Der Bund verlangt eine Risikominimierung bei Geschäften der Wien Energie.

Foto: Reuters / Leonhard Foeger

Wien – Der aufgrund explodierender Margin Calls in schweres Fahrwasser geratene Tanker Wien Energie wird sein Geschäftsmodell überdenken und den Kurs korrigieren müssen. Denn bei Weiterführung der liquiditätsintensiven Stromverkäufe in großem Stil, die die Eigenproduktion 2021 bei weitem überstiegen, würde der Bedarf an Absicherungen (Margin Calls) wohl nicht sinken, mit steigenden Preisen sogar weiter steigen.

Dieses Risiko, das bis zur Endfälligkeit jedes einzelnen täglich abgeschlossenen Terminkontraktes an der Leipziger Strombörse (EEX) reicht, wird die Republik Österreich nicht mittragen. Das erschließt sich aus der Darlehenszusage, die Finanzministerium und Land Wien am Mittwoch abgeschlossen haben. Zentraler Bestandteil dieses Vertrages ist nämlich eine Minimierungsklausel. Das Land Wien, das seinem städtischen Energieversorger bei Bedarf aus diesem Darlehen weitere bis zu zwei Milliarden Euro an Kreditlinien ermöglicht, muss demnach "die zur Minimierung der Risiken des Landes und des Bundes gebotenen Maßnahmen umgehend umsetzen".

Risikominimierung

Umgehend heiße sicher nicht mit österreichischer Gemütlichkeit oder irgendwann in ein paar Monaten, wie der Wiener Bürgermeister bei der Information des Gemeinderats über die seit 15. Juli gewährten zweimal 700 Millionen Euro an Haftungen vermeinte, sagt eine mit der Materie vertraute Person. Welche Maßnahmen die Stadtverwaltung zu Risikominimierung und Sicherstellung der Energieversorgung in der Stadt plant und aufsetzen wird, ist binnen Monatsfrist zu liefern.

Mehr Tempo ist bei der Aufklärung gefragt. Das Land Wien wird seiner Enkeltochter Wien Energie – und damit deren Muttergesellschaft Wiener Stadtwerke – bis 15. September eine umfangreiche Darstellung "abverlangen", aus welchen Gründen es "unter Berücksichtigung der Preisentwicklungen am Strom- und Erdgasmarkt ab 1. 1. 2020 zu einer angespannten Liquiditätssituation bei der Gesellschaft gekommen ist", heißt es im Vertrag, der auch die Entsendung eines Aufsichtsratsmitgliedes durch das Finanzministerium vorsieht – auf Dauer der Laufzeit, also bis längstens April 2023.

Straffe Zügel

Klar ist damit: Die Zügel für weitere Finanzierungstranchen seitens des Bundes werden gestrafft. Auch das erschließt sich aus dem Vertrag über die Darlehenszusage. Ein Weiterführen der – angesichts der extremen Ausschläge bei Strom- und Gaspreisen – liquiditätsintensiven Stromverkäufe in großem Stil wie von Wien Energie betont scheint damit illusorisch, denn dadurch bliebe das Risiko jedes einzelnen tagtäglich geschlossenen Terminkontraktes bis zur Endfälligkeit unlimitiert. Das wäre angesichts irrationaler Preisausschläge von Strom und Gas wenig vorteilhaft, um es vornehm auszudrücken.

Langfristige Termingeschäfte gestoppt

Am Freitag wurde bekannt, dass Wien Energie bereits vor einer Woche alle langfristigen Termingeschäfte bis auf weiteres gestoppt hat, nachdem sich herausgestellt hatte, dass das Unternehmen nicht in der Lage war, die aufgrund des Auseinanderdriftens des Strom- und Gaspreises ebenfalls angehobenen Kautionen an der Strombörse zu finanzieren. Einen entsprechenden Bericht der "Kronen Zeitung" hat die Wien Energie auf Anfrage der APA bestätigt. "Zum jetzigen Zeitpunkt können wir nicht sagen, wie lange wir die Termingeschäfte aussetzen."

Es werde zwar weiter Strom gekauft und verkauft, aber nicht im Rahmen langfristiger Termingeschäfte, sondern kurzfristig an den Spotmärkten, weil das "liquiditäts- und risikoschonender" sei, heißt es dazu aus dem Unternehmen.

