Dass Verstorbene ihren Gräbern entsteigen und unter den Lebenden Unheil stiften, ist eine Angst, die vermutlich seit den ersten Beisetzungen in grauer Vorzeit umgeht. In sumerischer Zeit vor mehr als 5.000 Jahren spielte die Furcht vor Wiedergängern ebenso eine Rolle wie im Römischen Imperium: 2018 legten Archäologinnen und Archäologen in Umbrien ein spätantikes Grab frei, dessen Inhalt auf lokalen Vampiraberglauben schließen ließ.

Damit sich die Dame nicht wieder aus dem Grab wühlen konnte, wurde sie mit einer Sichel um den Hals begraben.
Foto: Miroslav Blicharski / Aleksander

Im Mittelalter und in der frühen Neuzeit lagen die Vampirzentren Europas vor allem in Ost- und Südosteuropa. In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts kam es in den östlichen Teilen des Habsburgerreichs zu einer regelrechten Vampirhysterie, was selbst Kaiserin Maria Theresia in Unruhe versetzte. Um dem Spuk ein Ende zu setzen, schickte sie ihren niederländischen Leibarzt los, den Universalgelehrten und Aufklärer Gerard Van Swieten.

Verbotener Vampirglaube

Er gilt daher auch als Vorbild für Bram Stokers Vampirjäger Abraham Van Helsing. Van Swietens Abschlussbericht – und damit endet die Ähnlichkeit auch schon wieder – führte zu einem gesetzlichen Verbot der Praxis der Vampirprozesse und Vampirbestattungen in allen Habsburgerländern. Ausrotten ließ sich der Aberglaube damit freilich nicht, im Volksglauben spielen Wiedergänger in manchen Regionen bis heute eine Rolle.

Die Sichel am Hals ist eine klassische apotropäische Maßnahme, meinen die Fachleute. Warum die Frau bei Verwandten und Bekannten zum Verdachtsfall wurde, bleibt rätselhaft.
Foto: Miroslav Blicharski / Aleksander

Mit welchen rituellen Mitteln die Menschen den vermeintlichen Vampiren damals zu Leibe rückten, zeigt ein aktueller Fund in einem Dorf in Südpolen östlich von Krakau: In einem Grab auf dem alten Friedhof des Dorfes Pień fanden sich die Überreste einer Person, deren befürchtete Wiederkehr man mit Sichel und Schloss verhindern wollte. Teile des Friedhofs aus dem 17. Jahrhundert waren schon 2005 bis 2009 freigelegt worden, der aktuelle ungewöhnliche Fund ist jedoch einer zweiten Grabungskampagne im vergangenen Sommer zu verdanken.

Jung und wohlhabend

Das Team um Dariusz Poliński von der Nikolaus-Kopernikus-Universität in Toruń stieß dabei auf das Skelett einer jungen Frau, der man eine Sichel mit der Klinge nach unten über den Hals gelegt hatte. Außerdem entdeckten die Forscherinnen und Forscher ein dreieckiges Schloss an einer ihrer Zehen. Beides sollte sicherstellen, dass die Frau unter allen Umständen in ihrem Grab bleibt, meinen die Wissenschafter.

Dass die Beerdigte nicht den ärmsten Bevölkerungsschichten entstammte, sondern vielmehr aus einer wohlhabenden Familie kam, zeigen das Kissen, auf dem ihr Kopf ruhte, sowie die Reste einer Seidenmütze. Warum sie für eine Wiedergängerin gehalten wurde, bleibt ein Rätsel, ebenso ihre Todesursache. Das Opfer eines Hexenprozess dürfte sie wohl nicht geworden sein, mutmaßt Poliński. Solche Menschen würden normalerweise schnell in provisorischen Gräbern in der Nähe des Galgens beigesetzt.

Vielleicht geben weitere Untersuchungen der Gebeine Hinweise auf das Schicksal der Frau.
Foto: Miroslav Blicharski / Aleksander

Unklare Todesursache

Dennoch war die örtliche Gemeinde besorgt, dass sie als Vampir Rache suchen könnte. "Es ist möglich, dass die Frau zu Lebzeiten eine Tragödie erlebte und zu Schaden kam", sagte Poliński. "Andererseits könnten auch ihr Aussehen oder ihr Verhalten den zeitgenössischen Bewohnern Angst eingejagt haben." Die Forschenden hoffen, dass weitere Untersuchungen an dem Skelett die eine oder andere Frage beantworten werden.

In diesen Teilen Polens trug die lokale Vampirvariante die Bezeichnung Upiór. Historiker vermuteten, dass es sich bei ihm um eine Art dämonischer "Nachzehrer" handelt, die laut Überlieferung ausschließlich danach streben, den Lebenden Schaden zuzufügen. Menschen, die im Dorf das Stigma eines künftigen Upiór trugen, waren von der Gemeinschaft häufig mit dem Ausbruch von Seuchen oder Missernten in Verbindung gebracht worden.

Verhinderte Wiederkehr

Auch wenn die Namen der Unholde und die jeweiligen Gegenmittel der Wahl sich von Region zu Region unterschieden, das Prinzip blieb stets dasselbe: Fachleute sprechen von apotropäischen Maßnahmen, Abwehrrituale gegen Böses, die eine Wiederkehr der Toten verhindern sollen. Oft wurden die im Verdacht stehenden Toten geköpft, gepfählt oder einfach festgenagelt. Häufig, wie in diesem Fall, legte man den Verstorbenen in den Gräbern Steine oder eben Messer oder Sicheln unter das Kinn. Auch das soll nach den abergläubischen Vorstellungen die Verblichenen in ihren Gräbern festhalten. (tberg, 15.9.2022)