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Wenn Papa oder Mama wieder einmal alles besser wissen, kann es sein, dass man sich plötzlich wieder wie 15 fühlt.
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"Manchmal fühle ich mich wieder wie 15, wenn ich zu Hause bei meinen Eltern in Kärnten bin", schmunzelt Tobias*. Dieses Gefühl schleicht sich bei dem 31-Jährigen vor allem dann ein, wenn ihm gesagt wird, dass er sein Zimmer aufräumen soll. "Früher hat mich das schon gestört, mittlerweile nehme ich das aber gelassener." Wie Tobias geht es vielen Menschen: Gewisse Aussagen unserer Eltern – manchmal auch völlig unscheinbare – reizen uns, und wir reagieren darauf emotional.

Auch Konstantin*, der wie Tobias Anfang 30 ist, wurde in den letzten Jahren im Umgang mit seiner Mutter genervter: "Ich kann gar nicht genau benennen, woher das eigentlich kommt." Konstantin reagiert in diesen Situationen oft impulsiv, im Nachhinein verfolgen ihn dann Schuldgefühle, "denn schließlich macht meine Mutter alles für mich, meine Schwester und ihre Enkelkinder".

Derartige Schuldgefühle prägen häufig die Zeit, in der man sich von den eigenen Eltern emanzipiert, schildert die Psychologin Anne Otto in ihrem Buch "Für immer Kind? Wie unsere Beziehung zu den Eltern erwachsen wird". Dieser Prozess, bei dem sich oft eine seltsame Ambivalenz – ein Nebeneinander von Nähe und Distanz zeige –, dauere zudem oft jahrzehntelang an. Die Vorstellung, dass Kinder mit Anfang 20 ausziehen und dann sofort unabhängig werden, habe somit nie gestimmt. Denn die Abgrenzung von den Eltern nehme zwischen 20 und 45 zwar stärker zu, die Eltern-Kind-Beziehung verändere sich aber ein Leben lang.

Die Entwicklungspsychologin Heike Buhl von der Universität Paderborn ergänzt, dass gewisse biografische Übergänge – der Einstieg ins Berufsleben, die dadurch entstehende finanzielle Unabhängigkeit oder die eigene Familiengründung – häufig Anstöße für Veränderungen in der Beziehung geben.

Erstes eigenes Geld

Die finanzielle Unabhängigkeit hat auch die Beziehung von Tobias zu seinem Vater verändert. Diese war in seiner Jugend und im jungen Erwachsenenalter oft von Konflikten geprägt, erzählt er. "Ich glaube, dass es meinem Vater leichter fiel loszulassen, als ich mein eigenes Geld verdient habe." Und auch Tobias ist etwas nachsichtiger mit seinem Vater geworden und steigt "nicht mehr wie früher auf die Barrikaden".

In Konstantins Leben gab es in den letzten Jahren ebenfalls einige Veränderungen. Er ist mit seiner Frau in die Wohnung seiner verstorbenen Großeltern in einem Vorort von Wien gezogen. Seine Mutter wohnt nur einen Stock über ihm. Und er ist vor einem Jahr zum ersten Mal selbst Vater geworden. Zu Beginn hatte er Angst, dass aufgrund der Nähe zu seiner Mutter persönliche Grenzen überschritten werden würden. Deshalb war ihm wichtig, von Anfang an klarzustellen, dass seine Mutter nicht einfach mit dem Zweitschlüssel in seine Wohnung kommen darf.

Bei der Erziehung seiner Tochter hält sich seine Mutter bisher weitgehend zurück. "Meine Schwester hat vor mir Kinder bekommen, weshalb mir wohl einiges erspart geblieben ist." Damals habe sich seine Mutter von der Namensgebung über Kleinigkeiten, wann ihr Enkelkind Socken tragen soll und wann nicht, in so ziemlich alles eingemischt. "Sie hat sich dann auch oft bei mir beschwert, warum meine Schwester sich in Erziehungsfragen nur von Freundinnen Rat hole und nicht von ihr", erinnert er sich. "So schlecht hab ich meine Sache doch auch nicht gemacht, oder?" war ein Satz, den er häufig von ihr zu hören bekam.

Gegensätzliche Interessen

Konflikte wie diese gibt es in vielen Familien. Dies hängt laut Entwicklungspsychologin Buhl mitunter damit zusammen, dass Eltern und Kinder gegensätzliche Interessen haben: Eltern wollen ihre Werte und ihr Wissen weitergeben, Sorge äußern und das Leben der Kinder mitgestalten dürfen. Kinder wollen hingegen frei sein und eigene Entscheidungen treffen. "Unsere Forschung zeigt, dass ständige Genervtheit oder Kritik sich aber häufig negativer auswirken, als wenn es mal richtig kracht", erklärt Buhl.

Man sollte jedenfalls nicht glauben, dass sich die Beziehung von selbst ändert. Beide Seiten müssen aktiv daran arbeiten. Dieser Prozess ist nicht einfach und kann mitunter schmerzhaft sein. Es sei daher wichtig, miteinander zu sprechen, eigene Wünsche zu äußern und Kompromisse zu finden. Klare Botschaften wie "Ich höre dir zu, aber ich treffe meine eigene Entscheidung" oder "Ich wollte mich nicht einmischen, aber ich mache mir Sorgen, weil …" können helfen, einander auf Augenhöhe zu begegnen. Das mag nicht immer auf Anhieb gelingen, kann aber dazu beitragen, dass mittelfristig mehr Nähe und Klarheit entsteht. (Judith Moser, 13.9.2022)