Imitatio, aemulatio, superatio: Tizians "Mädchen im Pelz" (links) inspirierte Rubens etwa 100 Jahre später zu seinem "Pelzchen".
Foto: KHM-Museumsverband

Wien – Die entscheidende Frage lautete: Wer schafft es, einen Gegenstand derart naturgetreu darzustellen, dass er Tier und sogar Mensch täuschen könne? Dem griechischen Maler Zeuxis gelang es mit gemalten Weintrauben in einem Bild, tatsächlich Vögel anzulocken. Sein Kollege – und Konkurrent – Parrhasios hingegen schuf einen so echt anmutenden Vorhang, dass Zeuxis darauf hereinfiel und versuchte, diesen wegzuziehen. Zahlreiche amüsante Anekdoten wie diese wurden vom römischen Autor Plinius dem Älteren überliefert. Seit der Renaissance nahmen viele Künstler Bezug auf diese Geschichte – die Antike galt als das Vorbild non plus ultra.

Ein passender Einstieg in die große Herbstausstellung Idole & Rivalen. Künstler*innen im Wettstreit des Kunsthistorischen Museums Wien (KHM), die kommenden Dienstag eröffnet. Theoretischer Ausgangspunkt ist der Wettstreit unter Künstlern und Künstlerinnen, das Vorankommen durch Nachahmung, Wetteifern, das Übertreffen der anderen und auch die Zusammenarbeit. Die Sonderschau beleuchtet unterschiedliche Facetten dieses doch komplexen Themas von der Antike bis in die Zeit um 1800.

Bei der überlebensgroßen Marmorskulptur "Verwundete Amazone (Typus Mattei)" handelt es sich um eine römische Kopie aus dem 2. Jh. n. Chr., nach dem Original von Phidias um 440/30 v. Chr. gestaltet.
Foto: bpk | Scala

Wer ist am schönsten?

Dafür trug Kuratorin Gudrun Swoboda, zuständig für italienische, französische und spanische Barockmalerei am KHM, Werke aus allen Sammlungen des Museums zusammen und holte ergänzende Leihgaben aus österreichischen Einrichtungen sowie internationalen Häusern wie dem Pariser Louvre oder dem Rijksmuseum in Amsterdam.

Ein besonderes Schmankerl, das ausnahmsweise und nur mit aufwendigem Transport aus den Vatikanischen Museen anreisen durfte, ist eine von drei überlebensgroßen Marmorskulpturen im Saal zur Antike. 430 v. Chr. erschufen die besten Bildhauer Griechenlands für den Tempel der Artemis in Ephesos jeweils eine Statue einer verwundeten Amazone. Das Besondere am Wettbewerb war, dass die Künstler, darunter Phidias, Polyklet und Kresilas, auch die Jury bildeten. Zwar wählten sich alle selbst auf den ersten Platz, dennoch siegte die Version von Polyklet. Römische Kopien der drei Statuen aus dem zweiten Jahrhundert – die originalen Bronzen gingen verloren – stehen im KHM nebeneinander auf einem Podest.

Vorbild schlechthin: "Entführung des Ganymed" von Michelangelo, 1575/80.
Foto: KHM-Museumsverband

Wie sehr sich das Prinzip des Wettstreits in der Frühen Neuzeit für Künstler maßgeblich durchsetzte, macht das zentrale Kapitel zur Renaissance deutlich. In diversen Konfrontationen treten Malergenies des 16. und frühen 17. Jahrhunderts gegeneinander an. Allen voran der "göttliche" Michelangelo als das Vorbild schlechthin, an dem sich Zeitgenossen und auch spätere Kollegen maßen. Beispielsweise stehen zwei Darstellungen der Entführung des Ganymed in direktem Vergleich: Rubens kopierte Michelangelo in seiner Version zwar nicht, griff aber auf dessen bekannte Vorlage zurück.

Zu diesem Künstlerbewerb kam schließlich auch der Wettstreit der einzelnen Künste hinzu: "Paragone" beschreibt die Konkurrenz zwischen Malerei und Bildhauerei. Dokumente, Gemälde und Skulpturen belegen diese öffentlich ausgetragene Konkurrenz. In der sehr beladenen Ausstellung wetteifern die Kunstwerke selbst auch miteinander und heischen um Aufmerksamkeit: Tizian! Tintoretto! Van Dyck!

Dass im Ausstellungstitel übrigens gegendert wird, ist ein zeitgemäßes Novum am KHM, das positiv auffällt. Wenngleich in diesem Fall eigentlich nur die zwei Künstlerinnen Sofonisba Anguissola und Lavinia Fontana mit kleinen Porträts präsent sind. Aber immerhin!

Für sie wird gegendert: "Selbstbildnis" von Künstlerin Sofonisba Anguissola, 1554.
Foto: KHM-Museumsverband

Voting mit pinken Putten

Ganz offensichtlich bemüht man sich bei der Konzeption der Schau – die auf einer Idee von KHM-Generaldirektorin Sabine Haag beruht – mit aller Kraft, ein doch sehr trockenes Thema spielerisch aufzulockern. Dies geschieht durch interaktive Voting-Stationen, bei denen das Publikum durch Scannen des QR-Codes am Eintrittsticket bei manchen Kunstwerken abstimmen darf: Welche Amazone ist die schönste? Welches Porträt übertrifft die Konkurrenz? Eine nette Idee, die mit poppigen Putten (HFA-Studio) auch online gestaltet wurde und neue Zielgruppen ansprechen könnte.

Ein anderer Versuch "mit Augenzwinkern" wirkt hingegen fehl am Platz: In einem Kabinett läuft eine Doku des britischen Tierfilmers David Attenborough. Auch wenn es um Wettstreit in der Fauna geht, fragt man sich: Warum hier?

Eingefleischte Kunstgeschichte-Fans sind womöglich hingerissen von dieser Ausstellung. Das breite Publikum wohl weniger. (Katharina Rustler, 16.9.2022)