.

"Städtebauliche Verträge sind eine Blackbox. Sie sind weder transparent noch nachvollziehbar – das muss sich endlich ändern", sagt ÖVP-Planungssprecherin Elisabeth Olischar.
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Der STANDARD sieht ebenfalls Bedarf für mehr Transparenz und hat deshalb schon im Frühjahr eine Anfrage gemäß Wiener Auskunftspflichtgesetz an die Stadt Wien eingebracht: Neben einer Aufzählung aller bisher abgeschlossenen Verträge samt allen Vertragspartnern wurde dabei auch um Einsichtnahme in die Verträge ersucht. Erwartungsgemäß wurde das abgelehnt, gegen den verlangten Bescheid der Magistratsabteilung 28 erhob DER STANDARD Beschwerde.

In der Zwischenzeit gelangte die Redaktion zwar auf anderen Wegen an die Verträge, das Verfahren wurde aber fortgeführt. Am 14. Oktober kam es zur Verhandlung am Landesverwaltungsgericht. Dort war dann auch dem Richter unter anderem nicht wirklich klar, warum in den städtebaulichen Verträgen heikle Unternehmensgeheimnisse stehen sollten. "Welche negativen wirtschaftlichen Konsequenzen den projektwerbenden Parteien aus einer Offenlegung erwachsen, wird nicht näher dargelegt und erschließt sich auch nicht aus dem Wesen städtebaulicher Verträge", heißt es im Urteil. Die anwesende Vertreterin der Stadt hatte Gegenteiliges ins Treffen geführt und auch darauf hingewiesen, dass die Stadt Wien seitens ihrer Vertragspartner "immer wieder auf die Bedeutung der Geheimhaltung dieser Daten" hingewiesen worden sei.

Weiters wurde argumentiert, dass die Angaben in den städtebaulichen Verträgen ja nur "grobe Rohüberlegungen" darstellen würden, also ein frühes Planungsstadium, über das die Öffentlichkeit nicht informiert werden müsse. Doch das Gericht folgte hier der Argumentation des STANDARD: Eine Geheimhaltung dieser Pflichten "verunmöglichte nicht nur einen öffentlichen Diskurs über das Für und Wider des Projekts während der Planungsphase, sondern lässt auch keine Kontrolle der Öffentlichkeit darüber zu, ob diese Pflichten von den projektwerbenden Parteien im Zuge der Umsetzung des Projekts auch tatsächlich eingehalten werden". Darüber hinaus wäre die Übermittlung der städtebaulichen Verträge "mit einem minimalen administrativen Aufwand" möglich gewesen.

Das Verfahren wurde deshalb vor dem Landesverwaltungsgericht zugunsten des STANDARD entschieden. Die Stadt hat aber noch die Möglichkeit, Revision zu erheben. Dann geht die Causa bis zum Verwaltungsgerichtshof. (Stefanie Rachbauer, Martin Putschögl, 15.11.2022)