Spotmarktverkäufe erfolgen zum schwankenden tagesaktuellen Preis. Das Risiko dabei: Der Ertrag ist kaum planbar und wahrscheinlich niedriger. Dafür fallen aber keine Margins an, die Wien Energie tief in die Bredouille brachten. Viel mehr Strom abzusetzen, als man selbst produziert, wie in den Jahren bis 2021 praktiziert, rentierte sich dann vielleicht nicht mehr in dem Maß wie vor der Strompreishausse.

Für Wiens ÖVP-Chef Karl Mahrer drängt sich nun die Vermutung auf, dass der seitens der Stadtregierung "vielzitierte ,verrückte Freitag'" womöglich gar nicht der Grund für die notwendig gewordene finanzielle Unterstützung für die Wien Energie gewesen sein könnte. Das Unternehmen hätte sich wohl eher aus "hochriskanten Geschäften" zurückziehen müssten, hieß es am Samstag in einer Aussendung. Wiens FPÖ-Chef Dominik Nepp forderte unterdessen die "sofortige Offenlegung der Cash-Pooling Verträge" in der Causa Wien Energie.

Christoph Matznetter, SPÖ-Wirtschaftssprecher im Nationalrat, sagte dazu Samstagmittag am Rande einer Pressekonferenz, dass die Wien Energie "auf 24 Monate im Voraus ihre An- und Verkäufe an der Strombörse und bei der Gasbeschaffung durchgeführt habe." Ein Unternehmen könne "solchen langfristige Geschäfte" auch aussetzen. "Aber auch Dauer wird es wohl nicht gehen." Und zur Krisenkommunikation der Wien Energie erklärte er: "Solange das Problem nur die Kommunikation ist, bin ich froh."

Wien-Energie-Geschäftsführers Michael Strebl erklärte per Aussendung, man habe bereits am 30. August kommuniziert, dass man den Verkauf von Strom am Terminmarkt – "im Sinne einer kurzfristigen Notfall-Maßnahme" – vorläufig aussetzen werde. "Der Handel am Spotmarkt und zur Sicherstellung der Versorgungssicherheit geht selbstverständlich weiter."

Prüfer unterwegs

Was auch immer die Prüfungen von Bund, Stadt- und Bundesrechnungshof zutage fördern: Die bisherigen Anzeigen und Sachverhaltsdarstellungen haben bei der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft keinen Anfangsverdacht ergeben.

Ein Kurswechsel scheint bei Wien Energie angesichts erratischer Strom- und Gaspreisschwankungen unvermeidlich.
Foto: Reuters / Leonhard Foeger

Der Rechtsanwalt und frühere Justizminister (FPÖ) Dieter Böhmdorfer hält anhand der bis dato bekannten Umstände für prüfenswert, ob der Tatbestand der grob fahrlässigen Beeinträchtigung von Gläubigerinteressen (§ 159 Strafgesetzbuch; StGB) verwirklicht wurde. Der werde bereits schlagend, wenn Wien Energie ohne Zuschuss zahlungsunfähig geworden wäre – vorausgesetzt, die Gemeinde Wien ist rechtlich nicht verpflichtet, die 1,4 Milliarden Euro einzuschießen. Zudem müsste Wien Energie "kridaträchtig" gehandelt, etwa außergewöhnlich riskante Geschäfte getätigt haben. Das bestreitet die Gesellschaft vehement.

Genau geprüft?

Diskussionen wie diese dürfte auch der Wirtschaftsprüfer der Wien Energie mit Interesse verfolgen. KMPG Austria stellte dem städtischen Unternehmen für 2021 einen uneingeschränkten Bestätigungsvermerk aus, zuvor war der Prüfer EY. Die Terminkontrakte, die Wien Energie angekreidet werden, wurden teils vor Jahren getätigt, täglich reifen welche ab, und neue kommen dazu. KPMG gab unter Verweis auf die Verschwiegenheitspflicht keinen Kommentar ab.

Apropos: Auch die Arbeit der Wirtschaftsprüfer soll unter die Lupe kommen, wie man hört. Gleiches gilt für Risikomanagement und interne Kontrollsysteme von Wien Energie und ihrer Konzernmutter, Wiener Stadtwerke. Die Leitung der Konzernrevision wurde heuer neu besetzt, aus den beiden Vorjahren gibt es kritische Prüfberichte, in denen Verbesserungspotenzial auch bei Krisenmanagement und internem Kontrollsystem aufgezeigt wird. (Luise Ungerboeck, Renate Graber, red, APA, 2.9.2022)