In einer Art Generalabrechnung hielt Merz (am Pult) dem Kanzler wirtschaftspolitisches Versagen im Umgang mit der Krise vor.

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Als der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am Mittwoch im Bundestag auftaucht, wirkt er nicht gut gelaunt. Vielleicht ahnt er schon, dass ein Brief von Guido Knott an sein Ministerium bald öffentlich gemacht wird.

Knott ist Chef von Preussen Elektra, der AKW-Sparte des deutschen Energieriesen EON. Laut Spiegel warnt er Habeck davor, das bayerische AKW Isar 2 über den Jahreswechsel hinaus als Notfallreserve zu betreiben. Das hat Habeck vor, auch mit dem AKW Neckarwestheim (Baden-Württemberg).

Laut Knott ist dies "technisch nicht machbar und daher ungeeignet, um den Versorgungsbeitrag der Anlagen abzusichern". Man habe "keine Erfahrungswerte". Und: "Das Austesten einer noch nie praktizierten Anfahrprozedur sollte nicht mit einem kritischen Zustand der Stromversorgung zusammenfallen."

Verwirrender Brief

Habeck erklärte später, der Brief habe ihn "verwirrt". Am Montag hatte er betont, mit den AKW-Betreibern über seine Pläne gesprochen zu haben.

Im Bundestag wird er, wie auch die anderen Mitglieder der Ampelregierung, von Oppositionschef Friedrich Merz (CDU) scharf kritisiert. "Jeder Kompass fehlt dieser Bundesregierung, jede Fähigkeit zum politisch-strategischen Denken", sagt Merz und nimmt sich Habeck noch extra vor.

Nicht der Minister, sondern ein Sicherheitsrat sollte über die deutsche Stromversorgung entscheiden. Die Union fordert ja angesichts der Energiekrise einen regulären Weiterbetrieb der Anlagen, obwohl der Atomausstieg mit Jahresende 2022 festgelegt ist.

Über Habeck lästert Merz: "Wir dürfen ihm immer wieder beim Denken zusehen. Und er kann gefällig formulieren. Aber mit Verlaub: Wie hilflos Sie sind, konnte man gestern im deutschen Fernsehen beobachten."

Habecks Bäckerproblem

Damit spielt Merz auf die ARD-Sendung Maischberger an, in der Habeck keine gute Figur gemacht hat. Moderatorin Sandra Maischberger fragte den Minister, ob er wegen der hohen Energiepreise mit einer Insolvenzwelle rechne.

Seine Antwort: "Nein, tu ich nicht. Ich kann mir vorstellen, dass bestimmte Branchen einfach erst mal aufhören zu produzieren." Als Maischberger nachhakte, wie das bei Bäckern und Blumenhändlern funktionieren soll, erklärte Habeck: "Es kann sein, dass sich bestimmte Geschäfte nicht mehr rentieren und die dann eingestellt werden. Vielleicht werden sie später wiederaufgenommen, das kann ja sein. Also, das ist dann ja keine klassische Insolvenz."

Als Merz im Bundestag auf diesen Auftritt Habecks hinweist, sitzt der grüne Minister mit verkniffenen Lippen neben Kanzler Olaf Scholz (SPD) auf der Regierungsbank. Wenig später verlässt er das Plenum, worauf Merz am Rednerpult höhnt: "Wahrscheinlich schaut er sich die Videos von gestern Abend an." Zum Schluss fordert Merz noch Scholz auf: "Stoppen Sie diesen Irrsinn in Ihrer Koalition, solange wir noch die Zeit haben!"

Nach Merz ist Scholz dran. Mag die Lage noch so ernst sein, man weiß, dass er oft "scholzig" bleibt. Will heißen: monoton und zurückhaltend. Doch diesmal ist es anders. Der deutsche Kanzler zeigt sich in neuer Weise angriffslustig und aufgebracht, manchmal wird er sehr deutlich: "Ja, ja, Herr Merz, hören Sie mir einmal genau zu!"

Die Ampelkoalition, aus SPD, Grünen und FDP, habe sich bereits im Dezember auf das Ausbleiben russischer Gaslieferungen vorbereitet. Er giftet Richtung Merz: "Wir haben ein Problem bedacht und uns vorbereitet, über das Sie damals noch gar nicht gesprochen haben."

Gasspeicher aufgefüllt

Und weiter: "Während CDU-geführte Ministerien kein Problem darin sahen, dass Gasspeicher leer waren in diesem Land, haben wir das geändert."

Richtig laut wird Scholz, als er mit Blick auf Merz und die Unionsfraktion erklärt: "Sie waren unfähig, den Ausbau der erneuerbaren Energien herbeizuführen, Sie haben bis heute jede Windkraftanlage persönlich bekämpft."

Scholz redet sich in Rage und wirft der Union vor: "Sie reden an den Problemen des Landes vorbei. Sie brauchen nur noch zuschauen, wie all das nun aber geschieht. Es ist schon erledigt, bevor Sie es überhaupt ausgesprochen haben!"

Merz könne eigentlich einmal anerkennen, "dass das eine beeindruckende Leistung" sei. Da Merz dies nicht tun wird, schiebt Scholz noch hinterher: "Es ist gut, dass Sie in Opposition sind, damit wir die industrielle Erneuerung des Landes hinbekommen." Da schaut dann Merz etwas verkniffen drein. (Birgit Baumann aus Berlin, 7.9.2022)